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Fehlanzeige. Derzeit verkehrt die Tramlinie 99 tagsüber nicht.

© Sebastian Gabsch

Öffentlicher Nahverkehr in Potsdam: Engpässe bei Bussen und Bahnen

Die Personalkrise beim Verkehrsbetrieb verärgert die Fahrgäste. Das Rathaus reagiert besorgt - offensichtlich handelt es sich bei den Engpässen um ein langfristiges Problem.

Babelsberg/Innenstadt - Mit Verärgerung reagieren Nutzer des Verkehrsbetriebs (ViP) auf die kurzfristige Entscheidung des kommunalen Unternehmens, wegen Personalknappheit weniger Fahrten anzubieten – und zunächst den Tagesbetrieb der Linie 99 komplett einzustellen. Denn damit werde gerade im Berufsverkehr die direkte Verbindung zwischen Babelsberg und der Innenstadt deutlich verschlechtert und auf einen 20-Minuten-Takt reduziert – weil nur noch die Linie 94 die Strecke bedient. So lautet der Tenor mehrerer Leserbriefe an die PNN.

Zudem sorgt die Ankündigung für Ärger, dass der Ferienfahrplan mit weniger Verbindungen offenbar vorgezogen werden soll. Das sei für eine Stadt, die den Autoverkehr verkleinern möchte, nicht nachvollziehbar, hieß es in den Schreiben. Und speziell zur Linie 99 hieß es weiter, aufgrund der Kitas und Schulen im Zentrum Ost, wo die Bahn für gewöhnlich vorbeifährt, sei die Trasse auch in normalen Zeiten schon sehr gut frequentiert. „Die Folge ist, dass die anderen Bahnen extrem voll sind“, so eine Leserin. Ähnlich verärgerte Reaktionen waren in den sozialen Netzwerken zu lesen.

99 diene nur zur Taktverdichtung

Wie berichtet hatte der ViP am vergangenen Freitagnachmittag per Pressemitteilung verkündet, dass er alle Fahrten der Tramlinie 99 tagsüber einstellen muss. Als Gründe wurden ein „erhöhter Krankenstand und unbesetzte Fahrer-Stellen“ genannt. Fahrgäste könnten alternativ auch die Buslinien 601, 690 und 694 in Richtung Innenstadt nutzen, hieß es. Schon seit Monaten macht das Unternehmen mit Personalproblemen Schlagzeilen. So waren in den ersten drei Monaten des Jahres unter anderem wegen einer Grippewelle 1475 Bus- und 2260 Tramfahrten ausgefallen – das sind im Schnitt knapp ein Prozent aller Fahrten, quer verteilt über alle Linien (PNN berichteten). Die Lage habe sich verschärft, weil auch Reserven inzwischen aufgebraucht seien, hieß es aus Unternehmenskreisen. Daher habe man sich, „um Fahrgästen einen verlässlichen Service anbieten zu können“, für die Einstellung der Linie 99 entschieden, hatte der ViP in seiner Mitteilung offiziell begründet. So könne man die am stärksten genutzten Strecken sicher bedienen, wohingegen die Linie 99 nur als sogenannte Verstärkerlinien gelte, „die zur Taktverdichtung in Stoßzeiten diene“.

Das Unternehmen hatte zudem weitere Einschränkungen angekündigt. So soll zur Entlastung der eigentlich erst ab dem 5. Juli vorgesehene Ferienfahrplan vermutlich schon ab dem 25. Juni in Kraft treten – also bereits ab kommendem Montag. „Nach heutigem Kenntnisstand geht die Geschäftsführung davon aus, dass diese Option Anwendung finden wird.“ Damit würde die Zahl der Fahrten auf dem Potsdamer Streckennetz insgesamt reduziert.

Ein langfristiges Problem

Eine detaillierte Antwort zur Situation – wie viele Mitarbeiter sind erkrankt, wie viele Stellen unbesetzt – blieb der ViP am Montag schuldig. Allgemein hieß es, man arbeite „derzeit intensiv daran, auch in den kommenden Wochen einen verlässlichen Fahrplan anzubieten“. Am Donnerstag wolle man eine Pressekonferenz zum Thema geben. Man habe zugleich „volles Verständnis für den Unmut der Fahrgäste“, so ein ViP-Sprecher.

Offensichtlich handelt es sich bei den Engpässen um ein langfristiges Problem. So habe man laut ViP schon seit Anfang des Jahres die Suche nach Fahrdienst-Mitarbeitern „wesentlich intensiviert“. Den Personalmangel in dem Bereich habe man dennoch nicht beheben können, hieß es aus Unternehmenskreisen. Inzwischen seien auch Reserven erschöpft, sodass die Kürzungen nun zeitweise unvermeidbar seien. Es handele sich aber um ein Problem, dass auch andere wachsende Städte umtreibe. So hatten die Berliner Verkehrsbetriebe im Frühjahr laut Medienberichten mit erhöhten Ausfallquoten wegen Personalmangels zu kämpfen. Zudem gilt die Berufsgruppe Bus- und Tramfahrer laut Auswertungen von Krankenkassen als besonders krankheitsanfällig. Gründe dafür sind die mangelnde Bewegung am Arbeitsplatz sowie der Stress und die große Verantwortung im Straßenverkehr.

Personalkrise bei der ViP

Aus dem ViP selbst hieß es hinter vorgehaltener Hand, wegen der Arbeitsbedingungen sei auch die Nachwuchssuche schwierig – vor allem das Schichtsystem mit Arbeitszeiten bis nach Mitternacht und häufige Einsätze am Wochenende würden für die jüngere Generation offenbar abschreckend wirken. Die Fahrer beim ViP erhalten laut den Konditionen des 2017 für den Nahverkehr in Berlin und Brandenburg ausgehandelten Tarifvertrags rund 2000 Euro pro Monat brutto – gestaffelt nach der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit des Fahrers.

Angesichts der Personalkrise forderte der Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV) höhere Zuschüsse für das kommunale Unternehmen, wofür sich auch die Stadtpolitik starkmachen müsse. Durch die jahrelange Sparpolitik würden dort heute Tarifverträge existieren, welche den Beruf als Fahr- oder Werkstattdienst bei Verkehrsbetrieben unattraktiv machten. Durch die Verrentung verschärfe sich die Situation. Diese Lage sei im gesamten Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg zu beobachten, wo der Nahverkehr trotz gegenteiliger Äußerungen aus der Politik als „Sparbüchse“ angesehen werde, kritisierte der DBV in einer Erklärung.

Auch die Stadtverwaltung – über die Stadtwerke der kommunale Eigner des ViP – reagierte wenig amüsiert. „Die Personalengpässe betrachten wir mit Sorge“, sagte Rathaussprecher Stefan Schulz auf PNN-Anfrage. Man gehe aber davon aus, dass alle Maßnahmen ergriffen würden, „um das Betriebsangebot zu stabilisieren“, so der Sprecher. Eine Frage, ob gegen den ViP wegen der nicht erbrachten Leistungen auf der Tramlinie 99 nun Vertragsstrafen verhängt werden, ließ das Rathaus aber unbeantwortet.

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Lesen Sie weiter: Potsdam rühmt sich mit seiner umweltfreundlichen Verkehrspolitik - doch nun herrscht Personalknappheit beim Verkehrsbetrieb und Tram-Fahrten fallen aus. Da passt irgend etwas nicht zusammen, findet PNN-Redakteur Henri Kramer.

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