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Heftige Querelen. Der Babelsberger Stammsitz des diakonischen Oberlin-Konzerns am Mittwoch, scheinbar ein Tag wie immer. Doch das Sozialunternehmen ist in eine schwere Krise geraten, öffentlich wird mit der Potsdamer Rathausspitze gestritten.

© Andreas Klaer

Oberlinhaus in Potsdam: Turbulenzen und gestörtes Vertrauen: Wie Oberlin in die Krise stürzte

Die Unruhe am Oberlinhaus geht weiter – wie es zu den Turbulenzen kam und was über die Lage des Konzerns bekannt ist: Ein Überblick.

Der theologische Vorstand des Oberlinhaus, Matthias Fichtmüller, hat in einem Interview mit der MAZ zu einem Rundumschlag ausgeholt. Die seit mehr als einem Jahr laufenden Gespräche mit dem städtischen Bergmann-Klinikum brach er ab und verkündete dies über die Presse. Sein Vorwurf: Das Bergmann-Klinikum und das Rathaus würden die feindliche Übernahme planen. Zugleich äußerte Fichtmüller den Verdacht, dass hinter den Entwicklungen der vergangenen Monate möglicherweise ein Plan stehe. Die Lage in dem diakonischen Oberlinhaus, mit 1800 Mitarbeitern in 13 Tochtergesellschaften drittgrößter Arbeitgeber der Stadt, eine Instanz in Potsdam, ist angespannt. Ein Überblick zum Stand der Dinge.

Warum kam es überhaupt zu den Verhandlungen?

Bereits seit 2015 liefen Gespräche zwischen Oberlinhaus und dem städtischen Bergmann-Klinikum für eine vertiefte Zusammenarbeit. Und bereits jetzt gibt es zahlreiche Kooperationen. Ob das nach der Absage durch Fichtmüller Bestand hat, ist unklar. Die Initiative für eine noch tiefere unternehmerische Zusammenarbeit ging vom Oberlinhaus aus. Das Oberlinhaus selbst erklärte, dass die Potsdamer Kliniken mit einem zunehmenden Wettbewerb durch Berliner Kliniken konfrontiert seien. Laut Gesundheitsministerium, das eingebunden war, denkt das Oberlinhaus neben personellen Veränderungen seit Längerem auch über „strukturelle Veränderungen seines Leistungsangebotes“ nach. Zwar bestreitet der Vorstand stets, dass es finanzielle Probleme gäbe. Aber Oberlin-intern soll es nach PNN-Recherchen auch darum gegangen sein, dass die Gespräche auch nötig sein könnten, um das Überleben der Oberlinklinik zu sichern. Das Oberlinhaus bestreitet das und verweist darauf, das Bergmann-Klinik sei auf den Verein zugekommen. Grundlage sei der Landeskrankenhausplan, der eine Kooperation beider Häuser bei der Orthopädie vorsehe. Dass die Festlegung von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) als Gesellschafter des Bergmann-Klinikums, bei einer Kooperation mindestens 51 Prozent der Oberlinklinik zu übernehmen, den Ausschlag für den Abbruch der Gespräche gab, darf aber bezweifelt werden.

Nach PNN-Informationen wurden verschiedene Szenarien mit dem kaufmännischen Oberlin-Vorstand Andreas Koch diskutiert. Es ging konkret um einen Anteilstausch oder Teilübernahmen durch das Bergmann-Klinikum. Den Auslöser für den Abbruch der Gespräche lieferte wohl der bisherige Ärztliche Leiter der Oberlinklinik, Axel Reinhardt. Er hatte in der vergangenen Woche auf eigenes Ticket seine Mitarbeiter in die Villa Bergmann geladen, um über die Gründe für die Vertragsauflösung bei Oberlin und seinen Wechsel zum Bergmann-Klinikum zu berichten. Die Oberlin-Spitze wertete dies als Abwerbemaßnahme des eigenen Klinikpersonals und als Affront. Der Chefarzt wurde beurlaubt.

Was ist über die wirtschaftliche Lage des Oberlinhauses bekannt?

Etwaige Finanzprobleme hat der Vorstand des Oberlinhauses bisher zurückgewiesen. Ein Beispiel: die Oberlinklinik. Deren Anfang des Jahres veröffentlichter Geschäftsbericht für das Jahr 2015 weist einen Jahresüberschuss von rund einer Million Euro aus, man könne sich gegen zunehmende Konkurrenz gut behaupten. Für das Jahr 2016 weist eine interne Aufstellung der noch nicht veröffentlichten Jahresbilanz für die Oberlinklinik ein Jahresergebnis von 1,75 Millionen Euro aus. Wie berichtet hat die den PNN vorliegende interne Finanzaufstellung für das Jahr 2016 aber rote Zahlen für den diakonischen Mutterverein ausgewiesen – es geht um ein Minus von 1,3 Millionen Euro. Da es sich jedoch allein um das Jahresergebnis handelt, müssten die Ausgaben des Vereins hinzugerechnet werden, um ein realistisches Bild des Finanzbedarfs des Muttervereins zu bekommen. Die finanzielle Lage des Muttervereins ist dabei nicht zu verwechseln mit der Bilanz für den Gesamtkonzern Oberlinhaus, der im Jahr 2016 ein positives Jahresergebnis von rund 1,7 Millionen erwirtschaftete.

Das Unternehmen hatte sich auf Anfrage bisher geweigert, das Gehalt der beiden Vorstände Andreas Koch und Pfarrer Fichtmüller zu veröffentlichen. Das Gehalt orientiere sich an „branchenüblichen Werten für diakonische Komplexträger".

Warum steht der Vorstand unter Druck?

Wie die PNN bereits seit Wochen mehrfach enthüllt haben, gab und gibt es massive Zerwürfnisse und Auseinandersetzungen. Dabei geht es um den vom Vorstand verordneten Strukturumbau. Begründet wird der mit dem Wettbewerbsdruck, Fichtmüller und Koch haben sich zu Co-Geschäftsführern der Tochtergesellschaften gemacht, um durchregieren zu können. Fichtmüller erklärte, es gehe nur um die Verwaltungsstruktur. Tatsächlich hatte der Umbau großen Unmut in der Belegschaft ausgelöst. Mehrere Briefe gingen an den Vorstand und den Aufsichtsrat: von Mitarbeitern, Betriebsräten, Geschäftsführern der Oberlintöchter.

Im Zuge dessen war der Geschäftsführer der Oberlinklinik, Michael Hücker, rausgeschmissen worden, weil er den Kurs der Vorstands nicht mittragen wollte. Seither kommt das Oberlinhaus nicht zur Ruhe. Die Bauleiter der Oberlinklinik gingen von selbst, auch die Chefcontrollerin. Und zuletzt – wie erwähnt – auch der Chefarzt. Im Bergmann-Klinikum gehen weiterhin Bewerbungen von Oberlin-Mitarbeitern ein. Im Kern geht es vor allem um die Frage: Wie wird mit Kritik umgegangen, wie kommuniziert der Vorstand?

Wie kam es zu den Turbulenzen?

Die Lage hat sich erstmals Anfang Juli zugespitzt. Vier Geschäftsführer von Oberlin-Töchtern wandten sich mit einem vierseitigen Schreiben direkt an den Aufsichtsrat, der den Vorstand kontrollieren soll. Darin werden den beiden Vorständen massive Missstände vorgeworfen. In der Folge wurde Klinik-Geschäftsführer Hücker Ende August rausgeschmissen. Etwa einen Monate später, auch nachdem der Vorstand seine Vorwürfe gegen Hücker nicht aufrechterhalten konnte, gab es eine einvernehmliche Einigung. Gegen die vier übrigen Unterzeichner ergingen Abmahnungen wegen verletzter Loyalitätspflicht und angeblich verletzter Betriebsgeheimnisse. Dabei hatten sich die Beteiligten mit dem Vorstand auf eine Art Moratorium geeinigt: Keine weiteren Schritte des Vorstands gegen die Geschäftsführer, Vertrauensbildung war angesagt. Durch die Abmahnungen war das passé.

Ende September ging erneut ein Brief an den Aufsichtsrat. Von Einschüchterung war die Rede, von Entfremdung, Befremden über Koch und Fichtmüller, wie sie sich als Co-Geschäftsführer einsetzten. Thema war auch das strukturelle Defizit des Vereins von mehr als einer Million Euro, das der Vorstand intern eingeräumt haben soll. Es ging immer auch um den im Herbst 2016 von Koch geholten Referenten für Personal und Recht, ein Bekannter des Geschäftsführers, wie mehreren Mitarbeiter gesagt worden sei. Sein Honorar: 150 000 Euro im Jahr, nach internen Berechnungen 120 Euro netto in der Stunde. Der Vorstand bestreitet das. Intern heißt es, einige Mitarbeiter würden den Mann gar nicht als Personaler betrachten. Der Mann ist Psychologe und Coach, der „Beziehungsklärung im Beruf und Geschäft“ durch „werthaltige Kommunikation“ anbietet.

Nach dem zweiten Brief hörte der Aufsichtsrat die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften an. Kurz danach legte Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck seinen Aufsichtsratsposten nieder – aus persönlichen Gründen. Im Oktober tagte der Aufsichtsrat noch einmal und befand, es habe Fehler, Defizite und Versäumnisse gegeben, Vertrauen sei verloren gegangen. Mitte November erklärte Aufsichtsratschef Martin Vogel seinen Rücktritt, aus persönlichen Gründen.

Welche Indizien gibt es für eine Schieflage?

Anhaltspunkte liefert der besagte Brief der vier Geschäftsführer vom Juli an den Aufsichtsrat. Darin berichten sie von einem stark erschütterten Vertrauensverhältnis zum Vorstand. „Die im Verein Oberlinhaus und seinen Gesellschaften geltenden Leitlinien und Führungsgrundsätze werden durch den Vorstand nicht eingehalten“, heißt es in dem Brief. Die Vorstände Koch und Fichtmüller seien „weder menschlich noch fachlich“ in der Lage, den Verein in die Zukunft zu führen. Dafür führen sie mehrere Beispiele an: Die vielen alten Immobilien des Vereins, gerade am Stammsitz in der Rudolf-Breitscheid-Straße, seien ein „großer Risikofaktor“, so fehle ein Immobilienkonzept, „das sowohl kurz- als auch mittelfristig die Leistungsfähigkeit der Arbeitsbereiche sichert“.

Moniert wird auch die Personalpolitik der Konzernspitze. So sei das Referat Immobilien mit einem „Nicht-Fachmann“ besetzt. Das habe zur Folge, dass „in einem Ausmaß Beratungsleistungen von extern bezogen werden, die im Umfang, Kosten und Ergebnis mehr als fraglich sind“. Generell sei der Umgang der Konzernspitze mit den Geschäftsführern der Tochterunternehmen nicht durch Respekt und Wertschätzung gekennzeichnet, machen die Unterzeichner deutlich. Direkt in Richtung Koch heißt es: „Persönliche Kontakte von Bewerbern zum kaufmännischen Vorstand werden von diesen als Einstellunsgkriterium benannt.“ Es bestehe der Eindruck, dass „persönliche Bezüge wichtiger sind als fachlich-persönliche Eignungen“. Der Vorstand halte sich nicht an Leitbild und Verhaltenskodex. Mitdenkende Mitarbeiter würden unter Druck gesetzt. Initiativen zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften würden ignoriert. Es gebe keine Fehlerkultur.

Ein überfälliges IT-Sicherheitskonzept für das Haus gebe es immer noch nicht. Aufgelistet werden weitere unklare Ziele, mangelnde Transparenz sowie nicht nachvollziehbare, ständig revidierte Entscheidungen. Harte Kritik gibt es auch am Finanzbedarf des Vorstands. „Interne Kredite einzelner Gesellschaften sichern seit Jahren die Liquidität des Vorstandsbereichs, ohne dass transparent kommuniziert wird, wofür die Mittel verwendet werden und wann Rückzahlungen möglich sind.“ Dadurch sei das Investitionsvolumen für die Weiterentwicklung der Gesellschaften „stark gesunken“. Am Ende schließlich: „Das Leben der diakonischen Werte im Miteinander und gegenüber den uns anvertrauten Patienten und Klienten leidet unter dieser Situation und geht immer mehr verloren.“

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