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Der Fall wurde am Dienstag vor dem Amtsgericht verhandelt.

© Ottmar Winter

Oberlin-Kündigung rechtens: Keine Abfindung für die Mörderin

Der früheren Pflegekraft wurde nach den vier Morden im Thusnelda-von-Saldern-Haus fristlos gekündigt. Dagegen ging Ines R. vor dem Potsdamer Arbeitsgericht vor.

Potsdam - Die Vorsitzende Richterin wird deutlich. „Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nach Hause. Wenn es mir schlecht geht, bringe ich keine Menschen um“, sagt Birgit Fohrmann. Eine ungewöhnliche Einlassung in einem Arbeitsgerichtsverfahren, in dem anders als in Strafprozessen meist nicht ausführlich öffentlich erörtert wird. Doch dieses Verfahren vor dem Arbeitsgericht Potsdam ist kein gewöhnliches. Es ist ein weiterer Akt der Aufarbeitung eines der schlimmsten Verbrechen, die Potsdam in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. 

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dann am Dienstag auch zügig gefällt: Die Kündigung der wegen Mordes an vier Schwerstbehinderten im Babelsberger Thusnelda-von-Saldern-Haus verurteilten Pflegekraft Ines R. ist rechtens. Die Tatsache, dass die Frau im April 2021 vier Schutzbefohlene getötet und eine weitere schwer verletzt habe, sei ein hinreichender Grund für die Kündigung durch das Oberlinhaus, sagte die Vorsitzende Richterin Birgit Fohrmann in der Begründung. 

Die verminderte Schuldfähigkeit, die das Landgericht im Strafprozess festgestellt habe, ändere daran nichts. Die Kündigungsschutzklage von Ines R., die eine Abfindung oder anderenfalls Schadenersatz von ihrem früheren Arbeitgeber forderte, wurde abgewiesen. Dagegen muss die 52-Jährige, die fast 30 Jahre bei Oberlin beschäftigt war, die Kosten des Verfahrens mit einem Streitwert von mehr als 41 000 Euro tragen.

Anwalt wirft Oberlin "Mitschuld" an der Tat vor 

Das Arbeitsgerichtsverfahren war ausgesetzt, solange der Mordprozess vor dem Potsdamer Landgericht lief. Aber auch nachdem Ines R. rechtskräftig als Mörderin zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet ist, hält sie an der Kündigungsschutzklage fest, bleibt ihr Anwalt Henry Timm seiner Verteidigungsstrategie treu und fährt auch vor dem Arbeitsgericht schwere Angriffe gegen das Oberlinhaus. 

Dieses trage eine „Mitschuld“ an der Tat, sagt er Dienstag vor dem Arbeitsgericht. Niemand habe zur Kenntnis nehmen wollen, dass Ines R. völlig überarbeitet gewesen und es ihr kurz vor der Tat schlecht gegangen sei – was Richterin Fohrmann mit dem eingangs genannten Zitat quittiert und schon in der Erörterung deutlich macht, dass aufgrund der vorliegenden Fakten „ein Kündigungsgrund wohl unzweifelhaft gegeben sei“. 

Anwalt Timm hatte vor dem Arbeitsgericht beantragt, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung in Höhe von mindestens gut 44 000 Euro zu bestätigen oder im Fall einer Ablehnung des Antrags gut 22 000 Euro Schadenersatz oder Schmerzensgeld an seine Mandantin zu zahlen. Ines R. halte sich trotz des anderslautenden Richterspruchs des Landgerichts weiter für schuldunfähig. Zudem sei dem Arbeitgeber die psychische Erkrankung von Ines R. bekannt gewesen – was der Oberlin-Vorstand vergangene Woche in einem PNN-Interview bestritt.

3,5 Überstunden auf dem Konto 

Für das Oberlinhaus wies Prozessvertreter Elmar Stollenberg die schweren Anschuldigungen am Dienstag zurück. Der Personalschlüssel auf der Wohnebene des Thusnelda-von-Saldern-Hauses sei fast doppelt so hoch gewesen wie vorgeschrieben. Man könne nicht abstreiten, dass die Belastung durch die Corona-Einschränkungen in der Zeit für alle Mitarbeiter besonders groß gewesen sei. 

Kurz vor der Tat sei Ines R. aber erst aus dem Urlaub gekommen. Die Überforderung möge sie subjektiv so empfunden haben, so Stollenberg, de facto habe die Pflegekraft aber nur 3,5 Überstunden auf ihrem Konto gehabt. Das Angebot eines Wiedereingliederungsgesprächs nach einer längeren Krankheitspause habe sie abgelegt. 

Vor dem Landgericht hatte bereits die Leiterin des Thusnelda-von-Saldern-Hauses ausgeführt, dass sie Ines R., die mit reduzierter Stundenzahl arbeitete, eine weniger anstrengende Tätigkeit in dem Haus angeboten habe – was diese aus finanziellen Gründen aber abgelehnt habe. Eine berufsbegleitende Ausbildung zur examinierten Pflegekraft, die ihren Verdienst verbessert hätte, habe sie ebenfalls ausgeschlagen. 

Anwalt ist zur Urteilsverkündung nicht mehr im Saal

Für eine halbe Stunde zieht sich die Kammer zur Beratung zurück, ehe sie gegen 12 Uhr das Urteil verkündet und bestätigt, was sich in der Erörterung vorher schon zeigte: Die Kündigung ist wirksam und sie muss, wie Richterin Fohrmann betont, getrennt von den Vorwürfen zu den Arbeitsbedingungen betrachtet werden. Es sei bekannt, dass es in Pflegeunternehmen Probleme geben kann. „Das kann aber nicht dazu führen, dass ich als Pflegekraft gerade die schwächsten Menschen töte“, so Fohrmann. „Es war ihre Aufgabe, die Menschen, die sie tötete, zu schützen.“ Anwalt Henry Timm hat zu dem Zeitpunkt das Gericht bereits verlassen.  

Das Oberlinhaus könne seinerseits in Erwägung ziehen, Schadenersatz von Ines R. zu fordern, erläutert die Richterin noch. Das habe man nicht vor, erklärt Oberlin-Sprecherin Andrea Behnke auf Anfrage. „Wir hatten stets vollstes Vertrauen in die Rechtsprechung der Gerichte. Nunmehr können wir gemeinsam mit den Mitarbeitenden und Bewohner:innen die Verarbeitung und Aufarbeitung fortsetzen und uns mit ganzer Kraft unseren täglichen Aufgaben widmen“, so Benke. 

Änderungskündigung vor Gericht 

Ein Gerichtstermin allerdings steht noch aus: Am 9. März wird vor dem Arbeitsgericht die Änderungskündigung verhandelt, die das Oberlinhaus der Leiterin des Thusnelda-von-Saldern-Hauses ausgesprochen hat. Doch das ist ein vergleichsweise gewöhnliches Verfahren. Der Leiterin wurde eine andere, adäquate Tätigkeit im Unternehmen angeboten, die sie jedoch ablehnt. Das Haus soll nach der Tat neu aufgestellt werden. 

„Die Darstellung, dass es generell ein Problem mit der Leitung des Thusnelda-von-Saldern-Hauses gegeben habe, ist nicht haltbar“, hatte Wohnbereichsleiterin Tina Mäueler vergangene Woche in einem PNN-Interview betont. 

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