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Fragen stellen. Zuschauer beim PNN-Wahltalk in der IHK Potsdam.

© Sebastian Gabsch

Oberbürgermeisterwahl: Endlich mal kein langweiliges Duell

Das Interesse der Potsdamer an der Oberbürgermeisterwahl scheint diesmal größer als in früheren Jahren. Experten nennen Gründe.

Es ist ein wahrer Marathon an Diskussionsrunden, aber das Interesse nimmt nicht ab: Mehr als 30 Mal haben die sechs Oberbürgermeisterkandidaten in den vergangenen Wochen auf Bühnen in fast allen Stadtteilen Rede und Antwort gestanden – und die Veranstaltungen waren stets ausgesprochen gut besucht. Die anstehende Oberbürgermeisterwahl beschäftigt die Potsdamer scheinbar deutlich mehr als in früheren Jahren.

Diese Einschätzung teilen auch Experten wie der Potsdamer Politikwissenschaftler Heinz Kleger. Selbst im Vergleich mit den 1990er-Jahren sei das Interesse größer, sagte er den PNN: „Alle sind sehr neugierig.“ Für Martina Weyrauch, die Leiterin der Landeszentrale für Politische Bildung, ist Potsdam in Sachen politisches Engagement der Zivilgesellschaft sogar „eine Bilderbuchkommune“ – auch im Vergleich zu kleineren Orten im Land.

Die Wahlbeteiligung ist seit den 1990er Jahren zurückgegangen

Dabei war bei Potsdams OB-Wahlen seit der Wende eigentlich eher ein abnehmendes Interesse zu verzeichnen: So machte bei der letzten OB-Wahl 2010 nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte – 45,9 Prozent – sein Kreuz. An der Stichwahl zwischen Jann Jakobs (SPD) und Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke) beteiligten sich dann sogar nur 42,1 Prozent. 1993 lag die Wahlbeteiligung noch bei 61,8 Prozent, die Stichwahl zwischen Horst Gramlich (SPD) und Rolf Kutzmutz (Linke) lockte 63 Prozent an die Urnen. 1998 und 2002, als die OB-Wahlen gemeinsam mit den Bundestagswahlen stattfanden, gingen 79,9 beziehungsweise 76,4 Prozent der Stimmberechtigten wählen. 1998 schaffte es Matthias Platzeck (SPD) ohne Stichwahl ins Amt. An der Stichwahl 2002 beteiligten sich nur 40,4 Prozent.

Wieso ist das Interesse der Potsdamer nun wieder gewachsen? Besucher des PNN-Wahltalks am Montagabend hatten verschiedene Erklärungen. „Politik hat jetzt einen höheren Stellenwert“, sagte zum Beispiel Luise Schubert. Das liege nicht nur am Erstarken der AfD, sondern auch daran, dass es in Potsdam viele kontroverse Themen wie die Garnisonkirche oder den Abriss der Fachhochschule gebe, sagte die 27-jährige Angestellte. Erwin Turek, 81 Jahre alt und Rentner, sagte, dass ihn vor allem die Plakate auf die Kandidaten neugierig gemacht hätten: „Welche neuen Menschen kommen da in die Potsdamer Politik?“ Joshua Jahn wiederum hält die Wahl diesmal für offener. 2010 hätte sich alles zwischen Jakobs und Scharfenberg entschieden, sagte der 29-Jährige, der in der Erwachsenenbildung tätig ist.

"Das ewige Duell Scharfenberg/Jakobs hat auch gelangweilt"

Auch Politikwissenschaftler Kleger sieht mehrere Gründe. Da ist zuerst das breite Kandidatenspektrum mit neuen Gesichtern: „Das ewige Duell Scharfenberg/Jakobs hat die Potsdamer auch ein bisschen gelangweilt.“ Oder in den Worten von Martina Weyrauch: „Wir haben hier verschiedene Politikalternativen, verschiedene Persönlichkeiten, was die Menschen dazu animiert, sich einzumischen und sich die Kandidaten genauer anzugucken.“ Sie verweist auch auf das traditionell in Potsdam verankerte Bildungsbürgertum. Sie hält die Strukturen vor Ort für vorbildlich: „Es gibt viele Menschen, die sich in Vereinen organisieren, ein großes politisches Interesse.“

Kleger erwähnt auch die sozialen Medien, die erstmals für den OB-Wahlkampf genutzt würden. Auch die umfassende Berichterstattung in den lokalen Medien spiele eine Rolle.

Jugendliche interessieren sich nach Pogida wieder mehr für Politik 

Kleger nennt einen weiteren Faktor: Die lauter gewordene rechtspopulistische Bewegung – etwa mit Pogida – habe für eine Politisierung gesorgt. „Die Menschen merken, dass da ein demokratischer Konsens aufgekündigt wird“, sagt er. Bei Pogida-Gegendemos seien „überraschend viele Jugendliche“ gewesen.

Die oft beklagte Politikverdrossenheit habe es aber ohnehin nie gegeben, betont Kleger: „Es gibt vielleicht eine Politiker- und Parteienverdrossenheit, aber kein Desinteresse am Politischen.“ Wenn es um das Gemeinwesen gehe, darum, an Entscheidungen beteiligt zu werden, seien die Menschen interessiert.

Interesse muss sich aber nicht in Wahlbeteiligung ummünzen

In der OB-Wahl kristallisiere sich vieles: „Der Oberbürgermeister ist der einzige demokratisch legitimierte Repräsentant der ganzen Stadt.“ Das sei gerade in Potsdam, wo es mit Film, Sport, Wissenschaft und Weltkulturerbe ganz verschiedene Schwerpunkte gebe, eine Herausforderung: „Es muss eine Person sein, die zu einem Ausgleich führt, die glaubwürdig die ganze Stadt verkörpert.“

Ob sich das große Interesse der Potsdamer aber auch in der Wahlbeteiligung am Sonntag niederschlagen wird, dazu wagen Weyrauch und Kleger keine Prognose. „Es gibt natürlich Leute, die sich informieren und trotzdem sagen, sie gehen nicht wählen“, sagt Weyrauch. (mit vab)

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