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Oberbürgermeisterwahl: Ein Tag mit SPD-Kandidat Mike Schubert

Wer sind die Frauen und Männer, die Potsdam regieren wollen – und was treibt sie an? Wo sind ihre Stärken und Schwächen? Wie leben sie im Alltag? Die PNN haben alle sechs Oberbürgermeister-Kandidaten einen Tag lang begleitet. Heute: Mike Schubert (SPD).

Ausgerechnet eine Schnecke. Über dem Schreibtisch von Mike Schubert in seinem Büro im Potsdamer Rathaus hängt ein Bild, das zum Image des Sozialbeigeordneten nicht zu passen scheint. Den Spitznamen „Speedy Gonzales“ haben ihm Parteifreunde gegeben, nachdem er 2016 das personalstärkste Dezernat in der Stadtverwaltung übernommen hat. Weil Schubert, genau wie die besagte „schnellste Maus von Mexiko“, scheinbar überall immer vor Ort ist. Vielleicht übereifrig, überehrgeizig oder schnellfertig – das jedenfalls schwingt mit, wenn der politische Gegner den Spitznamen jetzt im Wahlkampf aufgreift. SPD-Mann Schubert geht als Favorit ins Oberbürgermeisterrennen. Über seinem Schreibtisch im Büro in der ersten Etage des Stadthauses hängt also das farbenfrohe Bild mit der Schnecke, die auf einem Stein im Wasser sitzt und lächelt. „Gelassenheit...“ steht darunter. Eine Ermahnung an sich selbst?

Überm Büro-Schreibtisch die Schnecke.
Überm Büro-Schreibtisch die Schnecke.

© Andreas Klaer

Sein Schwiegervater habe es gemalt und ihm geschenkt, vor fast zehn Jahren, sagt Schubert. Das Bild ist eines von den Dingen, die er mitnahm aus seinem Büro im brandenburgischen Innenministerium. Dort war Schubert zuletzt fast drei Jahre lang Leiter des Referats Katastrophenschutz und Feuerwehr – im Ernstfall dafür verantwortlich, dass die Zusammenarbeit von Feuerwehr, Behörden, Einsatzkräften und Hilfsorganisationen reibungslos funktioniert. Das Bild vom „Speedy“ passe auf ihn eigentlich nicht, findet er. Gerade in brenzligen Situationen, wenn schnell Entscheidungen fallen müssen, „dann werde ich ruhig“, sagt er. Hektik sei ein schlechter Ratgeber. Und sich abreagieren, das tue er ohnehin nicht im Büro, sondern beim Laufen: „Da kriege ich den Kopf frei.“

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Dienstagmorgen, kurz nach halb sieben in Golm. Dort wohnt Schubert mit seiner Frau Simone und den Kindern, die Tochter zehn, der Sohn sieben Jahre alt, in einem Einfamilienhaus. Der Politiker öffnet die Tür in Joggingkleidung. Aber erst müssen die Kinder zur Schule verabschiedet werden – seine Aufgabe. Seine Frau ist bereits auf Arbeit. In der Küche stehen Cornflakes und Milch auf dem Tisch, der morgendliche Ablauf wirkt eingespielt, die Diskussion darüber, ob ein Stück Schokolade erlaubt ist, wird freundlich, aber bestimmt beendet. Dann klingelt es an der Tür, die Kinder werden von Schulkameraden abgeholt. Schubert wird sie an diesem Tag nicht mehr sehen. Wenn er spät abends nach Hause kommt, den Pilotenkoffer mit der unerledigten Büropost dabei, werden sie schon schlafen.

7.05 UHR: Joggingrunde durch Golm
7.05 UHR: Joggingrunde durch Golm

© Martin Müller

Das Dezernentenamt und der laufende Wahlkampf, das sei eine Herausforderung für das Familienleben, räumt er ein. Aber deshalb beruflich kürzertreten, wo gerade Tausende Eltern auf die Rückzahlung überhöhter Kitabeiträge warten? Auf öffentliche Termine als Sozialbeigeordneter verzichten, wie es manch politischer Konkurrent gern sähe? Für Mike Schubert ist das keine Option. „Jann Jakobs ist damals als amtierender Oberbürgermeister angetreten, der konnte auch nicht alle Termine absagen“, sagt er. Seine Frau unterstütze ihn – wie sie ihn in all den Jahren der zeitraubenden ehrenamtlichen politischen Arbeit im Stadtparlament unterstützt habe. Und der Familienurlaub in den Herbstferien, nach der Wahl, sei bereits gebucht.

Jetzt geht es erst einmal auf Joggingrunde durch Golm, acht Kilometer, vorbei am Unicampus, durchs alte Dorf, die Lindenallee und Eiche. Immer wieder wird Schubert gegrüßt. Manchmal, erzählt er, kann er sich auch Kritik oder Probleme anhören. Das gehöre zum lokalpolitischen Geschäft: „Man ist nah dran am Menschen.“ Das Laufen nimmt er ernst, heute mehr noch als früher. Einige Halbmarathons habe er absolviert. Kondition ist auch in der Politik gefragt.

Aber auch wenn Schubert schon zwei Jahrzehnte lang die Potsdamer Stadtpolitik mitprägt, 18 Jahre Stadtverordneter war, lange die SPD-Fraktion führte – so geradlinig wie mitunter angenommen ist sein Werdegang nicht. Die Methode „Versuch und Irrtum“ spielte dabei ebenso eine Rolle wie das Wirken von Förderern, Mentoren und Vorbildern. Auf die kommt Schubert immer wieder zu sprechen, mit Respekt und Dankbarkeit.

Erster Berufswunsch: Koch zur See

Als Kind habe er zur See fahren wollen, die Welt sehen, wie sein großer Bruder, erzählt er. All die Ansichtskarten, die im Briefkasten der Plattenbauwohnung in Zentrum-Ost landeten, beeindruckten ihn. Für Mike Schubert, Jahrgang 1973, drittes Kind zweier Leistungssportler, der seine Mutter nach schwerer Krankheit früh verlor, war zu dieser Zeit an der Einfahrt zum Griebnitzsee Schluss, wenn er am Babelsberger Park paddelte. Auch gerungen, geboxt und Fußball gespielt hat er als Kind. Und dann war da die Defa: Schubert wurde für die Fernsehserie „Spuk im Hochhaus“ als Nebendarsteller gecastet, für „Moritz in der Litfaßsäule“ und den Mehrteiler „Martin Luther“ stand er in kleinen Rollen vor der Kamera. Irgendwann hätten die Eltern, der Vater und dessen neue Frau, ihn beiseite genommen. Ob das nicht alles doch ein bisschen viel wird.

War er ein guter Schüler? Schubert schüttelt den Kopf. „Durchschnitt zwei“, sagt er. Für die weiterführende Schule, Abitur, Studium, reichte das in der DDR nicht. Als Brillenträger sei die See für ihn nicht in Frage gekommen. Wenige Wochen vor dem Mauerfall 1989 begann er seine Lehre als Industrieelektroniker im Geräte- und Reglerwerk Teltow. Die Wendezeit war für ihn auch mit Unsicherheit verbunden. In Teltow bekam er zu spüren, wie das Geschäft einbrach. An vielen Tagen, sagt Schubert, hätten die Kollegen nur dagesessen und gewartet.

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Als der Sozialdezernent kurz vor neun Uhr in sein Büro im Potsdamer Rathaus kommt, wird er schon erwartet. „Wir brauchen noch ein Zitat“, empfängt ihn eine Mitarbeiterin. „Und eine Rede“, schiebt die zweite nach. Anderthalb Stunden hat Schubert, bis er zum ersten Außentermin fährt. Den Aktenstapel auf dem Schreibtisch kann er in der Zeit kaum abbauen. Penibel sei er, sagt er von sich selbst. Eine von Mitarbeitern vorbereitete Rede überarbeitet er rasch. Beim stillen Lesen am Stehpult hatte er mit dem Kopf geschüttelt. „Zu kompliziert.“ Schubert sieht seine Rolle im Rathaus als Vermittler und Übersetzer – zwischen verschiedenen Interessen, aber auch zwischen Verwaltung , Politik und Bürgern.

10.30 UHR: Schubert geht die von den Mitarbeitern vorbereitete Rede am Stehpult durch.
10.30 UHR: Schubert geht die von den Mitarbeitern vorbereitete Rede am Stehpult durch.

© Jana Haase

Der Kalender für den Tag ist voll: Den Grundstein für eine Kita im Bornstedter Feld soll Schubert heute legen, vor Journalisten den neuen Mietspiegel vorstellen, das Richtfest für den Neubau der Freiwilligen Feuerwehr in Marquardt feiern, am Netzwerktreffen der Initiative Kirchsteigfeld teilnehmen. Kurzfristig kommt die Bitte um ein Gespräch vom Oberbürgermeister dazu, Stichwort Kitagebühren. Zwischen Mietspiegel und Marquardt muss dafür Zeit sein. „Das wird knapp“, warnt seine Mitarbeiterin.

Die ersten Jahre nach der Wende probierte Schubert sich aus. Absolvierte eine zweite Lehre zum Einzelhandelskaufmann in Berlin-Zehlendorf, dachte über eine Karriere im Vertrieb eines namhaften Sportartikelherstellers nach. Machte sich 1994 selbstständig, wieder in Potsdam, als Immobilienfinanzierer. „Vielleicht ein paar Jahre zu früh“, sagt er heute. Nach einem guten Jahr musste er überschuldet aufgeben, Sozialhilfe beantragen, konnte sich die eigene Wohnung nicht mehr leisten. Mit Unterstützung der Eltern kam er wieder auf die Beine.

Aus der Karriere als Immobilienfinanzierer wurde nichts

In dieser Zeit fand er auch den Weg in die SPD. Er habe mitwirken wollen, nicht nur Zeitung lesen und meckern, sagt er. Wieso die SPD? „Das war für mich die gute Mitte“, erklärt Schubert. In der Sozialdemokratie sei für ihn zusammengekommen, was er aus dem Elternhaus mitgenommen, aber auch in den ersten Jahren im neuen System erlebt hatte.

An den Tag seines Eintritts erinnert er sich gut. Es ist der 17. November 1995, vom Sturz des SPD-Bundeschefs Rudolf Scharping durch Oskar Lafontaine am Vorabend hatte Schubert noch nicht gehört. Als der Neu-Genosse dann das SPD-Haus, damals noch an der Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Alleestraße, verlässt, hatte er gleich ein Radiomikro vor der Nase. Seine Meinung als einfaches Parteimitglied war gefragt. Er habe wohl irgendetwas gestammelt, erzählt er: „Mit hochrotem Kopf.“

Das würde ihm heute nicht mehr passieren. Schubert ist Politik- und Kommunikationsprofi, krisenerprobt. Als Wehrdienstleistender arbeitete er in der Presseabteilung der Bundeswehr, später war er ein halbes Jahr als Presseoffizier im Kosovo. An der Universität Potsdam studierte er Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft. Er lernte Politik und Verwaltung in der Praxis kennen – seit 1998 als Stadtverordneter, seit 2004 als Büroleiter der SPD-Abgeordneten Klara Geywitz und Matthias Platzeck, seit 2009 als Büroleiter im Innenministerium unter Rainer Speer, auch in der Zeit, in der der nach einer Affäre zurücktrat.

Politische Feuerprobe: Die Wahl zum Sozialdezernenten

Den schwierigsten Moment seiner politischen Karriere bestand Schubert im Juli 2016: Erst im dritten Wahlgang und mit nur einer Stimme Mehrheit wählten ihn Potsdams Stadtverordnete zum Sozialdezernenten – ein desaströses Ergebnis. Aber Schubert hat schnell Vertrauen gewonnen, auf etlichen Dauerbaustellen in seinem Verantwortungsbereich – Moschee, Tierheim, Feuerwehr – sieht es heute besser aus als unter seiner Vorgängerin.

11.00 UHR: Am Rande der Kita-Grundsteinlegung im Bornstedter Feld spricht Schubert mit ProPotsdam-Chef Bert Nicke (l.).
11.00 UHR: Am Rande der Kita-Grundsteinlegung im Bornstedter Feld spricht Schubert mit ProPotsdam-Chef Bert Nicke (l.).

© Martin Müller

Verbindlich und zugewandt wirkt Mike Schubert bei seinen Terminen an diesem Dienstag. Stets bedacht, seinem Gegenüber Anerkennung zu vermitteln. Von den Kitakindern, die den „Schubidua-Tanz“ zum Besten geben, bis zum Wehrführer in Marquardt, der – Schubert hat das nicht vergessen –, bei der Grundsteinlegung nicht dabei sein konnte und nun beim Richtfest umso herzlicher begrüßt wird. Das kommt an bei den Kameraden. „’n guten Wahlkampf!“, rufen sie ihm hinterher, als er sich wegen des Anschlusstermins entschuldigen muss.

13 UHR: Schubert bei der Pressekonferenz zum neuen Potsdamer Mietspiegel im Blauen Salon des Rathauses.
13 UHR: Schubert bei der Pressekonferenz zum neuen Potsdamer Mietspiegel im Blauen Salon des Rathauses.

© Martin Müller

Von Matthias Platzeck, seinem politischen Ziehvater, erst Potsdamer Oberbürgermeister, dann Ministerpräsident, habe er zwei Dinge gelernt, sagt Schubert. Nummer eins: Das Private daheim zu lassen. „Probleme haben die Leute selbst.“ Nummer zwei: „Raus, raus, raus, raus, raus!“ Man dürfe nicht warten, „bis die Leute mit ihren Problemen zu uns kommen“. Man müsse auf die Leute zugehen, herausfinden, wo es nicht läuft.

Dass Schubert einer der Väter des Potsdamer Bürgerhaushalts ist, erwähnt er gar nicht. Sein ehemaliger Professor an der Uni Potsdam, der Politikwissenschaftler Heinz Kleger, erzählt es. Als „sehr ernsthaften und fleißigen Studenten“ hat er Schubert in Erinnerung. Vor seinem Wissen über die Stadt habe er schon damals großen Respekt gehabt, Ambitionen auf die Rathausspitze aber noch nicht erkennen können.

15.10 UHR: Schubert begrüßt Ortswehrführer Rainer Schulze beim Richtfest für die Feuerwehr in Marquardt.
15.10 UHR: Schubert begrüßt Ortswehrführer Rainer Schulze beim Richtfest für die Feuerwehr in Marquardt.

© Martin Müller

Gegen halb sieben fährt Schubert an diesem Dienstagabend in seinem Škoda vom Kirchsteigfeld zurück in die Innenstadt. Als Sozialbeigeordneter hat er Feierabend. Als Wahlkämpfer ist er gleich beim „Kandidaten-Speeddating“ der FDP im Treffpunkt Freizeit gefragt. Auf dem Parkplatz angekommen, bleibt er einen Moment am Steuer sitzen, schließt die Augen. Durchatmen. Denkt er jetzt an die Schnecke? „Auf in die letzte Runde“, sagt er. Auf dem Weg zum Saal wischt mit dem Taschentuch noch schnell den Marquardter Baustellenstaub von den schwarzen Schuhen. Gut 20 Teilnehmer werden ihn dann zwei Stunden lang befragen. Am Ende hat er die Lacher noch einmal auf seiner Seite: „Und wer heiratet mich jetzt?"

Das nächste Kandidaten-Porträt erscheint am 12. September: Dennis Hohloch (AfD). Reihenfolge und Autoren haben wir per Los bestimmt

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