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Oberbürgermeisterwahl: Ein Tag mit "Die Andere"-Kandidat Lutz Boede

Wer sind die Frauen und Männer, die Potsdam regieren wollen – und was treibt sie an? Wo sind ihre Stärken und Schwächen? Wie leben sie im Alltag? Die PNN haben alle sechs Oberbürgermeister-Kandidaten einen Tag lang begleitet. Heute: Lutz Boede (Die Andere).

Von Matthias Matern

Wer bei Lutz Boede klingelt, klingelt auch bei Schubert und Müller. Wohnt er zusammen mit dem SPD-Hoffnungsträger im Oberbürgermeisterwahlkampf, Mike Schubert, und der linken Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Birgit Müller? Für Boede eine amüsante Vorstellung: „Eher noch mit Schubert, als mit Müller“, sagt der 53-jährige Spitzenkandidat der Wählergruppe Die Andere und zieht die Wohnungstür seiner WG in der Kurfürstenstraße hinter sich ins Schloss.

Es ist acht Uhr morgens, mitten im Wahlkampf, und Boede hat die erste Wahlkampfschicht bereits hinter sich. Schon um fünf Uhr ist er aufgestanden und hat sich mit seinem kleinen Klapptisch spontan vor dem Klinikum „Ernst von Bergmann“ aufgebaut. Die Arbeitsverhältnisse an dem kommunalen Krankenhaus sind eines seiner zentralen Themen. „Faire Bezahlung und mehr Personal“ heißt es unter Punkt elf, dem letzten der politischen Ziele in seinem Faltblatt. „Die Tarifbindung ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit“, sagt Boede. Das Klinikum mache jedes Jahr Millionenüberschüsse und gebe diese zwei, drei Millionen Euro für die Lohnanschlüsse nicht aus. „Was die Krankenschwestern da bezahlt bekommen, ist schon unanständig“, schimpft Boede auf dem Weg in die Friederich-Ebert-Straße. Frühstücken ist angesagt – und erstmal gemütlich Zeitung lesen. Bei seinem Stammbäcker am Nauener Tor.

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Ein kleiner Seitenhieb gegen Konkurrent Götz Friederich

Dass seine Wahl zum Oberbürgermeister eher unwahrscheinlich ist, weiß Boede natürlich. Einer Forsa-Umfrage im Auftrag der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ zufolge lag er Ende August bei zehn Prozent, gleichauf mit Dennis Hohloch von der AfD. Nur Janny Armbruster von Bündnis 90/Grüne schnitt mit acht Prozent schlechter ab. Man könnte aber auch sagen, Boede hat – zusammen mit Hohloch – nach Schubert, Martina Trauth für die Linke und Götz Friederich (CDU) die besten Karten. „Der Zuspruch ist riesengroß überall“, versichert Boede entsprechend selbstbewusst, aber mit einem Augenzwinkern. „Wir werden eben nicht gewählt, weil wir der Partei der Bundeskanzlerin angehören, sondern weil die Leute schätzen, was wir machen.“ Den Seitenhieb auf Konkurrent Friederich kann er sich nicht verkneifen, wird aber gleich etwas versöhnlicher. „Na ja, der ist ja wenigstens fleißig“, sagt der Politikroutinier.

Dann klingelt am Bürgersteig sein Wahlkampfmobil. Es ist eine Rikscha, gezogen von einem seiner Mitstreiter. Auf der Rückwand prangt Boedes Name. Es ist Zeit für den ersten offiziellen Wahlkampf-Infostand des Tages, einer von insgesamt rund 100. An den Konterfeis der anderen Kandidaten vorbei geht es gegen neun Uhr über die Gutenbergstraße zum Bassinplatz.

Im Vergleich zur Konkurrenz ist Boede ein kommunalpolitisches Urgestein. Nach der Wende gehörte er zu den Mitgründern der Grünen in Potsdam und arbeitete bis 1993 als Landesgeschäftsführer in der Lindenstraße, bis er der Partei nach eigenen Worten „maßlos enttäuscht“ vom Verhalten einiger damals prominenter Westgrünen den Rücken kehrte. So seien einige Parteigrößen etwa 1992 anlässlich des damals in Potsdam tagenden Länderrats der Grünen nicht bereit gewesen, zu Gunsten einer Spende für den grünen Solifonds auf eine teurere Übernachtung in einem Hotel zu verzichten, schreibt Boede auf seiner Wahlkampf-Homepage. Letztlich ausschlaggebend sei aber der Zusammenschluss der Grünen mit dem Bündnis 90 gewesen. „Die ganzen Ex-Bürgerrechtler waren zum Teil einfach sehr konservativ gewesen. Da waren ja auch Leute wie Konrad Weiß oder Günter Nooke dabei. Das war inhaltlich schwierig“, erinnert er sich.

Boede kämpft gegen steigende Mieten und Gentrifizierung - und für den Erhalt von DDR-Bauten

Politisch geprägt ist Lutz Boede durch die Zeit der aufkommenden Umweltbewegung Ende der 1970er Jahre, die Entstehung der Grünen, die Anti-AKW-Bewegung sowie die DDR-Friedensbewegung Schwerter zu Pflugscharen. Immer wieder geriet er als junger Mann auch mit dem DDR-Staat in Konflikt, saß 1983 in Potsdam und in Naumburg eine achtmonatige Haftstrafe ab, weil er in selbstgeschriebenen Gedichten den Wehrdienst in der NVA und das DDR-Wahlsystem kritisierte.

Nach der Abkehr von den Grünen gründete der bekennende Pazifist fast zeitgleich die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, die 1995 in der Wählergruppe Die Andere aufging. „Wir fühlten uns damals politisch heimatlos, auch auf Bundesebene“, erzählt Boede. „Da dachten wir, da kann man doch was machen, zumindest hier in Potsdam. Dann sind wir wenigstens nicht darauf angewiesen, dass einem die Grünen etwas versprechen und die Linken einen nur vertrösten.“

Heute steht Die Andere vor allem für den Kampf gegen steigende Mieten und Gentrifizierung, für den Erhalt von DDR-Bauten wie der inzwischen verschwundenen Fachhochschule am Alten Markt, dem Ex-DDR-Terrassenrestaurant Minsk oder dem Staudenhof sowie für den Protest gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Mit Bürgerbegehren und medienwirksamen Aktionen, die oft eine Gratwanderung zwischen bissigem Humor und platter Provokation sind, schaffen es die laut Boede rund 80 bis 90 Mitstreiter der Wählergruppe immer wieder, auf ihre Themen aufmerksam zu machen. Erst jüngst hagelte es jedoch wieder einmal für eine dieser grenzwertigen Aktionen Kritik.

„Naja, vielleicht etwas übertrieben"

Den Aufkleber des Anstoßes hat der Spitzenkandidat sorgsam vor sich auf seinem kleinen Klapptisch ausgebreitet, nebst weiterem Wahlkampf-Material. Der Sticker ist klein und runder Aufkleber. Darauf steht: „Mitteschön halts Maul!“. Eine Anspielung auf die Bürgerinitiative Mitteschön, die sich für den Abriss der Fachhochschule (FH) stark gemacht hat. Entsprechend beleidigt reagierten wie berichtet einige der Mitglieder, warfen Boede vor, lediglich frustriert zu sein, weil die FH nun nicht mehr stehe. Ob er sich selbst ärgere, wenn er gelegentlich über die Stränge schlage, wie etwa bei dem Aufkleber? Boede überlegt nicht lange. „Nein, den haben wir ja ganz bewusst gemacht. Wenn Sie sich die Facebook-Diskussionen angucken, wie dort auch von Mitgliedern der Bürgerinitiative der Abriss der Fachhochschule gefeiert wurde. Das ist auch eine Frage des fehlenden Respekts“, meint Boede, räumt aber ein: „Natürlich gibt es immer wieder Dinge, bei denen ich nachher denke, das hätte ich auch anders machen können.“

Inzwischen ist es kurz vor Mittag. Sonderlich eifrig wirkt Boede nicht, wenn es darum geht, potenzielle Wähler an seinen Klapptisch zu locken. „Informationen zur Kommunalwahl?“, ruft er hin und wieder Passanten zu und wedelt mit einem seiner Faltblätter. Kommunalwahl? „Oberbürgermeisterwahl ist so ein schwieriges Wort“, sagt Boede und grinst. Brigitte Backhaus hat dennoch zugegriffen. „Selbstverständlich gehe ich wählen“, sagt die 70-Jährige. Schnell wird klar, dass sie wohl eher nicht mit Boede auf einer Wellenlänge liegt, zumindest nicht beim Thema historische Innenstadt. Und auch sonst dürfte sie im Faltblatt nicht allzu viel finden, was sie persönlich tangiert. Was Potsdam derzeit am dringendsten braucht? „Mehr Gesicht. Potsdam ist eine Tourismusstadt“, sagt die Potsdamerin. Ansonsten fehle es ihr an nichts. „Mir geht es gut, ich wohne gut und habe keine Verkehrsprobleme.“ Den vermutlich (un-) passenden Aufkleber hätte Boede auch für Frau Backhaus parat gehabt, er liegt neben dem „Halts Maul“-Sticker. Darauf ist der Turm der Garnisonkirche zu sehen. Dazu der Text „Sieht einfach scheiße aus.“ Boede zuckt mit den Schultern. „Naja, vielleicht etwas übertrieben, soll halt provozieren“, gibt er zu.

In der „Wohngebietsgaststätte Nowawes“ wird sein Name dort offensichtlich hochgehalten

Boede selbst lebt seit 1984 in Potsdam. Geboren wurde er allerdings 1965 in Plau am See. Die ersten Lebensjahre verbrachte er in Meyenburg. Seine Mutter arbeitete dort als Ärztin in der Ambulanz, sein Vater in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) im Nachbardorf. Nach der Scheidung und mehreren Umzügen landete Boede 1979 mit seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinen beiden Schwestern in Kleinmachnow. Noch heute trauere er den „duftenden Laubwäldern Mecklenburgs“ nach. „In Brandenburg riecht es immer nach Waldbrand. Es ist immer so trocken“, erklärt Boede und nimmt einen Schluck Mango-Lassi. Zum Mittagessen ist er bei einem Inder nahe seiner Wohnung eingekehrt. Eine gute Stunde Pause gönnt er sich an diesem Tag. Gegen 14 Uhr will er seinen Infostand in der Waldstadt aufbauen.

Auf dem Weg dorthin wird er später in der Rikscha auch durch die Großbeerenstraße kommen. Vor der Hausnummer fünf stehen mehrere Männer, teils mit schwarzen Kapuzenpullis, Sonnenbrille und Bier in der Hand und grüßen Boede. Es ist die „Wohngebietsgaststätte Nowawes“, die Boede 2005 zusammen mit einem Bekannten eröffnete. Auch wenn er selbst nicht mehr Betreiber ist, wird sein Name dort offensichtlich hochgehalten. 

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Dass Boede nicht nur ein Moserer und Stänkerer ist, sondern auch ein Macher, zeigt aber auch sein Engagement als Mitgründer und Jugendtrainer des SV Concordia Nowawes 06. Neben der politischen Arbeit und guter Literatur ist das seine dritte Leidenschaft. „Mich interessiert dabei weniger der Sport, als die Dynamik von Kinder- und Jugendgruppen. Die Jugendlichen dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu gehen, treibt mich an“, sagt er. Außerdem ist Boede ehrenamtlich in mehreren Vereinen, Initiativen und Beiräten tätig. Halbtags arbeitet er als Fraktionsgeschäftsführer von Die Andere. Zudem erhält er eine monatliche Opferpension für seine Stasihaftzeit.

„Ich bin halt keiner, der den Menschen so in den Weg springt“

Gegen 16 Uhr an diesem Tag packt Boede seinen Infostand in der Waldstadt zusammen – ausnahmsweise. Eigentlich wäre er gerne länger geblieben, doch heute ist Stadtverordnetenversammlung und da will er unbedingt dabei sein. Nicht als Verordneter, sondern als Besucher. In der Fraktion herrscht das Rotationsprinzip. Einmal im Jahr wechseln die Verordneten. Boede aber will nichts verpassen. Zuvor jedoch muss er noch ins Fraktionsbüro. „Da warten bestimmt wieder zehn neue Wahlprüfsteine. 20, 30 haben wir wohl schon beantwortet“, schätzt Boede. Manchmal seien die Fragen schon sehr ausführlich, fügt er mit leicht gequältem Lächeln hinzu. „Ist ja auch gut so, wir wollen ja unsere Positionen unter die Leute bringen.“

Gegen 17 Uhr nimmt Boede Platz im Besucherbereich des Plenarsaals im Stadthaus. Es geht unter anderem um die Pläne der Stadt, in Babelsberg für einen neuen Sportplatz ein kleines Waldstück zu opfern. Das will Die Andere mit einem eigenen Antrag verhindern. Boede hört ruhig zu. Auch in seinem „11-Punkte-Sofortprogramm als OB“ findet sich allerlei zum Erhalt des Stadtgrüns und zum Breitensport. Zum Babelsberger Waldstück jedoch wird an diesem Abend gar nichts mehr entschieden. Mit der Mehrheit aus SPD und CDU/ANW wandern alle Anträge in die Ausschüsse. Sekt oder Selters?

Boedes eigene Bilanz für diesen Tag fällt ebenfalls gemischt aus: Am Bassinplatz eher erfreulich, in der Waldstadt war sein Stand eher mäßig frequentiert. „Ich bin halt keiner, der den Menschen so in den Weg springt“, sagt er gelassen. „Es geht ja auch darum, gesehen zu werden.“ Wenn er, wie zu erwarten, nicht gewählt wird? „In erster Linie geht es mir bei der Kandidatur darum, auch andere Themen in der Stadt zu diskutieren.“ Und egal, wie es ausgehe: „Wir werden weiter aktiv sein.“

Das nächste Kandidaten-Porträt erscheint am Montag: Götz Friederich (CDU). Reihenfolge und Autoren haben wir per Los bestimmt.

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