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Landeshauptstadt: Oben ohne

Einst standen auf dem Stadtschloss viele Figuren, ein Verein bemüht sich seit Jahren um ihre Rückkehr auf das Dach. Doch nun gibt es erneut Verzögerungen: Es fehlt ein Gutachten, das die Statik-Frage klärt

Von Katharina Wiechers

In leuchtendem Rosa empfängt der neue Landtag am Alten Markt seit einigen Wochen jeden, der vom Potsdamer Hauptbahnhof in Richtung Innenstadt geht. Doch auch wenn es so aussieht, als wäre das Parlament im Antlitz des ehemaligen Stadtschlosses äußerlich schon komplett – ein wichtiges Detail unterscheidet das Gebäude noch von seinem historischen Vorbild: Die knapp 170 Figuren, die einst das Dach zierten, sind noch nicht zu sehen.

Dass auch diese eines Tages wieder den Risalit des Gebäudes schmücken, ist Ziel des Vereins Potsdamer Stadtschloss. Da das Land für die Sandsteinfiguren nicht aufkommen will, sammelt der Verein Spenden und versucht so, die Sanierung beziehungsweise Rekonstruktion der Skulpturen zu finanzieren. Eigentlich sollten die ersten vier Figuren auch schon längst auf dem Dach stehen, wie Joachim Kuke vom Verein Potsdamer Stadtschloss sagt. Doch nun steht der Verein vor einer neuen Hürde: Das Finanzministerium fordert ein Gutachten darüber, dass die Figuren auch sicher auf der Balustrade stehen. „Wir müssen nachweisen, dass die Statik stimmt und die Figuren dem Winddruck standhalten“, sagt Kuke. Bezahlen müsse die Gutachten der Verein, fügt er zerknirscht hinzu. Wie hoch die Kosten werden, wisse er noch nicht.

Derzeit werden laut Kuke drei Musterskulpturen ausgewählt, anhand derer die Statik berechnet werden soll. Dies soll je eine sitzende und eine stehende Figur sowie eine Vase sein. Im September oder Oktober, so hofft er, können dann endlich die vier ersten Figuren auf das Dach gehoben werden.

Geschaffen wurden die überlebensgroßen Skulpturen von den Bildhauern Johann Gottlieb Heymüller und Leonhard Storch Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie wurden nach Umgestaltung des Potsdamer Stadtschlosses durch Friedrich II. und seinem Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff zwischen 1744 und 1752 auf das Dach gesetzt. Friedrich der Große liebte die Antike und ließ daher Götter und Helden in leichter Bekleidung oder ganz nackt anfertigen – eine eher ungewöhnliche Freizügigkeit für die damalige Zeit. Bis zum Zweiten Weltkrieg schmückten die Sandsteinfiguren das Dach, dann wurde das Schloss bei einem Luftangriff zerstört. Einige Figuren gingen zu Bruch, und was danach nicht von Vandalen beschädigt wurde, fiel spätestens 1959/60 der Sprengung der Ruine auf Geheiß der SED zum Opfer.

Doch einiges ist trotzdem erhalten geblieben. Denkmalpfleger konnten noch vor der Sprengung einige Figuren retten, zudem gibt es noch zahlreiche Fragmente der zerstörten Figuren. Auch Privatleute sicherten so manches Teil des alten Schlosses.

Acht intakte Figuren gingen 1966 als Leihgabe nach Berlin, sie zieren die Humboldt-Universität Unter den Linden. Nun wollen die Berliner sie nicht wieder hergeben, als Argument wird vorgebracht, dass das historische Uni-Gebäude inklusive der Figuren ein Denkmal darstellt. Auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die für königliche Bauten in beiden Bundesländern zuständig ist, hat sich für einen Verbleib in Berlin ausgesprochen. Stattdessen soll der Stadtschlossverein Kopien anfertigen lassen. Vize-Vorsitzender Kuke sieht das natürlich anders. Er glaubt nicht, dass für Kopien Spender gefunden würden. „Außerdem wurden die Figuren für Potsdam gemacht, hier gehören sie auch hin.“ Für ihn sind die Skulpturen in Berlin nichts anderes als Beutekunst.

Doch auch in Potsdam gibt es noch viele Überreste und sogar 18 halbwegs vollständige Statuen. Verwaltet und aufbewahrt werden sie ebenso wie die vielem Fragmente der Schlösserstiftung. Damals, nach der Sprengung, wurde alles in ein Waldstück jenseits von Sanssouci gebracht. Dort „versackten“ sie jahrzehntelang, wie Saskia Hüneke, Mitarbeiterin der Schlösserstiftung und Kustodin der Skulpturensammlung, es ausdrückt. Als klar war, dass die Helden und Götter nach über 50 Jahren wieder an ihren eigentlich Platz zurückkehren sollen, wurden sie dort geborgen und warten seitdem auf dem Schirrhof der Stiftung auf ihre Restaurierung.

Überzogen von einer dunklen Schicht aus Staub und mit einigen Fehlstellen stehen die meisten der kompletten Figuren in einem Verschlag. Hüneke blättert in ihren Aufzeichnungen. Sie will herausfinden, welchen Jüngling sie gerade vor sich stehen hat. „Nein, der macht einen anderen Hüftschwung. Der schaut nach links, dieser hat nichts an“, murmelt sie. Dann hat sie das alte Foto mit der Bezeichnung gefunden: Ein „Jüngling“ von Johann Gottlieb Heymüller von 1751 ist es, der seinen Kopf da so elegant zur Seite neigt, mit einem feinen Lächeln auf dem Gesicht und der Hand lässig an der Brust.

Draußen auf dem Lagerplatz gibt es noch mehr Stadtschloss-Reste, dort liegen hauptsächlich Fragmente. Mal ist ein Unterkörper zu erkennen, mal ein Torso, auch ein Teil einer Laute ist auszumachen. In der Wiese liegen etwa 20 Bruchstücke von Armen, Beinen – ein Knie ist zu erkennen, das daneben könnte ein Ellenbogen sein. Mithilfe von zahlreichen Freiwilligen wurden so viele Teile wie möglich schon zugeordnet. Eine unschätzbare Hilfe seien dabei eine Reihe noch erhaltener Fotoplatten aus dem Jahr 1912 gewesen, sagt Hüneke. Damals wurde das Schloss von mehreren Perspektiven aus festgehalten, sodass die Standorte der Figuren noch heute bekannt sind. Wieder vollständig mit Kopf und Armen ist zum Beispiel schon eine Herkules-Statue, eine der ersten Skulpturen, die der Stadtschlossverein mithilfe eines Spenders restaurieren ließ. Die Frischekur sieht man ihr an: Der Herkules ist deutlich heller als seine Kollegen im Verschlag, auch fehlen ihm keine Finger oder andere Körperteile mehr.

Bis alle Figuren wieder auf ihrem angestammten Platz stehen, werden noch Jahre vergehen. Zu teuer ist die Restaurierung, der Herkules etwa kostete 30 000 Euro. Und der war noch halbwegs erhalten, die meisten Figuren müssten hingegen komplett nach den Fotos rekonstruiert werden. Doch weder Kuke noch Hüneke wollen sich geschlagen geben. Vielleicht besinnt sich die Politik ja doch noch eines Tages und hilft mit einer größeren Finanzspritze. „Wenn erst mal ein paar Figuren oben stehen, dann werden einem die Lücken bewusst, die durch die noch fehlenden entstehen“, sagt Hüneke. Und sie erinnert an die Denkmalpfleger, die die Skulpturen 1959 gerettet haben. „Das war doch eine völlig unvernünftige Hoffnung, dass die Figuren eines Tages wieder auf dem Stadtschloss stehen. Und jetzt geht sie in Erfüllung.“

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