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Fünf Seiten mit Auflagen. „Hafthorn“-Chef Jörn Rhode arbeitet sich durch die Regeln.

© Andreas Klaer

Neustart der Gastronomie in Potsdam: Wohlfühlatmosphäre mit 60 Regeln

Potsdams Gastronomen bereiten sich auf die Öffnungen ihrer Lokale vor. Doch die Auflagen sind streng. Und es gibt noch viele offene Fragen.

Potsdam - Stühle raus – das ist ab Freitag die zweifache Losung für Potsdams Gastronomen. Denn wenn die Restaurants wieder öffnen dürfen, werden zum einen die Außenbereiche reaktiviert, zum anderen müssen drinnen wie draußen massiv Sitzplätze reduziert werden – wegen der Abstandsregeln. „Normalerweise haben wir drinnen 99 Plätze, jetzt sind es 43“, sagt Jörn Rohde. Der Geschäftsführer der Hafthorns steht im Innenhof seiner Kneipe und studiert ein fünfseitiges Schreiben des Brandenburger Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga): Handlungsempfehlungen mit 60 Einzelpunkten, die es bis Freitag umzusetzen gilt.

Drinnen räumen die Mitarbeiter um. Auch draußen haben sich die Sitzplätze reduziert: Sonst stehen 22 Biergartengarnituren im Hof, jetzt dürfen es nur noch zwölf sein, und an jeder dürfen maximal vier Personen sitzen – sofern diese miteinander verwandt sind oder in einem Haushalt leben. Rohde schüttelt den Kopf: „Wie soll ich herausfinden, wer ein Pärchen ist oder nicht?“ Alle Gäste müssten mit Namen, Adressen und Ankunftszeit aufgeschrieben werden – ein zusätzlicher Zeitaufwand für das Personal, so Rohde. 

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Hauptproblem sei jedoch die Menge an Gästen: „Ich habe weiterhin 90 Prozent der Kosten, aber 50 Prozent weniger Umsatz – davon kann ich nicht leben“, sagt Rohde. Deshalb habe er sich für die Außentische nun große Plexiglasscheiben gekauft: Mit ihnen will er die Tische trennen, so dass an einen Tisch – so wie sonst auch – acht Gäste sitzen können. „Das wäre für mich Gold wert!“, sagt Rohde.

Erleichterung ja, Begeisterung nein

Auch wenn Potsdams Gastronomen erleichtert sind, dass sie wieder öffnen können – von Begeisterung ist oft nicht viel zu spüren. „Ich kenne niemanden, der hocherfreut ist, dass er am Freitag wieder aufmachen darf“, sagt René Dost, Chef der Redo-Gruppe, zu der unter anderem das Café Heider gehört. Dennoch versuche man weiterhin Wohlfühlatmosphäre zu bieten: „Wir werden im Café Heider keine Tische rausräumen, so dass das Café halbleer ist. Stattdessen werden wir auf Tische, an die man sich nicht setzen soll, ein ‚Reserviert'-Schild stellen“, so Dost.

Auch sonst läuft alles auf kleinerer Flamme: Einige Filialen werden nicht mittags, sondern erst gegen Abend öffnen. „Es ist ja noch kein Besucheransturm zu erwarten“, sagt Dost. Das hat auch Konsequenzen für das Personal: „Wenn ich nur 50 Prozent Sitzplätze habe, brauche ich nicht hundert Prozent Besatzung.“

Das Wohlgefühl leidet. Alexandra Horn von der französischen Creperie „La Madeleine“ muss auf Tischschmuck vorerst verzichten.  
Das Wohlgefühl leidet. Alexandra Horn von der französischen Creperie „La Madeleine“ muss auf Tischschmuck vorerst verzichten.  

© Andreas Klaer

Einen Teil des „Wohlfühlambientes“ werden aber wohl alle Restaurants einbüßen: „Wir haben keine gedeckten Tische mehr, also auch keine Blumen und Kerzen“, sagt Alexandra Horn, eine der Geschäftsführerinnen der französischen Creperie „La Madeleine“. Auch ganz ohne Gesichtsmaske geht es nicht: „Gäste müssen eine Maske tragen, wenn sie hereinkommen, am Tisch können sie sie ablegen, aber wenn sie zum Beispiel auf Toilette gehen, müssen sie sie wieder anlegen“, sagt Horn. All dies folgt den Handlungsempfehlungen der Dehoga.

Abholservice wurde kaum genutzt

Auch Mohammad Alsulaiman versucht die Regeln so gut es geht umzusetzen: „Ich habe nur einen kleinen Laden, wir haben die Plätze von 34 auf 18 reduziert“, sagt der Geschäftsführer des arabischen Restaurants „De Lewante“. Dennoch ist er froh über die Öffnung, denn in den letzten Wochen lief das Geschäft sehr schlecht: „Ich habe einen Abholservice eingerichtet, aber das haben pro Tag nur zwei bis drei Leute genutzt“, so Alsulaiman.

Weniger Plätze. Mohammad Alsulaiman vom „De Lewante“ schafft Abstand.
Weniger Plätze. Mohammad Alsulaiman vom „De Lewante“ schafft Abstand.

© Andreas Klaer

Ein anderes Problem sind die Öffnungszeiten von sechs bis 22 Uhr, die vor allem für Kneipen unrealistisch sind: „22 Uhr ist normalerweise unser Kerngeschäft, wir haben meist bis ein oder zwei Uhr nachts auf“, sagt Jörn Rohde vom Hafthorn. Er hofft auf eine Sondergenehmigung: „Lieber würde ich später öffnen und dann länger aufhaben.“ 

All das weiß auch Olaf Schöpe von der Dehoga: „Die jetzige Lockerung ist sicher noch kein Befreiungsschlag, aber zumindest eine Milderung der Not.“ Die jetzigen Lockerungen seien ein Beginn, man wolle sich aber bei der Politik für weitere Fortschritte einsetzen.

SPD fordert mehr kostenlose Außenflächen

Und die Politik reagiert: Die Potsdamer Stadtfraktion der mitregierenden SPD veröffentlichte eine Pressemitteilung, in der von der Verwaltung ein Konzept gefordert wird, das Gastronomen Planungssicherheit geben soll. Vorgeschlagen wird unter anderem die Ausweisung zusätzlicher kostenloser Außenflächen: „Angesichts der veränderten Verkehrslage wäre das ein gangbares Mittel, um die neuen Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen einzuhalten“, heißt es.

Ob das in Potsdam so gehandhabt wird, ist indes noch offen. Stefanie Zander, die das Babelsberger Restaurant Otto Hiemke mit ihrem Bruder Daniel Zander betreibt, erzählt, man habe gehört, dass sie eventuell den Außenbereich erweitern dürfen. Die Stadt konnte das auf Nachfrage nicht bestätige, so Zander: „Man sagte uns, stellt erstmal hin.“ Das Werkzeug des Tages ist bei ihr der Zollstock. „Wir sind gerade dabei, die Abstände zwischen den Tischen auszumessen“, sagt sie. „Wir sind erst gestern über Umwege an die Auflagen gekommen, das war nicht einfach, und die müssen jetzt schnell umgesetzt werden.“ Etwa 50 Prozent der Bestuhlung werden sie am Ende anbieten können. Die vergangen Wochen seit März konnte Zanders nur überstehen, weil sie ein Familienbetrieb sind und keine Miete zahlen müssen, sagt Stefanie Zander. „Mein Bruder und ich haben Hartz IV beantragt, die Eltern halfen unentgeltlich im Restaurant und die Kinder bei Online-Dingen.“ Kurzarbeit für das Personal und steuerliche Erleichterungen hätten auch geholfen. Weil es weiterhin besorgte Gäste gebe, wird es neben dem Restaurantbetrieb auch den Außer-Haus-Verkauf weiter geben. 

Gut zu tun hat jetzt auch das Team von Kades Restaurant am Pfingstberg. „Abschließen war einfacher als Öffnen“, sagt Mario Kade. Auch er kämpft sich durch die Auflagen. Manches ist noch unklar: Wie viele dürfen an einen Tisch, wie serviert man Getränke und Speisen, damit sich das Personal nicht ansteckt? Schiebt man das lieblos auf einem Servierwagen an den Tisch? Nach jedem Gast muss Tischwäsche gewechselt und alles desinfiziert werden. Gäste müssen reservieren, Kade arbeite dafür mit einem Schichtsystem. Adresslisten sind Pflicht. All das bedeutet mehr Arbeit fürs Personal – bei viel weniger Umsatz. „Bei uns wird es deshalb weiterhin in Teilen Kurzarbeit geben.“

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