zum Hauptinhalt

Neues Verkehrskonzept für Potsdams Innenstadt: Verkehrsexperte Ortgiese: „Die Kaufkraft der Autofahrer wird überschätzt“

Der Potsdamer Verkehrsexperte Michael Ortgiese erklärt im Interview, wieso das neue Innenstadtverkehrskonzept für Potsdam nachvollziehbar ist, aber noch nicht weit genug geht.

Herr Ortgiese, die Potsdamer Stadtverwaltung hat ein neues Innenstadtverkehrskonzept vorgelegt. Demnach soll es mehr Tempolimits geben und weniger Durchgangsverkehr. In der Friedrich-Ebert-Straße sollen Parkplätze wegfallen. Was halten Sie davon?

Im Grunde ist das noch viel zu wenig, wenn man bedenkt, wie sich die Potsdamer Mitte in den kommenden Jahren verändern wird. Die Friedrich-Ebert-Straße wird zwischen Nauener Tor und dem Steubenplatz die zentrale Achse der Innenstadt werden und sollte auch entsprechend aufgewertet werden. Sie wird eine ganz wichtige städtebauliche Funktion haben.

Ansässige Händler befürchten Umsatzeinbußen, wenn ihre Kunden nicht mehr vor den Geschäften parken können

Zunächst geht es ja um einen Prüfauftrag. Das Konzept der Stadt bezieht sich auf den Bereich zwischen Nauener Tor und Charlottenstraße – dort hat die Friedrich-Ebert-Straße schon heute keine Durchgangsfunktion mehr. Man sollte sich genau anschauen, wer dort parkt. Ich bezweifle, dass da so viele Kunden dabei sind. Und Parkhäuser sind in der Umgebung ausreichend vorhanden. Aber allgemein wird auch die Kaufkraft der Autofahrer in Innenstadtlagen überschätzt.

Eine schlechtere Erreichbarkeit mit dem Auto könnte also gar kein Nachteil sein?

Ich sehe da eher Vorteile. Generell gilt: Je attraktiver ein Aufenthaltsort ist, umso mehr Kaufkraft zieht er an. Das sieht man ja in Fußgängerzonen wie der Brandenburger Straße. Angesichts des Sortiments des Einzelhandels in der Innenstadt ist durchaus fraglich, ob die Einkäufe unbedingt mit dem Auto vor der Ladentür transportiert werden müssen. Schließlich werden dort ja keine Waschmaschinen verkauft. Für die zu Fuß gehenden Einkäufer würde die Straße attraktiver werden. Idealerweise sollten Fußgänger die Straßenseite ohne größere Umstände wechseln können. Das ist derzeit schwierig zwischen den parkenden Autos. Das ist ein Sicherheitsrisiko. Zum Beispiel können sich Radfahrer und Fußgänger gegenseitig schlecht sehen.

In der Gutenbergstraße gab es in der Vergangenheit Beschwerden wegen des Schleichverkehrs. Den will die Stadtverwaltung laut dem neuen Konzept nun kappen. Ist das eine gute Idee?

Wenn man sich dort morgens hinstellt, sieht man, dass der Schleichverkehr ein Problem ist. Insbesondere wenn die Hegelallee stark belastet ist, versuchen viele Autofahrer, über die Gutenbergstraße voranzukommen. Das ist ein bekanntes Problem in rasterförmig angelegten Straßennetzen wie in der barocken Stadterweiterung. Das muss man dann eindämmen. Eine Einbahnstraßenregelung wäre eine mögliche Lösung.

Das Konzept schlägt auch einen Poller an der Einmündung zur Friedrich-Ebert- Straße vor.

Ein Poller würde die Straße zur Sackgasse machen. Da müsste man untersuchen, ob das nicht neue Probleme bei der Erschließung für die Anwohner verursacht. Vermutlich müsste der Poller auch versenkbar sein, damit Rettungsfahrzeuge durchkommen. Wichtig ist, dass die Anwohner ihre Häuser weiterhin erreichen können.

Im Gebiet zwischen Hegelallee und Brandenburger Straße sieht das Konzept auch Tempo 20 vor. Wie beurteilen Sie diese Maßnahme?

Es handelt sich um ein innerstädtisches Gebiet mit vielen Geschäften und gleichzeitig um ein Wohngebiet. Ein verschärftes Tempolimit kann da ein Gewinn sein. Weniger Tempo führt auch zu weniger Lärm. Außerdem geht es auch um den Sicherheitsaspekt in Straßen, in denen viele Fußgänger unterwegs sind. Geschwindigkeit geht ja im Quadrat in den Bremsweg ein, um es mal physikalisch zu sagen. Für die Autofahrer dürfte der Zeitverlust sehr überschaubar sein. Die Reisegeschwindigkeit in städtischen Straßennetzen wird davon bestimmt, wie gut man die Knotenpunkte passieren kann. Die Geschwindigkeit dazwischen ist zweitrangig.

Welche Aufgaben hat denn die Innenstadt und welche Folgen hat das für den Verkehr?

Innenstädte sind der Bereich von Städten, wo sich Menschen treffen. Es gibt eine Vielzahl von Geschäften und Verwaltungen. Innenstädte bündeln administrative und soziale Funktionen für die ganze Stadt und darüber hinaus. Das bedingt natürlich, dass viele Menschen dorthin wollen. Und die muss man dorthin bringen. Das ist ein Vor- und ein Nachteil zugleich. Wenn man die Funktionen an verschiedene Orte verteilen würde, hätte man viel größere Verkehrsprobleme.

Wird das Konzept umgesetzt, werden Fußgänger, Radfahrer und der öffentliche Nahverkehr in der Innenstadt zu Lasten des Autos bevorteilt. Wird das Konzept damit der Bedeutung der Innenstadt gerecht?

Alles in dem Konzept, was sich auf das Gebiet innerhalb der Innenstadt bezieht, ist nachvollziehbar. Sicherlich gibt es in der Potsdamer Innenstadt nicht zu wenige Autos. Das Gebiet ist gut mit verschiedenen Haltestellen von Tram und Bus erschlossen. An keinem Punkt sind es mehr als 300 Meter bis zur nächsten Haltestelle. Dennoch hat das Konzept Schwächen.

Welche?

Die Frage, wie man die Innenstadt erreicht, kommt in dem Konzept nicht vor. Man hat das sehr eng gefasst. Das geltende Potsdamer Verkehrskonzept entspricht heute nicht mehr dem Wachstum der Stadt. Erst recht nicht, wenn man ein paar Jahre vorausdenkt. Das sollte überarbeitet werden. Die Zahlen darin stammen von 2008. Die zugrunde gelegte Bevölkerungsprognose für das Jahr 2025 hat Potsdam schon im vergangenen Jahr überschritten.

Welche Folgen hat denn das Wachstum?

Jeder zusätzliche Einwohner macht drei oder vier Wege täglich in der Stadt. Große Neubaugebiete liegen an der Peripherie wie in Fahrland oder Krampnitz. Wenn dort Tausende neue Potsdamer leben, wird das auch den Anteil des Fußgängerverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen senken. Auch Radfahren ist bei einer Entfernung von mehr als fünf Kilometern nicht mehr so attraktiv. Wenn man also will, dass die Bewohner nicht mit dem Auto in die Innenstadt fahren, sollte man rechtzeitig die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr mitdenken.

Was bedeutet das für die Innenstadt?

Das Bevölkerungswachstum in der Peripherie und auch im Potsdamer Umland muss in den Planungen integriert werden. Wer gar nicht erst mit dem Auto Richtung Innenstadt fährt, sucht dann dort auch keinen Parkplatz. Deshalb ist „park and ride“ ein wichtiger Ansatz. Im Umland von München und Frankfurt haben jeweils die Städte in den Zentren die Park-and-ride-Plätze in den Umlandgemeinden bezahlt. Potsdam muss auch seine Funktion als Oberzentrum erfüllen – dafür bekommt es auch mehr Geld vom Land. Die Menschen aus dem Umland haben ein Recht darauf. Dieser Punkt wird in der Diskussion auch manchmal vergessen.

Das Interview führte Marco Zschieck

ZUR PERSON: Michael Ortgiese ist seit 2012 Professor für Verkehrswesen an der Fachhochschule Potsdam. Der Diplom-Stadtplaner arbeitete vorher unter anderem an der Universität Karlsruhe.

Zur Startseite