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Der Potsdamer Verein der Muslime nutzt Räume in der Straße Am Kanal als Moschee - hier im Jahr 2015 war Oberbürgermeister Jann Jakobs (2.v.r.) zu Gast.

©  Andreas Klaer/PNN

Neues Forschungsprojekt: "Eine wild wachsende Religionslandschaft"

Brandenburg ist das einzige Bundesland, in dem es keine Daten über Muslime gibt. Ein Potsdamer Forschungsprojekt soll das ändern.

Muslime gibt es in Brandenburg schon lange: Bereits Friedrich Wilhelm I. ließ nämlich einen Gebetsraum für türkische Soldaten errichten (siehe unten). Doch wie sieht es in der Gegenwart aus, vor allem seit 2015, als viele Geflüchtete aus muslimischen Ländern nach Deutschland kamen? Wie viele Gemeinden gibt es, wie sind sie organisiert, welche Bedürfnisse und Probleme haben sie, etwa bei der Suche nach Gebetsräumen? 

„Brandenburg ist das einzige Bundesland, in dem es keine Daten über die hier lebenden Muslime gibt, auch keine geschätzten“, sagt Johann Hafner, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam.

Hafner ist Mitarbeiter eines seit Herbst 2017 laufenden Forschungsprojektes, das erstmals einen Überblick über die Muslime in Brandenburg geben soll. Jüngst stellten er, Projektleiter Seyit Arslan und Projektmitarbeiter Marco Gehendges vom Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaften an der Uni Potsdam einen Zwischenstand ihrer Untersuchungen vor. In Auftrag gegeben wurde die Forschungsarbeit „Muslime in Brandenburg“ vom brandenburgischen Wissenschaftsministerium.

Durch den Zuzug Geflüchteter gibt es deutlich mehr Gemeinden

Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler bislang muslimische Gemeinden in zwölf Städten besucht: Cottbus, Potsdam, Frankfurt (Oder), Brandenburg an der Havel, Rathenow, Neuruppin, Luckenwalde, Wittenberge, Senftenberg, Forst, Guben und Spremberg. Ihrer Schätzung nach leben derzeit circa 25 000 Muslime in Brandenburg, das entspricht etwa einem Prozent der Bevölkerung – bundesweit liegt der Anteil schätzungsweise bei 4,9 Prozent.

Seit dem Zuzug vieler Geflüchteter ist die Zahl der muslimischen Vereine deutlich gestiegen: Vor 2014 gab es in Brandenburg vier Vereine, derzeit sind es elf. In der Regel rechnen sich die Vereine keinem der großen Moschee-Verbände zu, wie zum Beispiel Ditib, sagt Hafner: „Es gibt eine wild wachsende Religionslandschaft mit vielen kleinen, regionalen Gemeinden.“ 

Potsdam hat die größte Gemeinde

Die meisten Gemeinden bestehen aus Syrern, Afghanen und Tschetschenen. Die genaue Größe der Gemeinden lässt sich nicht genau bestimmen, die Forscher beschränkten sich daher darauf, die durchschnittlichen Teilnehmerzahlen an Freitagsgebeten in den jeweiligen Städten zu ermitteln: An der Spitze liegt hier Potsdam mit 400 bis 500 Teilnehmern, gefolgt von Cottbus (300 bis 500), Brandenburg an der Havel (200) und Frankfurt (Oder) (150). Dass dies nur ein Ausschnitt der tatsächlich dort lebenden Muslime darstellt, zeigt das Beispiel Luckenwalde: Hier gibt es eine relativ große Gemeinde von rund 1000 Muslimen, an den Freitagsgebeten nehmen aber nur etwa 100 Personen teil.

Es sei nicht immer ganz einfach gewesen, mit den Gemeinden Kontakt aufzunehmen oder sie überhaupt zu finden, sagt Arslan: „Viele haben keine Webseite, höchstens eine Facebook-Seite.“ In einigen Fällen wussten selbst Integrationsbeauftragte kaum etwas über die Gemeinden, zum Beispiel in Brandenburg an der Havel. „Es war eine Pionierarbeit, dorthin zu gehen und die Gemeinden zu besuchen“, sagt Hafner.

Die Gemeinden waren sehr zugänglich für Gespräche

Entgegen dem Klischee von der „Hinterhof-Moschee“ seien die Gemeinden jedoch sehr zugänglich für Gespräche gewesen, sagt Arslan: „Sie sind nicht versteckt, es gab auch keine Sprachbarrieren.“ Vielmehr versuchen die meisten Gemeinden mit lokalen Akteuren zu kooperieren und suchen nach Hilfe, da sie oft nicht über Netzwerke verfügen und zudem Geldprobleme haben – die meisten finanzieren sich durch Spenden.

Zentrales Problem vieler Gemeinden in Brandenburg ist die Suche nach geeigneten Räumen: Nur in Potsdam in der Straße Am Kanal, in Cottbus, Brandenburg an der Havel und Wittenberge gibt es derzeit einen festen Gebetsraum. Auch in Bernau sollte 2017 ein Gebetsraum entstehen, dies kam nach mehreren rechten Demonstrationen jedoch nicht zustande. Acht brandenburgische Gemeinden suchen derzeit nach Gebetsräumen. Auch Geistliche zu finden ist nicht leicht: Derzeit arbeiten nur in Potsdam und Cottbus ausgebildete Imame, in den anderen Gemeinden wird diese Aufgabe von Laien verrichtet: „Da gibt es Imame, die waren in Syrien Busfahrer oder Bauarbeiter“, sagt Hafner.

Ende 2018 soll das Projekt abgeschlossen sein

Neben Gemeindevertretern sprach das Forscherteam auch mit Integrationsbeauftragten und Willkommens-Initiativen, die per Fragebogen Auskunft darüber gaben, wie zum Beispiel die Dialogbereitschaft der Gemeinden gegenüber der Öffentlichkeit ausgeprägt sei: „Dies wurde von den Gemeinden meist besser eingeschätzt, als von den Integrationsbeauftragten“, sagt Hafner. Auch bei der Frage „Haben Willkommensinitiativen gute Kenntnisse über Muslime?“ klafften die Einschätzungen auseinander, vor allem im ländlichen Raum: Während die Initiativen hier sehr positive Werte angaben, teilten die Gemeinden diese Sicht kaum. Zu einer relativ gleichen, positiven Einschätzung kamen alle Befragten hingegen bei der Frage „Haben die muslimischen Migranten das Stadtbild bereichert?“

Ende 2018 soll das Projekt abgeschlossen werden. Die Ergebnisse werden vermutlich eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und Politik und Verwaltung in Brandenburg darstellen, schätzt Hafner.

Die Potsdamer Alfaruk-Moschee des Vereins der Muslime in Potsdam, Am Kanal 61, beteiligt sich am Tag der offenen Moschee am Mittwoch von 14 bis 17 Uhr.

HINTERGRUND: 

Die ersten Muslime, die in Brandenburg und Potsdam lebten, waren in der Regel Kriegsgefangene, Soldaten oder Diplomaten. 1731 schenkte der Herzog von Kurland König Friedrich Wilhelm I. von Preußen 22 türkische Gardisten, der Soldatenkönig ließ für sie einen Saal des Langen Stalls zum Gebetsraum umbauen. Gebetet wurde hier jedoch nicht am Freitag, sondern am Sonntag. Auch Friedrich II. nahm 1741 eine muslimische Einheit von 73 Tataren in seine Armee auf. Eine geplante Ansiedlung der „Ulanen“ auf preußischem Boden gelang jedoch nicht. 1762 liefen viele Muslime aus dem Heer des russischen Zaren zu Preußen über, aus ihnen entstand das „Bosniakenkorps“ mit eigenem Imam, Leutnant Osman.

Die erste echte Moschee auf deutschem Boden entstand 1914

1914 errichtete das Deutsche Reich nach Beginn des Ersten Weltkrieges in Wünsdorf bei Zossen ein „Halbmond-Lager“ für 4000 muslimische Kriegsgefangene aus Russland, Indien, Marokko und dem Senegal. Auch eine Moschee aus Holz mit einem 23 Meter hohen Minarett wurde errichtet, der erste echte Moschee-Bau auf deutschem Boden. Das Deutsche Reich versuchte die Gefangenen mittels Propaganda zum Überlaufen und zum „Heiligen Krieg“ gegen Russland und Frankreich zu bewegen.

Auch in der DDR lebten Muslime, meist Vertragsarbeiter und Studierende. Über muslimische Gemeinden in Brandenburg vor 1989 ist jedoch nichts bekannt. Seit 1992 befindet sich in Trebbus (Elbe-Elster) ein Derwisch-Konvent sowie das Sufi-Archiv Deutschland. In Potsdam wurde 1998 der Verein der Muslime in Potsdam e.V. gegründet, aus der 2001 die sunnitische Al Farouk-Moschee hervorging. Zuerst befand sie sich in der Leipziger Straße, heute ist sie in der Straße Am Kanal ansässig. Zwischen 2000 und 2012 hatte der Islamverein „Weimar-Institut“ einen Sitz in der Weinbergstraße. Hier befand sich ein Gebetsraum, zudem gab es Koranunterricht und auch die Redaktion der „Islamischen Zeitung“ befand sich hier. 

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