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Fereshta Hussain, neue Vorsitzende des Migrantenbeirats Potsdam.

© Andreas Klaer

Neue Vorsitzende des Migrantenbeirats: „Integration muss bei den Müttern passieren“

Fereshta Hussain will sich als neue Vorsitzende des Potsdamer Migrantenbeirats für die Bildung von Frauen engagieren - und auch selbst Vorbild für andere Geflüchtete sein. 

Bildung ist für Fereshta Hussain der Schlüssel. Der Schlüssel zum Ankommen, der Schlüssel zum Weiterkommen. So lebt sie ihr eigenes Leben und diese Botschaft will sie weitertragen. Vor einigen Wochen wurde die 39-Jährige als Nachfolgerin von Maria Pohle zur neuen Vorsitzenden des Potsdamer Migrantenbeirats gewählt. 

Das Gremium berät die Stadtverordnetenversammlung und die Ausschüsse in Integrations- und Migrationsfragen. „Ich will zeigen, dass ich auch als Frau gebildet bin, mich integriert habe“, sagt Hussain selbstbewusst. Sie will damit auch gegen Vorurteile ankämpfen, dass Migranten oder Geflüchtete sich nicht beteiligen. „Ich will Vorbild sein für andere Menschen mit Fluchthintergrund und Vorbild für andere Frauen.“

Fereshta Hussain kam im Jahr 2000 mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern aus Afghanistan nach Potsdam. Eine junge Frau, gerade 18, in einem Haushalt, für den Bildung immer wichtig gewesen war – und die unter den Taliban vier Jahre lang nicht zur Schule gehen durfte. Die immer nur zu Hause war, so erzählt sie es, unterrichtet von der Mutter. Und dann die Flucht – und die Ankunft in Deutschland. „Ich habe mich endlich frei gefühlt, endlich sicher. Und ich war sehr neugierig“, so beschreibt Fereshta Hussain ihr Ich von damals, vor mehr als 20 Jahren.

„Potsdam ist meine Stadt“

Sich im deutschen Bildungssystem zurecht zu finden, war anfangs nicht leicht. „Damals gab es noch nicht so viele Beratungsangebote. Ich hatte noch kein Deutsch gelernt, sondern bin direkt in die Steuben-Gesamtschule gegangen“, erzählt Hussain. „Mein Lehrer hat sich super gekümmert, ich habe dort gute Erfahrungen gemacht.“ Mittlerweile fühlt sie sich in Potsdam zu Hause. „Das ist meine Stadt, die schönste, die ich kenne“, sagt sie im virtuellem Gespräch vor dem digitalen Hintergrund von Schloss Sanssouci.

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Sie fand ihren Weg durch das Bildungssystem und gab sich nicht zufrieden mit dem Erreichten. Nach dem Schulabschluss begann sie eine Ausbildung als Sozialpflegeassistentin, eine weitere als Erzieherin – und holte parallel dazu in einer Abendschule das Abitur nach. „Ich wollte mir möglichst viele Türen öffnen“, sagt die dynamische Frau, die eine jugendliche Energie ausstrahlt. So sattelte sie einen Bachelor und einen Master im Bereich Pädagogik drauf. 

Sie entdeckte den Themenbereich Migration und Integration für sich, schrieb eine Abschlussarbeit zum Thema. Derzeit arbeitet Hussain als Koordinatorin für Willkommenskultur im SOS-Familienzentrum in Berlin-Hellersdorf. Als wäre das nicht genug, ist sie parallel in zwei verschiedenen Masterstudiengängen in Potsdam und Berlin eingeschrieben. „Es interessiert mich einfach“, antwortet sie lachend auf die Frage, wie das alles gleichzeitig geht. Vielleicht will sie noch eine Promotion anschließen.

Im Krieg geboren, im Krieg gestorben

Damit Bildung funktioniert, davon ist Hussain überzeugt, müsse man die Menschen dort abholen, wo sie stehen. „Wer in Afghanistan lebt, wird im Krieg geboren, wächst im Krieg auf und stirbt im Krieg“, sagt sie. Oft hätten die Geflüchteten nur wenig Vorkenntnisse. „Aber durch Nachmittagsprogramme in den wichtigen Fächern kann viel nachgeholt werden“, glaubt sie. Eine Investition in die Zukunft, sagt sie: Würden die Kinder früh gefördert, gebe es später weniger Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

Als ihre Aufgabe sieht sie auch der Einsatz gegen Alltagsrassismus in Potsdam. „Eine junge Frau hat mir erzählt, dass sie keinen Ausbildungsplatz bekommen hat, weil sie ein Kopftuch trägt“, berichtet Hussain. Da sei viel Kommunikation nötig, auf beiden Seiten.

„Offenes Herz, offenes Ohr“

Fereshta Hussain hatte schon 2019 für den Migrantenbeirat kandidiert, war aber nicht gewählt worden. Jetzt kam sie über die Warteliste in das Gremium und ließ sich gleich als Vorsitzende aufstellen. Ihre Mitstreiter sehen darin kein Problem. „Fereshta Hussain engagiert sich schon lange für geflüchtete Frauen, sie kennt die Themen sehr gut und macht lösungsorientierte Vorschläge“, lobt Jala El Jazairi, Mitglied im Migrantenbeirat. Sie hofft auf die Netzwerk-Fähigkeit Hussains, um noch enger mit anderen Organisationen in Brandenburg zu kooperieren. 

Ein weiterer Vorzug, so El Jazairi: „Fereshta hat ein offenes Herz und immer ein offenes Ohr.“ Einen Vorteil für ihr neues Ehrenamt sieht Potsdams Integrationsbeauftrage Magdolna Grasnick auch in Hussains eigener Fluchterfahrung. So könne sie „aus ihrer hauptamtlichen Profession und aus ihrer persönlichen Integrationsleistung schöpfen“.

„Ich will den Menschen zeigen, dass man alles erreichen kann, aber man muss dafür kämpfen“, sagt Hussain. Ihr besonderes Augenmerk liegt dabei auf Frauen und Müttern. Denn: Mütter erziehen die Kinder, so die Argumentation, vermitteln Werte und Kultur. 

„Ich habe in Potsdam immer wieder junge Frauen mit kleinen Kindern getroffen, die der Bildung jahrelang fern bleiben“, sagt Hussain. Sie bekämen das erste Kind mit 18 oder 20, oft folge auf die erste Elternzeit eine weitere. „Ich habe mit Müttern Ende 20 gesprochen, die weinten, und mir sagte, sie hätten diese Jahre verloren und nichts gelernt.“ 

Hussain will sich auch als Vorsitzende des Migrantenbeirats für diese Frauen einsetzen. „Es ist wichtig, die Mütter für Deutschkurse zu aktivieren – das geht auch in der Elternzeit“, sagt Hussain. Hinweise könnten beispielsweise das Jugendamt oder das Jobcenter geben. Denn die Rolle der Frauen sei zentral, so Hussain: „Integration muss bei den Müttern passieren.“

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