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Rund 20 000 Menschen leben im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

© Jörn Neumann

Nach Reise in griechische Flüchtlingslager: Schubert will Bundesländer anschreiben

Nach seiner Rückkehr von der griechischen Insel Lesbos versucht Potsdams Oberbürgermeister, auf eine Bundesratsinitiative hinzuwirken. So sollen Potsdam und andere Städte unbegleitete Kinder aus Flüchtlingslagern aufnehmen können.

Nach seiner Rückkehr von der griechischen Insel Lesbos drängt Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) auf eine rasche Lösung, um 500 unbegleitete Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland zu holen. Das sagte er am gestrigen Sonntag vor der Presse. Um das zu erreichen, will Schubert gemeinsam mit den anderen 140 Städten der Initiative Sichere Häfen bei jenen Bundesländern um eine Bundesratsinitiative werben, die bereit sind, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Dazu zählen etwa Thüringen, Berlin oder Niedersachsen. „Wir werden all diese Länder anschreiben und um Unterstützung bitten“, sagte Schubert. Auch an die brandenburgische Landesregierung werde er sich wenden. 

Ein Treffen mit Seehofer wurde verschoben

Lieber wäre ihm aber der schnellere und direktere Weg über das Bundesinnenministerium, wie er deutlich machte. „Wir brauchen endlich ein Treffen und zwar nicht nur auf Arbeitsebene“, so Schubert. Namentlich nannte er Innenminister Horst Seehofer (CSU) zwar nicht, doch der Adressat des Appells war eindeutig. Ein im Januar anberaumtes Treffen war demnach verschoben worden, ein neuer Termin soll Mitte März stattfinden. „Aufgrund der aktuellen Situation hoffe ich, dass es bereits vorher eine positive Entscheidung des Innenministeriums gibt“, sagte der Oberbürgermeister. 

Am Sonntagmorgen habe er zudem mit Klara Geywitz gesprochen, Potsdamerin und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. Diese habe zugesagt, die Dringlichkeit der Thematik innerhalb der Partei auf Bundesebene ansprechen zu wollen. Geywitz bestätigte das auf Anfrage. 

Schubert war mit einer Delegation aus Vertretern der Evangelischen Kirche und verschiedener Städte nach Griechenland gereist. Er sowie zwei seiner Begleiter auf der dreitätigen Reise nach Athen und in das vollkommen überfüllte Flüchtlingslager Moria auf Lesbos schilderten sichtlich bewegt ihre Eindrücke vor Ort. Evangelos Tsekos, Arzt vom städtischen Bergmann-Klinikum, erzählte von den vielen Kindern und Jugendlichen, die von „Ärzte ohne Grenzen“ in einer ambulanten Kinderklinik behandelt werden. Schlangenbisse, Verbrennungen durch die improvisierten Kochgelegenheiten, psychische Probleme bis hin zu Selbstverstümmelungen und Suizidversuchen. Die unbegleiteten Kinder leben mit Tausenden anderen Menschen in und um die Camps, wo es nur eine Toilette für 167 Menschen und eine Dusche für 242 Personen gibt. 

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas drei Flugstunden von hier entfernt erleben muss“, sagte Ursula Löbel, Leiterin des Bereichs Partizipation und Tolerantes Potsdam in der Verwaltung. Es dürfe nicht geduldet werden, dass Menschen unter diesen unsäglichen Bedingungen hausen müssen. „Ich habe in müde, erschöpfte und hoffnungslose Gesichter geblickt von Frauen und Kindern“, schilderte sie. 

Schlechter als im Kosovo nach dem Krieg

Oberbürgermeister Schubert verglich die Lage mit dem Kosovo, wo er als Soldat 2002, einige Jahre nach Kriegsende, im Rahmen des KFOR-Einsatzes ein halbes Jahr lang stationiert war. „Dort war die Lage besser als die Situation der Flüchtlinge auf Lesbos“, so Schubert. 

Durch die Ansage des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Flüchtlinge an der Grenze zu Griechenland nicht mehr aufzuhalten, habe sich die Lage weiter verschärft. „Wir haben es auch mit einer sich verändernden Situation vor Ort zu tun“, so Schubert. Es hatte in den vergangenen Tagen schwere Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und Polizei gegeben, als Reaktion auf die Ankündigung der Regierung, ein weiteres Flüchtlingslager zu bauen. „Es handelt sich um pure Verzweiflung“, äußerte Schubert Verständnis für die Proteste. Die Untätigkeit der Europäischen Union werde auf dem Rücken der Menschen ausgetragen. Es sei nicht tragbar, dass es noch immer keine Einigung über die Verteilungssituation gebe. Zudem kritisierte Schubert die „Apathie Europas in der Syrienkrise“. Solange Syrien nicht befriedet sei, werde sich die Flüchtlingssituation kaum entspannen können. „Ich appelliere an die Bundesregierung, eine aktivere Rolle im Syrienkonflikt einzunehmen“, sagte der Oberbürgermeister. Es reiche nicht mehr aus, auf eine europäische Lösung zu warten. 

Spendensammlung durch Potsdamer Verein

Parallel zu den Bemühungen auf politischer Ebene hat die Delegation überlegt, wie und ob zusätzlich konkrete Hilfe für die Flüchtlinge vor Ort geleistet werden kann. Der Verein Neues Potsdamer Toleranzedikt hat ein Spendenkonto eingerichtet. „Wir nehmen dieses Angebot gerne an“, sagte Schubert. Er brachte auch eine Unterstützung durch das Technische Hilfswerk ins Spiel. „Das THW hilft an so vielen Orten, warum sollte das dort nicht möglich sein?“ 

Schubert warnte auch davor, zu lange zu warten. „Wenn wir die Situation so lassen wie jetzt, wird sie spätestens in zwei oder drei Monaten mit zunehmenden Temperaturen weiter eskalieren“, sagte er. Dann drohten zusätzliche Krankheitsausbrüche durch die schlechten hygienischen Bedingungen.

Die von ihm und dem Netzwerk Städte Sichere Häfen vorgeschlagene Aufnahme von 500 unbegleiteten Kindern unter 14 Jahren sieht er als ersten Schritt. Anschließend solle es in einem zweiten Schritt darum gehen, minderjährige unbegleitete Mädchen aus den Lagern zu holen. 

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