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Polizei präsentiert Ausbeute der Razzia in der Neonazi-Szene

© René Garzke/PNN

Update

Nach Razzia in Cottbus: Braune „Eingreiftruppe“ wollte mit „mit Kanaken abrechnen und Zecken schlagen“

Bei der Groß-Razzia gegen Nazi-Hools von Energie Cottbus haben die Ermittler neben Hakenkreuz-Deko auch Propaganda-Material der Identitären gefunden. Das wirft Fragen auf.

Potsdam/Cottbus - Hakenkreuz-Deko, Waffen, NS-Propaganda: Das alles haben die Ermittler am Mittwoch bei den Razzien gegen Neonazi-Hooligans aus dem Umfeld von Energie Cottbus gefunden. Außerdem haben die Ermittler bei den gewalttätigen Rechtsextremisten Propaganda-Artikel der Identitären Bewegung beschlagnahmt.

Staatsschutz: Identitäre Bewegung wurde von der Szene mitgetragen

Schon länger stand die Frage im Raum, inwieweit die Identitären in der Cottbuser Region mit den Nazi-Hooligans gemeinsame Sache machen. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag stellte der Staatsschutz-Chef des Landeskriminalamtes, Olaf Berlin, klar: Anhand der sichergestellten Gegenstände „sieht man die Schnittmenge zur Identitären Bewegung, die aus der Szene heraus mitgetragen wurde.“ Damit zeigt sich, dass das Problem in Cottbus weit über eine kriminelle Vereinigung aus Hooligans, Sicherheitsgewerbe und Kampfsportszene hinaus reicht – nämlich auch zu den europaweit aufgestellten Identitären. 

Die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner sagte nach der Razzia gegen die Nazi-Hooligans: "Bei Demonstrationen des Rechtsaußen-Vereins ,Zukunft Heimat‘ marschieren AfD und die sogenannte ‚Identitäre Bewegung‘ mit diesen Leuten Seite an Seite." Die Stadt Cottbus sei für die Rechtsextremisten zu einem Spielfeld geworden, "in dem sie austesten, wie weit sie gehen können".

Handydaten sind der wahre Schatz für die Ermittler

Der wahre Schatz für die Ermittler ist aber ein anderer: Es sind insbesondere die beschlagnahmten Handys. Schon im Vorfeld der Razzien am Mittwoch hatten die Ermittler bei anderen Straftaten insgesamt sechs Handys von Beteiligten eingezogen. Das erste sichergestellte Gerät hatte – neben der Bedrohung von Journalisten – auch das gesamte Ermittlungsverfahren ausgelöst. „Dessen Auswertung hat es uns ermöglicht, den Anfangsverdacht der kriminellen Vereinigung zu bejahen“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher aus Cottbus. 

25 Neonazi-Schläger organisierten sich in Gruppen-Chat

Konkret hatten die Neonazis in einer Messenger-App eine Gruppe mit dem Namen „Schnelle Eingreiftruppe“ gebildet, 25 Rechtsextremisten waren Mitglied. Die Gruppe wollte nach ihrer Selbstbeschreibung in Notfällen schnell zusammenkommen, sagte Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke. Sie wollten "bei Stress mit Kanaken abrechnen und Zecken schlagen", zitierte Mörke aus der Gruppe. Dazu, mit welcher App die Neonazis kommunizierten, wollte keiner der beteiligten Ermittler auf PNN-Anfrage etwas sagen. Staatsschutz-Chef Berlin verriet nur, dass die Gewalttäter verschlüsselt kommunizierten.

Allein auf den vor der Groß-Razzia beschlagnahmten Handys fanden die Sicherheitsbehörden 500.000 Chatnachrichten, 45.000 Fotos und fast 10.000 Videos. Jetzt, nach den Durchsuchungen, haben die Ermittler mehr als 30 Handys. Die große Datenmenge ist auch der Grund, warum bisher keiner aus dem Neonazi-Netzwerk in Untersuchungshaft sitzt – auch wenn nach der Razzia gegen 16 der insgesamt 20 Beschuldigten ein dringender Tatverdacht besteht. Staatsanwalt Brocher sagte, man habe zwar im Vorfeld intensiv über Festnahmen diskutiert. „Wir müssen aber so viele Beweismittel auswerten, dass wir mit den Fristen der Strafprozessordnung nicht zurechtkommen.“ Demnach hätten die Ermittler nur fünf Monate Zeit für die Auswertung des Datenschatzes. 

Bei 50 Straftaten prüfen die Ermittler eine Beteiligung des Netzwerks

Der Staatsanwalt stellte klar, dass die Razzien nicht das Ende der Ermittlungen darstellten. „Wir sind jetzt bei 30 oder 40 Prozent unserer Arbeit.“ Vielmehr seien die verdeckten Ermittlungen am Mittwoch zu offenen Ermittlungen übergegangen. Jetzt können die Sicherheitsbehörden damit beginnen, gezielt Opfer der Straftaten zu befragen, ohne das große, jetzt bekannte Ermittlungsverfahren zu gefährden. Zum jetzigen Zeitpunkt rechnen die Ermittler der kriminellen Vereinigung neun Straftaten zu, sagte Polizeipräsident Mörke. Es geht um Körperverletzungen, Verstöße gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigungen, Bedrohungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. 

Bei 39 weiteren Fällen prüfen die Behörden, inwieweit Personen aus dem Netzwerk beteiligt waren. Darunter sind nach PNN-Informationen auch der Fackelmarsch durch die Cottbuser Innenstadt im Januar 2017 sowie die Ku-Klux-Klan-Aktion bei der Aufstiegsfeier von Energie Cottbus. Tatsächlich könnten nach der Groß-Razzia noch viele weitere hinzukommen. Staatsanwalt Brocher sagte: „Wir haben viele Beweismittel gefunden – auch für neue Straftaten.“

Es gab Machtkämpfe mit den Hells Angels

Dass das Neonazi-Netzwerk die Grenzen zur Organisierten Kriminalität längst überschritten hat, steht für die Ermittler außer Frage. Die Szene habe sich in erster Linie vernetzt, „weil sie die Hells Angels in Cottbus aus ihrer Position verdrängt haben“, sagte Staatsanwalt Brocher. „Es geht darum, wer hat die größte Power, wer kann die meisten Leute mobilisieren, wer hat die härtesten Schläger.“ In diesen Punkten hätten in Cottbus jetzt nicht mehr die Hells Angels das Sagen.

Der breit gefächerten Szene aus Kampfsportlern, Sicherheitsfirmen, Neonazis, der Hooligan-Gruppe „Inferno“ und Rockern werden im Raum Cottbus 400 Personen zugerechnet, 170 davon in der Stadt selbst. Der Verfassungsschutz hatte diese besondere Mischung in Cottbus, das als Hotspot der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg gilt, vor einiger Zeit als „toxisches Gebilde“ bezeichnet. 

Deshalb sieht Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) auch die Stadt Cottbus in der Pflicht, entschiedener durchzugreifen. Schröter übte deutliche Kritik am Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU). Der hatte am Mittwoch darauf hingewiesen, dass das Problem nicht in Cottbus allein bestehe. Dazu sagte Schröter: „Herr Kelch muss sich klar sein, dass in seiner Stadt eine Situation eine Rolle spielt, die in anderen Städten so nicht ist.“ In keiner anderen Stadt Brandenburgs gebe es ein so verfestigtes und vernetztes Milieu. „Deshalb muss sich der Oberbürgermeister Gedanken machen, wie man dafür sorgt, dass dieses Milieu keinen Zuwachs bekommt.“ 

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