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Nach Giftanschlag auf russischen Ex-Doppelagenten Skripal: Potsdamer Russen mahnen zur Vernunft

Nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien ist die politische Lage angespannt. Wie in Potsdam lebende Russen die aktuelle diplomatische Krise wahrnehmen.

Potsdam - Elisabeth hörte im Radio von den Ausweisungen russischer Diplomaten aus Deutschland Anfang der Woche. „Mich als Halbrussin hat das wirklich aufgeregt“, sagt die 17-Jährige, die im „Café à la Russe“ in der Potsdamer Lindenstraße bedient. Sie könne die Reaktion Deutschlands, aber auch der anderen Staaten nicht nachvollziehen, die unnötig die diplomatischen Beziehungen zu Russland gefährdeten. „Bevor man so reagiert, muss es doch erst einmal Beweise geben, dass Russland überhaupt schuld ist an dem Giftanschlag“, sagt Elisabeth.

Die junge Deutsch-Russin greift damit ein Argument auf, das auch verschiedene deutsche Politiker mehrerer Fraktionen hervorbringen, um zu kritisieren, dass Deutschland vier russische Diplomaten ausgewiesen hat. Der langjährige EU-Kommissar und Potsdamer Günter Verheugen (SPD) sagte im Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“: „Generell sollten Sanktionen faktenbasiert sein und nicht auf Vermutungen aufbauen.“ Verheugen sagte weiter, die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich seien, „ist eine Vergiftung des Denkens, die aufhören muss. Gerade wir sollten uns an Fakten halten“.

„Das ist alles sehr weit von mir entfernt.“

Rund 1650 gebürtige Russen leben in Potsdam. Russland ist damit hinter Polen das zweithäufigste Herkunftsland der Ausländer in der Stadt. Die Eskalation der politischen und diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien ist für manche von ihnen durchaus ein Thema. Andere beschäftigen sich überhaupt nicht mit den Vorfällen.

Im russischen Supermarkt „Prima“ Am Kanal sind die Mitarbeiter, die alle aus Russland oder Kasachstan stammen, wortkarg. „Politik interessiert mich nicht“, sagt ein Angestellter, während er Gurken in die Auslage räumt. Seine Kollegin hatte von den aktuellen Fällen noch gar nichts mitbekommen. „So was ist mir total egal“, sagt sie. Ähnlich sieht das auch Alexander Tchigir, gebürtiger Moskauer, der die Wasserballer vom OSC Potsdam trainiert. „Das ist alles sehr weit von mir entfernt“, sagt Tchigir. Im Alltag beschäftige ihn das überhaupt nicht.

Der Dialog ist wichtig

Andere wollen sich nicht äußern. So etwa Daniil Koljada, Diakon der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Gedächtniskirche. „Wir als russisch-orthodoxe Kirche stehen außerhalb der Politik“, sagt Koljada. Für ihn betreffen die aktuellen Vorfällen nur die Politiker, nicht aber die Völker der beiden Länder. „Wir mahnen zur Vernunft“, sagt er.

Auch Irina Fedorova, russische Künstlerin in Werder (Havel), trennt klar zwischen der politischen Sphäre und den alltäglichen Beziehungen der Menschen. Fedorova, die alte Bilder restauriert, Auftragsarbeiten oder Ikonen malt und Malkurse gibt, erklärt: „Als Künstlerin geht es mir weniger um die Politik und Diplomatie als darum, etwas zu finden, was uns zusammenhält.“ Das Thema der Spannungen zwischen beiden Ländern beschäftige sie sehr, deshalb arbeite sie auch an einem Kunstprojekt dazu. Sie will einen Kalender entwickeln, in dem jeden Monat ein Russe, der etwas für Deutschland getan habe, vorgestellt werde, oder anders herum. „Es geht um die Menschen, deren Herz für beide Länder schlägt“, sagt die Künstlerin. Für Fedorova ist Eskalation auf politischer und diplomatischer Ebene nicht gleichzusetzen mit den privaten Beziehungen. „Ich habe das positive Gefühl, dass die ,normalen' Leute ein großes Interesse daran haben, in das andere Land zu reisen, sich kennenzulernen und Dialog zu halten“, sagt Fedorova.

"Eine Dämonisierung von Russland."

In die gleiche Kerbe schlägt auch Schauspielerin und Sängerin Polina Borissova vom Brandenburger Wandertheater Ton und Kirschen. „Ich arbeite mit Russen zusammen, fahre regelmäßig nach Russland und habe Familie dort. Ich erlebe die Menschen als weltoffen, unabhängig von der Politik.“ Sie meide es aber, in der Familie und mit Freunden über Politik zu sprechen. „Das schürt nur Konflikte, auch weil wir durch die Medien in Deutschland ein ganz anderes Bild vermittelt bekommen, als in Russland“, so Borissova. Persönlich würde die Künstlerin, die in Deutschland aufgewachsen ist, gerne einmal für eine Zeit in Russland leben. „Aber die Politik macht mir Angst“, sagt sie.

Mit Sorge betrachtet Robert Neubauer, Immobilienmakler aus Potsdam und bekannt aus der Vox-TV-Show „Mieten, kaufen, wohnen“, die Entwicklungen. „Ich finde es schlimm, dass da jetzt so eine Dämonisierung von Russland und der Russen stattfindet“, sagt Neubauer. Schließlich gebe es bisher keine Beweise, nur Spekulationen. Die Spannungen täten den wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Potsdam und Russland nicht gut, sagt der Makler, der auch internationale Kunden betreut. Das Interesse russischer Investoren sei in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen. Eine Tendenz, die den gesamten Immobilienmarkt betreffe, sagt Neubauer, seit 25 Jahren in der Branche. „Um 2000 kamen etwa sieben Prozent unserer Kunden aus Russland. Heute geht die Zahl gegen Null.“(mit spy)

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