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Verwandte, Kollegen und Potsdamer erinnern mit Blumen und Kerzen an die gestorbene Rumänin.

© Ottmar Winter

Nach dem tödlichen Rummel-Unfall: „Sie passte in unsere große Familie“

Nach dem „Playball“-Unglück ist auf dem Potsdamer Volksfest nur noch wenig wie zuvor. Es gibt neue Details aus den Ermittlungen: War die Automatik Ursache für den Tod der jungen Rumänin?

Potsdam - Es ist ein kühler Oktobertag, der Himmel ist bedeckt, tief hängen dunkle Regenwolken über dem Lustgarten. Aus den Lautsprechern dröhnen Beats, und von einem Mikrofon im Kassenhäuschen des Karussells „Playball“ schallt es laut über das Potsdamer Volksfest: „So, nun einsteigen! Jetzt geht’s los!“

Aber es steigt kaum jemand ein. Mal sind es zwei, mal vier Besucher, die in den Gondeln Platz nehmen und sich mit hohem Tempo herumwirbeln lassen. Es ist das Karussell, an dem es am vorvergangenen Sonntag, dem 29. September, zu einem tödlichen Unfall kam: Die 29 Jahre alte Rumänin Andrada C. hatte, wie berichtet, an diesem Tag mit ihrem gleichaltrigen Freund und Landsmann Grigore C. auf dem „Playball“ gearbeitet, wo beide gegen 16.30 Uhr routinemäßig auf der Plattform standen und die Sicherheitsbügel der Kabinen überprüften, wie die „BZ“ zuerst berichtete. Offenbar unvermittelt fuhr das von der Familie Meyer aus Stahnsdorf betriebene Karussell an. Grigore C. konnte sich in Sicherheit bringen, seine Freundin wurde vermutlich beim Anfahren von der Plattform geschleudert, stürzte einige Meter tief und starb noch an der Unfallstelle. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft führt, wie berichtet, ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen eine 47 Jahre alte Frau, die das Schaltpult des „Playball“ vor dem Unglück womöglich fehlerhaft bedient haben soll. Der Strafrahmen für dieses Delikt liegt zwischen einer Geldstrafe und fünf Jahren Haft.

Der "Playball" darf seit dem Unfall nur noch manuell gesteuert werden

Das Karussell wird in der Regel von Angehörigen der Familie Meyer bedient. Ein Gutachten des TÜV zur Unfallursache wird laut Oberstaatsanwältin Siegrid Komor „in einigen Wochen“ vorliegen. Bei der Rekonstruktion des Geschehens wird vermutlich das Geschehen am Steuerpult im Kassenhäuschen die entscheidende Rolle spielen. Über Dutzende Druckknöpfe wird das Karussell gestartet, beschleunigt, in die Höhe gefahren und verlangsamt, von hier aus werden die Gondeln gedreht. Und an diesem Platz wird entschieden, ob der „Playball“ manuell oder automatisch in Gang gesetzt wird. Geklärt werden wird vor allem die Frage, ob das Kommando zum Start der verhängnisvollen Fahrt zu früh erfolgte - und die Frau an den Knöpfen ihre rumänischen Kollegen, die sich währenddessen offenbar noch auf der Plattform befanden, womöglich übersah.

Am Mittwoch erfuhren die PNN auf Anfrage bisher unbekannte Details aus den Ermittlungen. So hatte ein Sachverständiger des Landesamts für Arbeitsschutz, das dem brandenburgischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) nachgeordnet ist, das Unglück bereits am Tag nach dem Tod der Rumänin auf „technische und verhaltensbezogene Ursachen untersucht“. Er erlaubte, wie die Pressestelle des Ministeriums den PNN mitteilte, den Weiterbetrieb mit einer wesentlichen Einschränkung: Der „Playball“ darf seit dem Unglückstag nur noch manuell gesteuert werden, „für die weitere Verwendung“ sei „die Automatikschaltung außer Betrieb gesetzt“ worden, hieß es.

Führte die Automatik zum tödlichen Unfall?

Diese Entscheidung der Arbeitsschützer vom 30. September wirft die Frage auf, ob Andrada C. sterben musste, weil der „Playball“ zum falschen Zeitpunkt auf automatische Steuerung gestellt wurde – und der Ablauf der Fahrt deswegen nicht mehr abrupt gestoppt werden konnte, als die Rumänin noch auf der sich immer schneller drehenden Plattform stand und keinen Halt mehr fand.

Im Lustgarten ist unterdessen seit ihrem Tod vieles mehr wie es zuvor war. Die Stimmung auf dem Rummelplatz im Herzen der Stadt ist gedrückt, das Lächeln aus den Gesichtern der Schausteller verschwunden. Allenfalls zwei Dutzend Menschen spazieren vorgestern, am Dienstagnachmittag, durch die fast kreisrunde Budenstadt, es lässt sich nur darüber spekulieren, wie viele Potsdamer die Nachricht vom Unglück am „Playball“ von einem Besuch abgehalten hat; sie hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Ein paar Meter rechts neben dem Kassenhäuschen haben Schausteller, Familienangehörige und Bürger einen kleinen Gedenkort eingerichtet. Zwei in schwarzes Holz gerahmte Fotos der jungen Rumänin sind da zu sehen, vor einem ruht ein kleines, rotes Stoffherz mit dem Aufdruck „I love you“. Ein Briefumschlag klebt daneben auf dem nassen Boden. „Wir trauern um das junge Leben, das sinnlos verfloss“ hat jemand darauf geschrieben. Mehr als 40 Grablichter liegen dort, sie werden von einem Blumenmeer aus weißen und dunkelroten Rosen, aus Sonnenblumen, weißen Lilien und gelben Gerbera umrahmt.

Zum Gedenkgottesdienst kamen 80 Besucher

Ein paar Schritte weiter beginnt die Rummelwelt der Familie Müller. Sie ist beim Oktoberfest mit einer Schießbude, einem Automatenkasino und einer Crèperie vertreten, ihr Oberhaupt Thomas Müller, 65, ist Vorsitzender des Brandenburger Schaustellerverbandes „Sanssouci“. Der 1,88 Meter große Hüne mit dem schlohweißen Haarschopf ist die Autorität unter den 32 Kollegen auf dem Platz, er hat Maschinenbau studiert und ist dann aus Liebe zu seiner Frau Schausteller geworden, sie führt die Rummel-Geschäfte ihrer Familie in der fünften Generation fort. Müller legt offen, was ihm zu schaffen macht: „Als es passiert ist, war ich gegenüber vom ,Playball’ in meinem Kasino. Plötzlich hörte ich trotz der Musik das Geräusch eines dumpfen Schlags. Ich öffnete meine Tür, und dann sah ich sie da liegen.“ Müller macht eine Pause, er schluckt: „Dieses Geräusch werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“

Die Stimmung auf dem Oktoberfest ist gedrückt.
Die Stimmung auf dem Oktoberfest ist gedrückt.

© Carsten Holm

Der Schausteller kannte die tödlich verunglückte Rumänin und ihren Partner, der offenbar zusehen musste, wie seine Freundin starb. Sie bekamen wie alle Helfer, so Müller, Mindestlohn, „für die beiden war das viel mehr, als sie zuhause bekommen“. Die Rumänen waren seine Nachbarn. „So sympathische Menschen“, sagt Müller, „diese junge Frau passte in unsere große Familie, genauso wie ihr Freund“. Ein Zeichen dafür war für ihn, dass zum Trauergottesdienst am Dienstag vergangener Woche etwa 80 Besucher kamen.

Die Meyers kennt Müller seit vielen Jahren. Er ist am Abend nach dem Unfall zu ihnen hinübergegangen, um Trost zu spenden. Aber dann hätten sich die Schausteller wie auch in den folgenden Tagen in ihre Wohnwagen zurückgezogen: „Jeder hat für sich getrauert“, sagt Müller, „es ist alles ganz schlimm“.

Carsten Holm

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