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Sitzblockade, fliegende Flaschen, Steine und Böller, dann Reizgas: Als am Montagabend „Pogida“-Sympathisanten durch Potsdam laufen wollten, stießen sie auf heftigen Widerstand von linken Gegendemonstranten.

© A. Klaer

Nach dem ersten Pogida-Protest in Potsdam: Polizei spricht von neuer Gewaltdimension

Die Proteste gegen Pogida schlugen in Gewalt um: Politiker und Polizei kritisieren die Ausschreitungen vom Montagabend gegen die erste Pegida-Demonstration Potsdams. Der Gegenprotest zur nächsten Pogida-Veranstaltung soll friedlich ablaufen, fordert Oberbürgermeister Jann Jakobs.

Potsdam - Diese Dimension der politischen Gewalt hat Potsdam seit 2004 bei Ausschreitungen linker Aktivisten gegen die NPD nicht mehr erlebt: Sieben verletzte Polizisten, Dutzende verletzte Demonstranten und hoher Sachschaden – aber auch eine teilweise überforderte Polizei. Am Montagabend haben gewalttätige Ausschreitungen den Protest gegen eine Demonstration nach dem Vorbild der Pegida-Bewegung – in Potsdam „Pogida“ – überschattet.

„Eine solche aggressive Grundstimmung, wie sie unsere Einsatzkräfte am Montagabend in der Landeshauptstadt erleben mussten, ist neu“, sagte eine Polizeisprecherin auf PNN-Anfrage. Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Schuster, sprach sogar von 20 verletzten Polizisten. „Was in Potsdam geschah, hatte nichts mit friedlichem Protest und erst recht nichts mit rechtsstaatlichen Mitteln zu tun. Es war zum großen Teil nur noch dumpfe Gewalt gegen Andersdenkende und gegen die Polizei.“ Es sei schizophren, zum Schutz von Flüchtlingen nach der Polizei zu rufen und gleichzeitig mit Steinen nach ihr zu werfen.

Schröter: Gewaltbereite Antifa führt Kampf gegen Rechtsstaat

Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) verurteilte die „schwersten Ausschreitungen“ seit Jahren in Potsdam scharf. „Die gewaltbereite Antifa führt keinen Kampf gegen rechts, sondern gegen den Rechtsstaat.“ Die Gewalt sei „ausschließlich und in massiver Form“ von links ausgegangen. Die „Teilnehmer an solchen gewalttätigen Protesten verteidigen unsere Demokratie nicht. Sie leisten einen Beitrag dazu, sie zu zerstören.“ Ihr Ziel sei es, „mit dem Faustrecht der Straße“ die Versammlungsfreiheit auszuhebeln. Mit diesen Extremisten dürfe es im Kampf gegen den Rechtsextremismus keine Gemeinsamkeiten geben.

Schon als die Pogida-Sympathisanten am Montagabend gegen 20 Uhr am Bassinplatz eingetroffen waren, wurden sie von Gegendemonstranten mit Flaschen, Böllern und Schneebällen beworfen. Einen Bus, der mit Teilnehmern einer vorherigen Demonstration des Berliner Pegida-Ablegers „Bärgida“ – zumeist aus dem rechten Hooligan-Milieu – nach Potsdam gefahren kam, hielten Linksradikale im Stadtzentrum in der Charlotten-/Ecke Friedrich-Ebert- Straße auf. Linke Demonstranten demolierten den Bus, warfen mit Flaschen und schlugen auf die Frontscheibe ein.

Der Schaden beläuft sich nach Angaben des Busunternehmers auf mehr als 2000 Euro. Die Polizei war nur mit wenigen Beamten am Bus und schaffte es nicht, die Sitzblockaden aufzulösen und Gegendemonstranten fernzuhalten. Nur mühsam konnte sie den Bus aus der Gefahrenzone lotsen, dann fuhr der Bus zurück nach Berlin. Der Bus- und Straßenbahnverkehr am Platz der Einheit und in der Charlottenstraße kam einige Zeit komplett zum Erliegen, die Polizei ließ sogar wegen der Gefahr von Ausschreitungen den Strom im Straßenbahnnetz abschalten.

Flaschen und Böller auf Pogida-Teilnehmer

Im weiteren Verlauf des Abends flogen auf dem Bassinplatz immer wieder Gegenstände in Richtung der rund 120 „Pogida“-Teilnehmer – Blumentöpfe, Müllbeutel, Flaschen, Böller. Die Polizeibeamten konnten die massiven Angriffe nicht abwehren. Augenzeugen beschrieben die Innenstadt als „rechtsfreien Raum“, von einem Gewaltausbruch wie im Rausch.

Offenbar hatte aber auch die Polizei selbst die Lage unterschätzt und zunächst viel zu wenige Beamte eingesetzt, obwohl die linke Szene seit Tagen für den Gegenprotest mobilisiert hatte. „Grundsätzlich bereiten wir jeden Einsatz gründlich vor. Dazu gehört auch eine Beurteilung der Lage“, sagte eine Sprecherin. Es sei aber nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass es im Rahmen von Aufzügen und Versammlungen zu Ausschreitungen kommt. Auf dieser Grundlage sei bereits ein hoher Einsatz von Kräften geplant worden. Doch selbst das reichte offenbar nicht aus. Zudem ist bei der Polizei, wie in Berlin üblich, sehr wohl in bestimmten Lagen – wie es sie nun in Potsdam gab – von Ausschreitungen auszugehen.

Unterstützung für Potsdams Polizei 

Der Ort für die „Pogida“-Versammlung war noch dazu denkbar ungünstig gelegen. Eine Polizeisprecherin sagte, die „hohe Anzahl an gewaltbereiten und auch gewaltgeneigten, vermummten Personen“ habe im Schutz der Dunkelheit und wegen des Regens einfach agieren können. Hinzu käme das Umfeld des Platzes mit den vielen Zufahrtsstraßen.

Obwohl die Polizei sogar zwei Einsatzhundertschaften nachforderte, konnte sie die Situation lange Zeit nicht unter Kontrolle bringen. Eine Hundertschaft kam aus Berlin vom Bärgida-Aufmarsch, die andere war vom Brandenburger Pegida-Ableger BraMM in Strausberg (Märkisch- Oderland) nach Potsdam geeilt. Dennoch war die Lage alles andere als übersichtlich, die Stimmung aufgeheizt.

Pfefferspray: 30 Gegendemonstranten verletzt

Insgesamt wurden fünf „Pogida“-Teilnehmer, zwei Brandenburger Bereitschaftspolizisten und fünf Berliner Beamte verletzt. Etwa 30 Gegendemonstranten mussten wegen der Pfefferspray-Einsätze der Polizei behandelt werden. Eine Person musste laut Feuerwehr mit Augenverletzungen ins Krankenhaus gebracht werden.

Der Anmelder des „Abendspaziergangs“, der Potsdamer Christian M., hetzte derweil gegen den angeblich von der EU verordneten „Volkstod der Deutschen“ und bezeichnete die Gegendemonstranten als „rote Hitlerjugend“. Auf dem Bassinplatz waren die 120 „Pogida“-Teilnehmer zum Schutz durch Absperrgitter und Polizeifahrzeuge umringt. Aufgrund der anhaltenden Proteste, Blockaden und Angriffe hatte sich M. in Absprache mit der Polizei entschlossen, auf den Aufzug zu verzichten. Kurz nach 22 Uhr hatte die Polizei dann die „Pogida“-Teilnehmer zum Hauptbahnhof eskortiert, den ganzen Weg über umzingelt von Gegendemonstranten. Immer wieder wurden Bauzäune, Fahrradständer und Betonklötze auf die Straße gezerrt, um den Abzug zu behindern. Die Innenstadt im sonst friedlichen Potsdam: umgekippte Bauzäune, entleerte Mülltonnen, zerstörte Bänke. Wie am Dienstag aus Sicherheitskreisen verlautete, werden etwa 200 Personen dem harten Kern der Gewaltbereiten zugerechnet. Bislang habe die Polizei sieben Strafanzeigen wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und schweren Landfriedensbruchs registriert, teilte eine Sprecherin mit. Alle richten sich gegen „Pogida“-Gegner. Drei Personen wurden vorläufig festgenommen.

Klara Geywitz (SPD): Randalierer haben sich selbst geschadet

Die Generalsekretärin der Brandenburger SPD und Potsdamer Landtagsabgeordnete Klara Geywitz sagte: „Die Randalierer haben ihrem eigenen Anliegen geschadet. Es ist richtig, Haltung zu zeigen für eine tolerante Gesellschaft.“ Es sei grundfalsch, Polizisten und Rechte mit Steinen zu bewerfen. Sie sehe mit Sorge, dass durch diese Gewalt viele Bürger abgehalten werden könnten, zukünftig zu Demonstrationen gegen rechts zu gehen. „Man muss beobachten, ob auch am extremen linken Rand eine Radikalisierung einsetzt“, sagte Geywitz.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der am Abend fernab am Lustgarten an den Anti-„Pogida“-Protesten teilnahm, lobte vor allem die „überwiegend friedlichen Demonstranten“ für die Protestaktionen gegen „Pogida“. Er sprach auch von erfolgreichen Protesten, weil Rechtsextreme von Pogida den Abendspaziergang nicht durchführen konnten. Rechtes Gedankengut habe in Potsdam keinen Platz. Erst im letzten Absatz seiner Erklärung heißt es dann, dass er gewaltsame Ausschreitungen ablehne.

Nächster Pogida-Protest am 20. Januar

Jakobs: „Es gibt in Potsdam eine Tradition des friedlichen Widerstandes. Das haben wir in der Vergangenheit bei allen Kundgebungen immer wieder unter Beweis gestellt. Leider ist es diesmal teilweise nicht so gewesen.“ Für die nächste von „Pogida“ angemeldete Versammlung am 20. Januar sei es die größte Aufgabe der Stadtgesellschaft, dass die Gegenproteste friedlich verlaufen, hieß es aus dem Rathaus. Linke Aktivisten kündigten derweil bereits an, wieder alle ihnen zur „Verfügung stehenden Mittel“ gegen „Pogida“ einzusetzen.

Immerhin gab es auch im Rathaus Irritationen über die Polizei. Ursprünglich habe das Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ in Nähe des Bassinplatzes seinen friedlichen Protest abhalten wollen. Die Polizei drängte intern auf den Lustgarten als Austragungsort, wo etwa 100 Menschen, vornehmlich Vertreter der Stadtpolitik, demonstrierten. Als Jakobs dem Einsatzleiter nach ersten Zusammenstößen am Bassinplatz anbot, zu kommen, um schlichtend einzugreifen, lehnte die Polizei ab. Grund: Noch mehr Menschen, noch mehr Chaos.(mit Henri Kramer und Jana Haase)

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