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Qual der Wahl. Einen neuen Proberaum suchen oder höhere Mieten akzeptieren? Einige Musiker aus der Babelsberger Ahornstraße sind bereits ins Potsdamer Umland ausgewichen. Inzwischen sei es fast unmöglich, in der Stadt bezahlbare Räume zu finden, meint Christian Näthe von der Band „Hasenscheisse“ (Mitte mit Gitarre).

© Ronny Budweth

Musiker in Potsdam: Misstöne

Vor gut drei Jahren fanden mehrere Musiker in Not in der Ahornstraße ein neues Domizil. Nun sollen sie ausziehen oder mehr Miete zahlen. Mit dem Retter von einst haben sie sich inzwischen überworfen.

Babelsberg - Mehrere Bands und Musiker, die bislang in der Babelsberger Ahornstraße Proberäume angemietet hatten, müssen sich nun ein neues Domizil suchen oder höhere Mieten akzeptieren. Im September sei zunächst eine Kündigung an die Bands per Schreiben eingetroffen, erzählt Christian Näthe, Schauspieler und Gitarrist und Sänger der Potsdamer Band „Hasenscheisse“. Anfang Dezember seien den Künstlern dann neue Verträge ab Januar 2018 mit einer deutlichen Mieterhöhung angeboten worden, so Näthe. Bei dem Gebäude, in dem sich die Musiker ihre Proberäume eingerichtet hatten, handelt es sich um das alte Berufsbildungswerk, das dem erfolgreichen Berliner Wissenschaftler, Unternehmer und Kunstmäzen Jörg Thiede gehört.

Etwa 30 Bands, Künstler und Solomusiker hatten zuletzt in der Ahornstraße eine Bleibe. Nachdem viele von ihnen vor mehr als drei Jahren ihre alten Räume in der Alten Brauerei am Leipziger Dreieck verlassen mussten, weil das denkmalgeschützten Gebäude verkauft wurde, bot Thiede den Musikern eine neue günstige Unterkunft an. Insgesamt hatten damals rund 100 Kreative und 25 Bands ihre Probe- und Arbeitsräume am Leipziger Dreieck verloren. Nach Protesten und einer musikalischen Demonstration konnten schließlich ab Ende 2015 zumindest die Künstler das frühere Rechenzentrum in der Breiten Straße nutzen. Die Musiker durften jedoch wegen des fehlenden Lärmschutzes nicht mit einziehen. Die Alternative, die Thiede damals geboten hatte, kam daher wie gerufen.

Inzwischen jedoch haben sich die Musiker mit ihrem „Retter“ von einst überworfen. Die Mieterhöhung sei überraschend und zunächst ohne nähere Angabe von Gründen gekommen, sagt Näthe. Die Musiker schlossen sich zusammen, formulierten ein Schreiben an Thiede, in dem sie um ein Entgegenkommen baten und demonstrierten wieder einmal in der Potsdamer Innenstadt, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Thiede selbst hält die Vorwürfe für unbegründet. „Ich habe damals explizit gesagt, dass die Verträge zunächst nur bis Ende 2017 gelten“, so der 79-Jährige gegenüber den PNN. Mehr gebe es zu dem Thema eigentlich nicht zu sagen.

Die Geschichte in der Ahornstraße, so sehen es dagegen die Bands, sei symptomatisch für den Umgang mit Musikern in der Stadt Potsdam. Proberäume seien kaum zu bekommen, erzählt Näthe. Und auch das sogenannte Brausehaus-Kollektiv fragt in einem im Dezember verfassten offenen Brief an die Stadt sehr ironisch: „Sind im Potsdamer Rathauskeller noch ein paar Proberäume für lokale Bands und Musikerinnen frei?“ Von dem seit fünf Jahren bestehenden Kollektiv aus etwa 50 Musikern, Technikern, Musiklehrern und DJs war etwa die Hälfte selbst in der Ahornstraße untergebracht. „Die meisten davon haben keine Ausweichmöglichkeit, da Proberäume in Potsdam mittlerweile genauso schwer zu finden sind wie bezahlbare Wohnungen“, erklären die Kreativen in ihrem Brief. Die Verantwortlichen in Potsdam fordern sie auf, sich für genügend langfristige und bezahlbare Proberäume in der Innenstadt einzusetzen.

Auch das soziokulturelle Zentrum Lindenpark der Stiftung SPI ist von der Thiedes Mieterhöhung betroffen. Der Leiter des beliebten „Mach Musik“-Programms, Tom Oesterreich, hatte Räume in der Ahornstraße für einige der Projekte, Workshops und Kurse genutzt. Die Stiftung SPI wollte gerne einige der Räume weiter nutzen, mit der Bedingung, das zumindest einige der Musiker bleiben dürften. Wie Oesterreich gegenüber den PNN erklärt, sei aber mit Thiede keine Einigung gefunden worden. Die hohen Mieten könne ein gemeinnütziges Projekt wie „Mach Musik“ nicht finanzieren.

Viele der Kreativen sind sauer und enttäuscht, weil sie das Gefühl haben, dass in Potsdam Musik bald nur noch für Besserverdiener erschwinglich ist. „Wir alle sind nicht hauptberuflich Musiker. Wir können uns das nur leisten, weil wir arbeiten. Wie soll man später den Nachwuchs fördern, wenn keiner mehr die Räume bezahlen kann“, sagt Anastasia Galkin, Sängerin der Band „Dark Frame“, Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam und zweifache Mutter. Die Stadt sehe zwar gerne, dass die Musiker bei der „Fete de la Musique“ spielen. Dafür sollten aber auch genügend Räume zum Üben da sein, findet Galkin.

Näthe meint, das Problem mit den Proberäumen habe sich in den letzten Jahren verschärft. Die Potsdamer Bands seien immer weiter an die Peripherie der Stadt, teilweise sogar bis ins Umland verdrängt worden. „Es war schon immer schwierig. Jetzt ist es schwierig bis unmöglich.“

Kurz vor Weihnachten sicherte Thiede den Bands, die bisher noch keine Alternative gefunden hatten, zu, drei weitere Monate zu den alten Mieten in der Ahornstraße bleiben zu dürfen. Doch Ende Dezember seien bereits die meisten Bands aus der Ahornstraße ausgezogen, erzählen die ebenfalls betroffenen Musiker Martin Mann und Enrico Semler, die gemeinsam in den Bands „Eat Ghosts“ und „Jolle“ spielen. Einige seien sogar bis nach Werder oder Neu Fahrland ausgewichen.

Die Stadtverwaltung erklärte auf PNN-Anfrage, dass derzeit Planungen für drei Proberäume im Bahnhof Golm laufen. Mit der Umsetzung sei 2018 zu rechnen. Darüber hinaus werde geprüft, wie im Freiland in der Friedrich-Engels-Straße und im Archiv in der Leipziger Straße neue Räume geschaffen werden könnten, hieß es weiter. Das Freiland plant bereits seit Jahren ein Bandhaus auf seinem Gelände. Bisher sei das an Finanzierungsproblemen gescheitert, so Freiland-Chef Achim Trautvetter.

Hintergrund: Zwölf Bands in einem Raum

Die Stadt Potsdam verfügt nur über eine Aufstellung von Proberäumen der von der Landeshauptstadt geförderten Einrichtungen. Laut einer Befragung im August 2016 gebe es derzeit in Potsdam 14 Räume, erklärte die Stadt auf Anfrage der PNN. Ein genauer Überblick ist schwierig. Unter anderem bietet in der Feuerbachstraße in Potsdam-West die Freie Musikschule einen größeren Bandraum sowie zwei kleinere für einzelne Drumkits an. Etwa acht Bands und weitere acht einzelne Musiker proben dort abends nach dem regulären Unterricht oder am Wochenende, schätzt der Leiter Roland Menthel.

Besonders eng ist es im studentischen Kulturzentrum KUZE in der Potsdamer Innenstadt. In nur einem Raum unterhalb des Theatersaals proben zurzeit abwechselnd zwölf Bands. Bei einer Veranstaltung im Saal ist das Proben nicht möglich. Dafür können die Musiker den Raum und das Equipment kostenlos nutzen. Die Bands müssen sich dafür anderweitig engagieren und beispielsweise die Tresenschicht in der Kneipe des Kuze übernehmen. Auf dem Spezialbaugelände in Rehbrücke bietet Göran Eger seit Kurzem Räume zum Proben an. Seit über 20 Jahren vermietet Eger in Berlin Tonstudios und Proberäume. Auf dem Areal in Potsdam stehen schon 35 Container.

Einige Bands sind bereits eingezogen. In den kommenden Monaten sollen laut Eger weitere und auch größere Proberäume entstehen.

Sarah Stoffers

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