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Mit Respekt und kleinen Naschereien: Weihnachtsfeier für Obdachlose in Potsdam

Obdachlose kamen im Staudenhof in Potsdam zu einer Weihnachtsfeier zusammen. Es gab Geschenke - und Einblicke in das Leben auf der Straße.

Potsdam - Johanna hat wenig Zeit. So viel gibt es vorzubereiten, einzusammeln, weiterzuleiten. Jetzt gerade ist die Weihnachtsfeier für die Gäste dran, die sonst einmal im Monat zu ihrer Aktion „Mal wat Warmes“ kommen.

In der offenen Küche des Quartierstreffs im Staudenhof dampft Braten in großen Schüsseln, dazu Rotkohl und Klöße. Die Hungrigen kommen zeitig; man kennt sich, 14 Männer und zwei Frauen verteilen sich an den liebevoll gedeckten Tischen. „Wenn die Winternothilfe anläuft, dann rücken wir wieder in den Blickpunkt. Das ist natürlich gut – aber es nimmt uns auch in Anspruch“, sagt die Sozialarbeiterin. Seit Wochen läuft sie herum, sammelt Sach- und Geldspenden, dankt, bittet und verteilt.

Schön und friedlich

Johanna Lütkehölter arbeitet als Streetworkerin für das Berliner Unternehmen „Creso“; das steht für „Kreative Sozialarbeit“ und bedeutet in ihrem Fall vor allem: Kümmern um „Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße“, im Auftrag der Stadt Potsdam. Jetzt gerade aber steht sie an den Töpfen und teilt Essen aus.

Streetworker luden „Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße“ zur Weihnachtsfeier in den Quartierstreff im Staudenhof ein.
Streetworker luden „Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße“ zur Weihnachtsfeier in den Quartierstreff im Staudenhof ein.

© Stefanie Schuster

Die Gäste sind hungrig. Sie plaudern, man kennt sich, seit vielen Jahren schon. „So schön und friedlich hatten wir’s noch nie hier“, sagt Johanna zufrieden. Sogar Geschenke – kleine Beutel mit Naschereien – konnte sie packen für die Besucher. „Man beschwert sich ja gerne mal“, resümiert sie. „Aber man kann der Stadt schon ganz schön dankbar sein, dass sie so viel auch für die Obdachlosen tut. Das müsste sie gar nicht.“ Und damit meint sie nicht nur die Möglichkeit, eine eigene Feier zu machen für die, die man sonst übersieht, sondern auch die Obdachlosenunterkünfte. Schon das Haus am Lerchensteig hat 90 Plätze, etliche weitere Betten in anderen Häusern kommen dazu. „Dort findet sich immer auch eine Lösung für die, die nicht in der großen Unterkunft schlafen wollen“, erläutert Lütkehölter.

Regelmäßige Besuche mit dem Bus

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Sandra Weber geht Johanna Lütkehölter dahin, wo es wehtut: Zu den Treffpunkten am Hauptbahnhof und anderswo. Dort kreisen Flaschen mit Alkohol; die Blicke, die ihr dort folgen, sind nicht immer freundlich. Man beäugt sie – misstrauisch, benommen, neugierig, manchmal vielleicht auch feindselig. 20 Menschen – die älter sind als 27 Jahre – besuchen die Creso-Mitarbeiterinnen regelmäßig. Seit neuestem können sie das auch mit einem Bus, den die Werkstatt der Arbeiterwohlfahrt (Awo) mit Schränken ausgebaut hat. Darin befindet sich, was Menschen, die auf der Straße leben, am dringendsten brauchen: Schlafsäcke (die Awo stiftet 100 Stück im Jahr, denn auf der Straße sind sie rares Überlebensgut), Hygienebeutel mit Duschgel, Rasierern, Seife – von einer Drogeriekette gespendet – und Wundversorgungsmaterial. Die Menschen kommen zu ihnen, es spricht sich rum, wann sie wo zu finden sind. „Wir investieren viel Zeit in den Beziehungsaufbau“, sagt Lütkehölter.

Respekt ist für die studierte Gesundheitsmanagerin ein Grundpfeiler ihrer Arbeit, das fängt schon bei der Bezeichnung an. „Klient“ sagte man mal – „aber das hatte so eine Dysbalance, weil das bedeutet, dass wir mehr wissen als die, die zu uns kommen. Das stimmt so aber nicht.“ „Adressat“ sagen sie jetzt, wenn jemand um Hilfe bittet. Aber darin fehlt irgendwie der Mensch. Den haben die beiden Frauen jedoch immer genau im Blick.

Strom aus den Straßenlaternen

Wie „Herb“, der klug plaudert und vieles weiß über den Alltag auf der Straße. „In den Tüten fehlen Tabak und Kaffee“, sagt er nach einem schnellen Blick. Er hat mal Weihnachten allein gefeiert in seiner Plattenbauwohnung in Drewitz, da hatte er beides nicht – „nur noch einen Kürbis. Das war nicht schön. Schokolade ist nicht so wichtig.“ Kaffee braucht man immer, gekocht wird er mit Strom aus Straßenlaternen. Eine bunte Community bevölkert Potsdams Straßen: Etwa die Hälfte der Hilfesuchenden kommt aus dem Ausland, meistens Osteuropa, hat Lütkehölter beobachtet. Einen holt „Herb“ noch von draußen rein. „Der gehört aber zur Bettelmafia“, sagt ein anderer. „Arme Typen!“ Die Verständigung mit ihnen ist schwer; sie läuft per Übersetzungs-App auf dem Smartphone. 

Der Frauenanteil liegt etwa bei einem Zehntel. „Frauen leben oft in verdeckter Obdachlosigkeit“, sagt die Streetworkerin. „Die schlüpfen häufig bei einem Mann unter.“ Überhaupt ist die Szene mobil. Nicht selten verbringen Berliner Obdachlose die Tage in Potsdam – weil dort eine andere, oft aggressivere Stimmung herrscht. In den „Öffis“ ist es zudem wärmer als draußen. Doch wenn sie die benutzen, dann führt das zu anderen Problemen: „Meist wird ja schwarz gefahren“, sagt Lütkehölter. „Wenn sie dann erwischt werden, gehen sie auch schon mal wegen 60 Euro in die Privatinsolvenz oder müssen vier Wochen in den Knast – das ist auch unverhältnismäßig.“ Und verschärft das Problem der Wohnungslosen, die etwa zur Hälfte nicht einmal die Grundsicherung beziehen. „Weil sie keine Meldeadresse haben und auch keine staatlichen Leistungen annehmen wollen.“ 

Auch „Herb“ muss demnächst seine Geldbuße absitzen: Schwarzfahren, Ladendiebstal, Drogenbesitz. „Ich bin denen nicht böse“, sagt er. „Aber bessert man so Menschen?“ So sei er überhaupt erst reingerutscht. Doch jetzt kommt erst mal Weihnachten. Die Familie will nichts mit ihm zu tun haben; was er Heiligabend macht, ist unklar. Vielleicht braucht jemand seine Hilfe. Das wäre eigentlich gut. „Man darf sich nicht gehenlassen“, sagt „Herb“. Schon gar nicht auf der Straße.

» www.quartierstreff-staudenhof.de

Stefanie Schuster

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