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Mitfahren. Eine häufigere Bustaktung der Linie 698 zwischen Weißer See und Kirschallee wünschen sich viele Bewohner der Awo-Unterkunft am Lerchensteig in Nedlitz.

© Sebastian Gabsch

Mit Kinderwagen stehengelassen: Geflüchtete Mütter fordern Taktverdichtung der Linie 698

An der Unterkunft am Lerchensteig haben mehrere Geflüchtete für eine Taktverdichtung des Busses der Linie 698 demonstriert.

Von Valerie Barsig

Nedlitz - Toita erinnert sich genau: Es war der 1. Juni, es regnete in Strömen. Die 27-Jährige war gemeinsam mit ihren drei kleinen Kindern abends unterwegs in die Flüchtlingsunterkunft am Lerchensteig. Mit ihr auf dem Nachhauseweg war noch eine Frau mit fünf Kindern und eine Schwangere. Die drei Frauen hatten zwei Kinderwagen dabei. Als der Bus der Linie 698 kam, war er bereits mit einem Kinderwagen besetzt. Toita und ihre Freundinnen machten sich daraufhin zu Fuß auf den Weg nach Hause, auch wenn zumindest eine von ihnen mit dem Kinderwagen im Bus hätte mitfahren können. „Das haben wir aus Solidarität so entschieden“, erzählt Toita. Maximal zwei Kinderwagen dürfen Fahrer von Solobussen der Verkehrsbetriebe in Potsdam (ViP) transportieren – danach ist Schluss, wenn der Busfahrer kein Auge zudrückt. Weil sich die Insassen des Busses für die Frauen einsetzten, hielt der Fahrer wenig später dann doch und erlaubte die Mitfahrt bis zur Haltestelle Schneiderremise. Das war Glück.

Am gestrigen Donnerstag protestierte Toita gemeinsam mit rund 20 weiteren Geflüchteten an der Haltestelle Schneiderremise für eine Taktverdichtung der Linie 698. Außerdem wünschten sich die Demonstranten einen durchgängigen Bus bis zum Campus Jungfernsee, einen Fuß- und Radweg am Lerchensteig und eine Tempo-30-Zone. Für die Bewohner der Geflüchtetenunterkunft der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Lerchensteig sind die Mitnahmeregeln der ViP ein Problem. Denn der Bus 698, der zwischen den Haltestellen Weißer See und Kirschallee pendelt, fährt nur alle 40 bis 60 Minuten. Sind bereits Kinderwagen im Bus, müssen Mütter und Väter mit ihren Kindern auf den nächsten warten. Besonders im Winter bei kaltem Wetter ist das lang. Alternativ müssen sie 800 Meter zum Abzweig Nedlitz laufen. Auf dem Weg geht es am engen Lerchensteig entlang, auf dem kein Tempo 30 gilt und es weder Bürgersteig noch Beleuchtung gibt. Mit dem Kinderwagen ist das keine angenehme Strecke.

ViP wollten die Taktverdichtung prüfen - geschehen ist nichts

Um eine Änderung der Taktung hat die Awo den Verkehrsbetrieb bereits im Oktober 2017 gebeten. Der Verkehrsbetrieb entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten und versprach, eine Taktverdichtung zu prüfen. Geschehen ist seitdem nichts. „Auch einen Termin mit der Stadt hat es gegeben“, sagt Anastasiya Batuyeva, die die Unterkunft leitet. Eine Tempo-30-Zone oder ein Zebrastreifen wurden trotz der Vorschläge der Awo nicht umgesetzt, auch an der Bustaktung habe der Termin nichts geändert. „Termine können so kaum eingehalten werden“, sagt Batuyeva. Kitabringzeiten, Arzttermine oder Besuche beim Amt würden verpasst, weil Kinderwagen nicht rechtzeitig in den Bus passten. „Wer um 9 Uhr morgens einen Termin hat, steht etwa ab 7 an der Bushaltestelle.“ Die Stadt Potsdam verweist auf PNN-Anfrage auf die Fortschreibung des Nahverkehrsplans, in den auch Vorschläge von Bürgern einfließen sollen. Er soll im September der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Auch ein ViP-Sprecher verweist auf die Überarbeitung des Plans. Eine „kurzfristig zu realisierende, dauerhafte Taktverdichtung der Linie 698 ist gegenwärtig nicht möglich“, so der Sprecher. Sie müsse von der Stadt in Auftrag gegeben werden. Bei den Kinderwagen sei es wie an allen Haltestellen im ViP-Netz: Nur ein bis zwei Kinderwagen passten in die Busse. „Spontane gruppenweise Fahrten sind daher wie überall leider nicht möglich.“ Taxi- oder Fahrdienstunternehmen seien denkbare Kooperationspartner, um das Problem zu lösen, für Vorschläge „inklusive Finanzierungsmöglichkeiten“ sei man gesprächsbereit.

162 Geflüchtete leben derzeit in der Awo-Einrichtung, davon 40 Kinder bis sechs Jahren, 24 davon sind zwischen null und drei Jahre alt, im Kinderwagen-Alter. Ein Auto hat hier niemand. „Wir sprechen immer über Integration“, mahnt Dirk Harder, Sprecher des Awo-Bezirksverbands Potsdam. „Das bedeutet aber, dass Geflüchtete am städtischen Leben teilnehmen sollen.“ Würden sie aus Nedlitz nicht einmal bis in die Stadt kommen, sei Integration erschwert. „Die Mobilität ist eines unserer drängendsten Probleme.“

Eltern mit Kinderwagen werden immer wieder an oder auf dem Weg zur Haltestelle Schneiderremise stehengelassen

Immer wieder werden Eltern mit Kinderwagen an oder auf dem Weg zur Haltestelle Schneiderremise stehengelassen. Eskaliert war die Situation einmal Ende Mai: Als in Bornstedt um 22 Uhr mehrere Familien mit fünf Kinderwagen in den Bus 698 Richtung Weißer See steigen wollten, weigerte sich der Busfahrer, sie mitzunehmen. Der nächste Bus wäre erst am frühen Sonntagmorgen gefahren. Daraufhin eskalierte die Situation, die wegen gegenseitigen Beleidigungen auch zur Angelegenheit für die Polizei wurde (PNN berichteten). Zwei Kinderwagen und ein zusammenklappbarer Buggy seien schließlich im Bus der Linie 698 transportiert worden, die anderen beiden Kinderwagen wurden um 23.17 Uhr im Bus der Linie 692 befördert – bis zum Abzweig Nedlitz.

Die 800 Meter ohne Bürgersteig auf dem Lerchensteig mussten die Familien dann allerdings noch zurücklegen. Die Einrichtung eines Fuß- und Radweges an der Straße würde für den Abschnitt vom Abzweig Nedlitz bis zum geplanten Sportplatz Lerchensteig 600 000 Euro kosten. Hinzu käme, dass die Stadt für den Bau des Weges Grundstücke erwerben müsste – die sind in den 600 000 Euro nicht mit eingerechnet. Derzeit wird geprüft, woher das nötige Geld kommen kann, heißt es aus dem Rathaus. Bisher habe man mit der Planung des Weges noch nicht begonnen.

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