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Landeshauptstadt: Mit Glas die Grenze durchbrochen

Eine Schiffstour zum Jahrestag des Mauerbaus machte Station an den ehemaligen Grenzanlagen

Mit dem Schiff vorbei am Neuen Garten, unter der Glienicker Brücke hindurch und dann weiter entlang am Park Babelsberg – heutzutage ein ganz normaler Ausflug, vor über 25 Jahren undenkbar, denn genau auf dieser Wasser-Strecke verlief der Todesstreifen zwischen Potsdam und Westberlin. Zum 53. Jahrestag des Mauerbaus startete am Mittwoch nach einer Gedenkveranstaltung an der Glienicker Brücke die Schiffstour „Potsdamer Mauerverlauf“, bei der mehrere Historiker und Experten über die Grenzanlagen und die Schicksale der Flüchtlinge berichteten. Über 200 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil, die von der Landeshauptstadt und der Fördergemeinschaft „Lindenstraße 54“ in Kooperation mit dem Bundesbeauftragen für die Stasi-Unterlagen durchgeführt wurde.

Heute ist kaum vorstellbar, wie die Ufer der Parks damals ausgesehen haben: „Bis an das Schloss Babelsberg kam man noch heran, aber zwölf bis 15 Hektar des Geländes waren nicht zugänglich“, sagt Karl Eisbein, Gartenrestaurator und langjähriger Revierleiter des Babelsberger Parks. Ein meterhoher Grenzzaun und eine Mauer sperrten das Ufer ab, etliche Bäume und Sträucher unterhalb von Schloss Babelsberg waren abgeholzt worden – „damit die Grenztruppen ein freies Schussfeld hatten“, so Eisbein.

Etliche Menschen starben bei dem Versuch, über die Grenze zu flüchten. Allein an der Gedenkstelle Griebnitzsee nahe der Stubenrauchstraße werden 17 Mauertote gezählt. Manche wurden erschossen, wie etwa der Polizist Horst Körner, dem in der DDR die Aufnahme eines Medizinstudiums verweigert worden war und der über Klein-Glienicke nach Westberlin gelangen wollte. Viele ertranken aber auch, so wie der zur NVA eingezogene Lothar Lehmann: „Er versuchte im November am Meedehorn über die Havel zu schwimmen und erlitt dabei einen Kälteschock“, sagt Thomas Schaarschmidt vom Zentrum für Zeithistorische Forschung. Am deutlichsten sind die Grenzanlagen heute noch an der Bertini-Enge am Jungfernsee zu sehen, wo noch immer einer der alten Postentürme steht. Hier befand sich einer der fünf Potsdamer Grenzübergänge, so Gisela Rüdiger, ehemalige Leiterin der Potsdamer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde. „Im Wasser versperrten am Boden verankerte Tonnen und Unterwassernetze den Weg, an zwei Stellen wurde Platz für Schiffe gelassen“, so Rüdiger. „Vom Turm aus konnte jedoch eine Seilsperre im Wasser hochgezogen werden. Beide Ufer waren mit Mauern befestigt.“

Dabei war die Grenze hier noch über einen Kilometer entfernt, doch die Stasi ging auf Nummer sicher: Im nah gelegenen Lehnitzsee befand sich eine amerikanische Militärstation, „es gab Gerüchte, die Amerikaner hätten dort ein U-Boot, um Flüchtlinge herauszuschleusen“, so Rüdiger. Ähnliche Anlagen gab es an der Babelsberger Enge, wo zusätzlich ein querstehendes Schiff als Barriere diente. Auch große Teile des Neuen Gartens wurden ab 1961 zu Ödland: „Statt des Sees sah man vom Schloss Cecilienhof aus nur einen meterhohen Zaun und eine Mauer“, so die Zeitzeugin Gudrun Tschäpe. Meierei und Muschelgrotte waren nicht zugänglich und verfielen, die Eremitage wurde für ein freies Schussfeld abgerissen und die Hauptbadestelle der Potsdamer geschlossen – Ersatz wurde am Park Babelsberg geschaffen.

Als 1975 UN-Generalsekretär Kurt Waldheim den Neuen Garten besuchte, versuchte man zumindest den Zaun mithilfe von Hopfen-Ranken zu begrünen – mit geringem Erfolg: „Zum einen wohl wegen des Unkrautvernichtungsmittels im Boden, zum anderen wurden die Pflanzen von NVA-Soldaten gestohlen, die sie für ihre Datschen mit nach Hause nahmen“, so Tschäpe. Trotz des absurden Aufwandes der Stasi gelang es immer wieder Menschen, die Grenzen zu durchbrechen – im wahrsten Sinne des Wortes: „1988 fuhren drei Babelsberger in einem mit Gasflaschen beschwerten LKW auf die Glienicker Brücke zu, gaben Vollgas und brachen durch die vierfachen Sperranlagen“, sagt Manfred Kruczek vom Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte. Heute ist von dem enormen Grenzapparat in Potsdam fast nichts mehr zu sehen. Die letzten verbliebenen Mauerreste stehen an der Gedenkstätte Griebnitzsee, wo am Samstag auch die Teilnehmer des dritten Mauerweglaufes Station machen werden.

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