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Ein junges Mädchen hält sich die Hände vor ihr Gesicht.

© picture alliance/Nicolas Armer/dpa

Millionenloch durch Corona: Jugendamt gibt viel mehr Geld für Familienhilfe aus als geplant

Während der Pandemie haben viele Familien Erziehungshilfen beansprucht. Es ist eine zusätzliche Belastung für den Potsdamer Stadthaushalt.

Potsdam - Schule zu Hause, Homeoffice, Lagerkoller: Im Zuge der Coronakrise waren viele Familien genervt, manche auch überfordert. Das hat nun auch Folgen für den Potsdamer Haushalt. Denn seit Beginn der Pandemie sind Kosten für sogenannte Hilfen zur Erziehung enorm gewachsen – diese erhalten Eltern, die mit der Betreuung ihrer Kinder überfordert sind. Weil das in Zeiten der Corona-Lockdowns deutlich zugenommen hat, klafft nun in der Stadtkasse ein weiteres Millionenloch, das geschlossen werden muss.

Die Rathaussprecherin Christine Homann bezifferte auf PNN-Anfrage das Ausmaß der Misere. So würden für das Jahr 2020 nach jetzigem Stand 3,55 Millionen Euro extra benötigt, für das aktuelle Jahr zusätzlich 3,4 Millionen Euro. Dagegen habe es 2019 noch keinen Mehrbedarf gegeben.

Damals wurden pro Monat im Schnitt 950 verschiedene Hilfen zur Erziehung finanziert – 2020 waren es dann schon rund 1060 pro Monat, darunter knapp 50 zusätzliche stationäre Maßnahmen. Das sind betreute Wohnformen, die als besonders kostenintensiv gelten.

Die Fallzahl sei also überplanmäßig gewachsen, sagte Rathaussprecherin Homann. Dazu sei eine steigende Preisentwicklung bei den Anbietern solcher Hilfen zu verzeichnen. „Die Kombination beider Parameter führt entsprechend zum Mehrbedarf.“ Zugleich erklärte die Sprecherin, wie solche Maßnahmen gewährt werden. 

Unmut in der Rathausspitze

Grundsätzlich werde jeder Verdachtsfall auf eine Kindeswohlgefährdung oder ein Hilferuf aus einer Familie durch die Mitarbeiter des Jugendamts einzeln geprüft, was ein standardisiertes Verfahren sei. Hilfen zur Erziehung seien dabei eine mögliche Maßnahme zur Abwendung von Gefährdungslagen, sagte die Stadtsprecherin.

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Nach PNN-Informationen hatte es wegen der hohen Kosten durchaus Unmut und Erklärungsbedarf in der Rathausspitze gegeben – auch weil gerade das Finanzdezernat von der Höhe überrascht wurde. Das Jugendamt fällt wiederum unter die Verantwortung von Dezernentin Noosha Aubel (parteilos).

Sprecherin Homann sagte, die Entwicklung der Kosten sei fachbereichsintern bekannt gewesen und kommuniziert worden. Ferner besteht für solche Hilfen auch ein gesetzlich geregelter Rechtsanspruch. Sparen kann eine Kommune hier also nicht. Im Mai hatte die Stadtverwaltung noch angegeben, dass man den Mehrbedarf bei den Hilfen gerade noch prüfe.

Tatsächlich haben sich höhere Kosten schon abgezeichnet, zumindest haben Fachleute in dem Bereich stets vor Mehrkosten im Zuge der Pandemie gewarnt – und auch bundesweit sind die Kosten in die Höhe geschossen. Auch hatte der zuständige Kinderschutzmanager im Rathaus bereits im September 2020 über stark gestiegene Fallzahlen berichtet.

Dezernentin Noosha Aubel (parteilos).
Dezernentin Noosha Aubel (parteilos).

© Ottmar Winter PNN

Zahl der Kindeswohlgefährdungen verdoppelt

Im April 2021 hieß es, die Zahl der Kindeswohlgefährdungen habe sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt – registriert wurden 109 Fälle. Dominierend seien Schicksale wie Vernachlässigung oder auch seelischer Gewalt gewesen, in acht Fällen registrierte die Stadt auch sexuelle Übergriffe. 

Zugleich sind die Mehrkosten eine weitere Belastung für den ohnehin im Zuge der Coronakrise in die Schieflage geratenen Stadthaushalt. So hatte Finanzdezernent Burkhard Exner (SPD) zuletzt deutlich gemacht, dass die Stadtverwaltung in den nächsten Jahren ihre Liquiditätsreserve von 194 Millionen Euro abschmelzen muss. Das Problem: Neue Rettungsschirme für Kommunen sind nicht in Sicht.

So wird für 2022 ein Rekord-Minus von 33,5 Millionen Euro erwartet. Im Jahr darauf fehlen der Stadt mehr als 16 Millionen Euro, in den Folgejahren geht Exner von einem Defizit von jeweils rund acht Millionen Euro aus.

Landesreform bei der Kommunalfinanzierung?

Noch nicht vom Tisch ist nach PNN-Informationen ebenso, dass eine drohende Landesreform bei der Kommunalfinanzierung – Stichwort ist die so genannte Einwohnerveredelung – ab 2023 pro Jahr noch einmal 17 Millionen Euro weniger für die Landeshauptstadt bedeuten könnte. Auch davor hatte Kämmerer Exner schon mehrfach gewarnt.

Insofern muss die besagte Kostenexplosion bei den Hilfen zur Erziehung kompensiert werden. Wie das gehen soll, ist öffentlich noch nicht kommuniziert. Stadtsprecherin Homann sagte, zu möglichen Finanzierungsquellen für die Haushaltslöcher würden finale Abstimmungen laufen, so Sprecherin Homann.

Auch im Stadtparlament war die Haushaltslage am Mittwoch Thema. Dabei stimmte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen ein. Es seien schwierige Entscheidungen zu treffen, sagte er – und forderte explizit den Verzicht auf Neues. Den Haushalt „durchzutragen heißt nicht draufsatteln.“

Debatte über Potsdam Museum

Wie berichtet wird derzeit debattiert, ob und wie das Potsdam Museum neue Ausstellungsräume erhalten könnte – das hatte Schubert bereits vor einigen Tagen abgelehnt. Ab Dezember soll die heiße Phase der Haushaltsdebatte beginnen, kündigte der Rathauschef an.

Zugleich wollte der AfD-Fraktionschef Chaled-Uwe Said angesichts der weggebrochenen Einnahmen im Stadtparlament wissen: „Ist die Landeshauptstadt in dieser Situation überhaupt noch in der Lage, die langfristig beschlossenen investiven Maßnahmen noch zu realisieren, ohne das Steueraufkommen zu erhöhen?" Die Antwort von Kämmerer Exner fiel dabei nüchtern aus: Das Steueraufkommen müsse wieder höher werden, auch wenn das eine Weile dauern werde. Steuererhöhungen in Potsdam seien aktuell aber nicht geplant, fügte er hinzu.

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