zum Hauptinhalt

Messer-Angriff auf Polizisten: Urteil am Potsdamer Landgericht: Ein Mordversuch – ohne Schuld

Nach einem Messer-Angriff auf einen Polizisten muss ein 25 Jahre alter Potsdamer in die Psychiatrie. Der Richter befindet: Jeder müsse dankbar sein, nicht derart aus der Bahn geworfen zu werden.

Potsdam - Die letzten Worte von Richter Theodor Horstkötter klangen beunruhigend. „So eine Erkrankung kann jeden von uns treffen, davor ist niemand gefeit.“ Gemeint ist das Krankheitsbild der paranoiden Schizophrenie, an der André R. (*Name geändert) leidet – und die ihn zur Gefahr für die Allgemeinheit werden lässt.

Nach versuchtem Mord an einem Polizisten wird der 25 Jahre alte Potsdamer für unbestimmte Zeit in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht. Das entschied am Donnerstag die Strafkammer von Richter Horstkötter am Landgericht. Mit der Entscheidung schloss sich die Kammer auch der Auffassung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage an. Ob R.s Verteidiger dagegen in die Revision geht, steht noch nicht fest.

Todesdrohungen gegen Mitstudenten

In seiner Begründung schilderte Horstkötter noch einmal jenen 16. April des vergangenen Jahres, an dem der heute 31 Jahre alte Polizist Enno H. beinahe sein Leben verlor. Er und drei andere Beamte hatten damals R. in dessen Wohnung am Schillerplatz aufgesucht. Anlass: Der damalige Produktdesign-Student hatte via Intranet Todesdrohungen an Mitstudenten in der Potsdamer Fachhochschule (FH) versendet – nachdem die FH-Leitung ihnen nicht helfen konnte, erstatteten sie Strafanzeige wegen Bedrohung.

Den deswegen gerufenen Polizisten bot sich in R.s Wohnung eine „geordnete Situation“, Anhaltspunkte für Gefahr hätten nicht bestanden. Der junge Mann habe zwar seine Krankenakten gezeigt, aber sich weitgehend kooperativ verhalten – die Polizisten wollten ihn vom sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt begutachten lassen. Was sie im Detail nicht wussten: R. hatte im Jahr zuvor seinen Vater mit dem Messer bedroht und musste danach bereits drei Monate in der geschlossenen Psychiatrie verbringen – eine von ihm als Unrecht betrachtete Erfahrung, wie der Richter anmerkte. In diese Lage habe R. nicht noch einmal geraten wollen, in einer Mischung aus Ausweglosigkeit, Wut und Zorn habe er blitzschnell ein unter seinem Kopfkissen verstecktes Messer gezogen und die 20 Zentimeter lange Klinge mit voller Wucht in den Nacken von H. gerammt. Dann habe R. seine Aggression gegen sich selbst gerichtet und am Bauch und Oberschenkel lebensgefährliche Verletzungen zugefügt – wegen des hohen Blutverlusts durch eine gekappte Ader.

Der Schwerverletzte sagte noch: "Bitte sage meiner Frau, dass ich sie liebe."

Schwerer waren die Verletzungen des Polizisten. Dieser brach nach der Attacke zusammen, erstickte fast in seiner eigenen Blutlache, wie sein Anwalt sagte. Offenbar hatte H. mit seinem Leben abgeschlossen. Zu einem Kollegen sagte er dem Anwalt zufolge noch: „Bitte sage meiner Frau, dass ich sie liebe.“

Noch am Tatort hatte sich der Angreifer für seine Tat entschuldigt und gesagt: „Es tut mir leid.“ Das sagte er am Donnerstag nicht. Vielmehr warf er den Ermittlern pauschal vor, den Fall nur oberflächlich behandelt zu haben. Damals habe er alles „als falsch“ empfunden, daher auch keine andere Wahl gesehen, „als sich zu verteidigen“. Und R. wiederholte: „Ich bin nicht krank.“ Ein Gutachter hatte R. vor Gericht bescheinigt, keine Einsicht zu besitzen, dass er unter einer ausgeprägten Schizophrenie inklusive Verfolgungswahn und Denkstörungen leidet.

Der Angeklagte war als Kind und Jugendlicher ein Überflieger

Wie es so weit kommen konnte? Richter Horstkötter sagte, es habe offenbar einen Umstand in R.s Leben gegeben, durch den die Krankheit ausgelöst wurde. Bis ins Alter von 16 Jahren verlief sein Leben reibungslos, wegen seiner überdurchschnittlichen Leistungen konnte der Sohn einer früheren Spitzensportlerin sogar eine Klasse am Helmholtz-Gymnasium überspringen, nebenbei spielte er Fußball im Verein. Doch dann sei es zu einem ersten Bruch gekommen, so Horstkötter – H. wurde beim Graffiti-Sprühen erwischt, seine Leistungen ließen nach. Nach dem Abitur reiste er als Rucksacktourist durch Südamerika, erkrankte dort längere Zeit, erlebte ein Erdbeben mit. Zurück in Potsdam begann er eine Ausbildung – und brach sie ab, nachdem er einen Kollegen zusammengeschlagen hatte. Damals habe sich die psychische Erkrankung erstmals deutlich bemerkbar gemacht, so der Richter. In der Folge begann H. das FH-Studium, zunächst gab es keine Probleme. Doch durch die Krankheit sei H. zunehmend aggressiv aufgetreten – bis zu der Attacke, für die er wegen „aufgehobener Steuerungsfähigkeit“ nicht schuldfähig ist und zumindest strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen wird.

Dafür muss H. in die Psychiatrie. Der Richter appellierte an ihn: „Wenn Sie noch eine Chance haben wollen, müssen Sie sich auf die Therapie der Ärzte einlassen.“ In diesem sogenannten Maßregelvollzug wird einmal pro Jahr überprüft, ob die Insassen noch allgemeingefährlich sind. Allerdings werde sich die Krankheit kaum von heute auf morgen beseitigen lassen, sagte Richter Horstkötter: „Das wird kein Sprint, sondern ein Marathonlauf.“ Und: Jeder müsse dankbar sein, nicht derart aus der Bahn geworfen zu werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false