zum Hauptinhalt
Über 480 Schach-Amateure nahmen am Vorrundenturnier teil, darunter 34 Potsdamer. 

© Ottmar Winter

Meisterschaft der Schach-Amateure im Kongresshotel Potsdam: Den Gegner geistig besiegen

Taktieren, analysieren und die besseren Nerven haben: Erstmals findet an diesem Wochenende die Meisterschaft der deutschen Schach-Amateure in Potsdam statt. Ein Besuch.

„Bitte Ruhe“ und „Handyverbot“ steht an der Tür zum großen Seminarsaal. Dahinter herrscht höchste Konzentration: Rund hundert Teilnehmer der Deutschen Schach-Amateurmeisterschaft (DSAM) sitzen sich in langen Reihen gegenüber und schauen grübelnd auf das vor ihnen liegende Schachbrett mit den schwarzen und weißen Figuren. Daneben steht eine rot blinkende Stoppuhr.

Rund vier Stunden kann so eine Partie dauern – wie hält man das durch? „Mit ganz viel Kaffee“, scherzt der 40-jährige René Kellner aus Potsdam, einer der 483 Teilnehmer des Vorrundenturniers. Seit Freitag läuft das noch bis Sonntag angesetzte Turnier, in dessen Verlauf jeder Teilnehmer fünf Partien spielt. „Das ist wie ein Arbeitstag, wenn man am Tag zwei Partien hat“, sagt Kellner. Er selbst spielt beim Potsdamer SV Mitte e.V., mit etwa 60 Mitgliedern einer der größten Schachvereine der Stadt. „Für eine Stadt dieser Größe hat Potsdam eine sehr lebendige Schachszene“, sagt Kellner. Insgesamt fünf Schachvereine gibt es in Potsdam.

34 Potsdamer haben sich für das Vorrundenturnier im Kongresshotel am Templiner See angemeldet. Für sie ist dieser Termin ein Highlight, denn erstmals seit Beginn der DSAM im Jahr 2001 findet eines der Turniere in Potsdam statt. „Es war überfällig, dass die Meisterschaft hier in die Nähe von Berlin kommt, das sieht man auch an den Teilnehmerzahlen“, sagt Kellner. Tatsächlich ist es das bislang viertgrößte DSAM-Turnier.

Kellner macht gerade im Foyer des Hotels eine Pause, denn sein Kontrahent überlegt noch, wie der nächste Zug aussehen soll. Eineinhalb Stunden Bedenkzeit gibt es für die ersten 40 Züge. „Mein Gegner braucht sehr lange zum Überlegen, deshalb mache ich relativ komplizierte Stellungen“, erklärt Kellner seine Taktik. „Irgendwann ab dem 30. Zug wird er vermutlich in Zeitnot kommen und dann Fehler machen.“ Gute Beobachtung und strategisches Denken sind zum Gewinnen beim Schach unerlässlich: „Die Faszination liegt für mich darin, den Gegner geistig zu besiegen“, sagt Kellner.

Insgesamt sieben Gruppen verschiedener Spielstärken treten beim DSAM in sieben Vorrundenturnieren gegeneinander an. Das Potsdamer Turnier ist das dritte der aktuellen Meisterschaft 2018/2019, das Finale wird Ende Mai in Magdeburg stattfinden. Auch, wenn es nur die Amateurmeisterschaft ist, sind doch ein paar Schachgrößen in Potsdam vor Ort: Etwa die mehrmalige DDR-Schach-Meisterin Annett Wagner-Michel oder der Schach-Großmeister Robert Rabiega. Letzterer ist nicht als Teilnehmer, sondern nur als Berater anwesend, der dabei hilft, Spiele zu analysieren. Abseits von den Turniertischen sitzt er gerade mit einem etwa siebenjährigen Turnierteilnehmer vor einem Schachbrett und geht mit ihm die letzte Partie Stück für Stück durch. Rabiega beobachtet, kommentiert. Ab und zu greift er ein: „Lass uns mal die Dame dahin setzen, wo könnte die noch hinziehen?“

Die Altersspanne des Turniers reicht von sechs bis 80 Jahren – nicht das Alter zählt, sondern nur die spielerische Stärke. Die Teilnehmer werden innerhalb der Gruppen zufällig ausgelost. Im großen Seminarsaal spielt ein zehnjähriges Mädchen gegen einen etwa 60-Jährigen. Von seinem Rollstuhl aus zeigt er auf einen Plan mit Schachfeldern, ein Assistent setzt die Figuren für ihn. „Inklusion wird hier groß geschrieben“, sagt Turnier-Direktor Daniel Wanzek vom Deutschen Schachbund e.V. „Es gibt auch Teilnehmer mit Sehbehinderungen oder anderen Einschränkungen, die hier mit den anderen Teilnehmern zusammenspielen – in welchem Sport hat man so etwas schon?“

Nach rund vier Stunden Schach macht so mancher Teilnehmer erst mal einen kurzen Spaziergang am Schwielowsee. Doch auch im Foyer und im Café des Kongresshotels stehen etliche Schachbretter auf den Tischen: Einige Teilnehmer gönnen sich selbst zwischen den Runden keine Pause, sondern spielen noch eine Partie Blitzschach oder analysieren das vergangene Spiel.

Insgesamt gehe es aber viel gemütlicher zu, als bei einer Profimeisterschaft, findet Kellner: „Die Atmosphäre ist nicht so von Ehrgeiz zerfressen, sondern eher freundschaftlich.“ Für ihn gehe es ohnehin vor allem darum, bei den Turnieren Freunde und Bekannte zu treffen.

Dabei handelt es sich nicht ausschließlich um intellektuelle Nerds oder Informatiker, das sei ein Klischee, so Wanzek: „Die Teilnehmer kommen aus allen möglichen Schichten und Berufen.“

Nachwuchsprobleme hätten die Schach-Amateure nicht, sagt Wanzek, eher im Gegenteil: Vor allem die kürzliche Schach-WM in London hat dem Denksport einen kleinen Popularitätsschub gegeben. In einem spektakulären Finale hatte der Norweger Magnus Carlsen den US-Amerikaner Fabiano Caruana besiegt, nachdem zuvor zwölf Partien unentschieden ausgegangen waren – das hatte es noch nie gegeben.

Der Deutsche Schachbund möchte Schach möglichst schon Kindern in der Kita näherbringen. Dabei gehe es nicht nur um die Nachwuchsförderung, sondern auch darum, dass Schachspielen nachgewiesenermaßen viele positive Effekte in der kindlichen Entwicklung habe, sagt Wanzek: „Es fördert logisches Denken, Disziplin, Geduld, vorausschauendes Denken und das Umgehen mit Niederlagen – ich glaube, das ist sehr wichtig heutzutage.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false