zum Hauptinhalt

Mehr PlusBusse, Bahnverbindungen und Taxen: Grüne wollen Mobilitätsgarantie im Land Brandenburg

Einem Gutachten zufolge ist das Vorhaben umsetzbar. Die Opposition zweifelt jedoch am politischen Willen der Regierung.

Potsdam - „Isch ’abe gar keine Auto.“ Wer in Brandenburg diesen berühmten Satz aus der Nescafé-Werbung sagt, kann nur abwarten und Brösel-Cappuccino trinken. Bis vielleicht doch einmal ein Bus vorbeikommt. In den ländlicheren Regionen haben Bürger ohne eigenen Pkw oft das Nachsehen. Die Takte sind ausgedünnt, gerade zu den Randzeiten – wenn im Dorf überhaupt noch ein Bus hält. 

Die Grünen im Landtag wollen das ändern und eine Mobilitätsgarantie für Brandenburg geben. Egal von welchem Ort in der Mark sollen Bewohner wochentags zwischen 5 und 22 Uhr stündlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegkommen. Am Wochenende soll auf einen Zwei-Stunden-Takt reduziert werden, dafür sollen Bus oder Bahn Freitag und Samstag bis Mitternacht fahren. 

Die Umsetzung hänge am politischen Willen

Wie dieses Verkehrskonzept umzusetzen ist und vor allem was es kostet, wurde nun im Auftrag der Grünen-Fraktion untersucht. Die Studie des ÖPNV-Beratungsunternehmens KCW und der Verkehrs- und Regionalplaner Proziv wurde gestern im Landtag vorgestellt. Fazit: „Eine Mobilitätsgarantie in Brandenburg ist mittelfristig möglich und finanzierbar, wenn der politische Wille vorhanden ist“, sagte Clemens Rostock, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen. 

[Was ist los in Potsdam und Brandenburg? Die Potsdamer Neuesten Nachrichten informieren Sie direkt aus der Landeshauptstadt. Mit dem neuen Newsletter Potsdam HEUTE sind Sie besonders nah dran. Hier geht's zur kostenlosen Bestellung.]

Mit einem Mix aus mehreren Verkehrsmitteln soll das Land bis in den letzten Winkel erschlossen werden. Die Bahn – dann mit möglichst stündlichen Halten überall – sei das „Rückgrat“, Plus- oder Taktbusse die „Gräten“ und Rufbusse die „Zubringer“, sagte Rostock. In sechs bis acht Jahren sei das umsetzbar, wenn Land und Kommunen zu entsprechenden Investitionen bereit wären. 

In dem beauftragten Gutachten wurde am Beispiel Oder-Spree für die berlinnahen und am Beispiel der Uckermark für die berlinfernen Landkreise hochgerechnet, wie sehr die Zuschüsse der öffentlichen Hand steigen müssten, um die Mobilitätsgarantie einlösen zu können. Demnach wären jährlich 38 Millionen Euro zusätzlich nötig, um den vollen ÖPNV-Ausbau in allen Landkreisen zu stemmen. Ein Zuwachs um 26 Prozent im Vergleich zu den bisherigen Zuschüssen. 2019 kamen vom Land und den Landkreisen (ohne die kreisfreien Städte) 145 Millionen Euro.

Aufstockung der PlusBus-Linien wäre nötig

Nicht nur das Land sei gefordert, sagte Rostock, sondern auch die Landkreise. Deren Engagement sei derzeit sehr unterschiedlich. „Potsdam-Mittelmark ist ein Vorbild für alle anderen Landkreise“, sagte der Verkehrspolitiker. Die Zusammenarbeit zwischen dem Landkreis und dem regionalen Busunternehmen funktioniere. In Mittelmark gibt es mehrere PlusBus-Linien. Die erste wurde vor sechs Jahren eröffnet, eine Premiere in Brandenburg. Die PlusBusse fahren mindestens im Stundentakt, enden an Bahnhöfen, wo maximal 15 Minuten später ein Zug abfährt. Sie fahren auch am Wochenende und sind mit W-Lan ausgestattet

Zudem investiert Potsdam-Mittelmark mit jährlich 64 Euro je Einwohner am meisten in den ÖPNV. Schlusslicht ist Oberhavel mit einem Zuschuss von knapp 19 Euro je Einwohner. Wenn die Landkreise mit bislang unterdurchschnittlicher Finanzierung (der Landesschnitt liegt bei rund 35 Euro pro Einwohner und Jahr) ihre Zuschüsse anheben würden, wäre das Vorhaben in einem absehbaren Zeitrahmen umsetzbar, meint Gutachter Christian Mehlert vom Unternehmen KCW, das auch einige Landkreise in Brandenburg bei der Erstellung ihrer Nahverkehrspläne unterstützt. Zudem wird in der Studie vorgeschlagen, auch die Taxi- und Mietautobranche zu unterstützen – über welchen Weg auch immer.

Linke kritisiert Tatenlosigkeit der Regierung

Die Grünen versprechen sich von einer Mobilitätsgarantie nicht nur eine Verbesserung der Brandenburger Ökobilanz. „Das ist auch eine soziale Frage“, sagte Rostock. Für Menschen ohne Auto oder Führerschein wie Kinder, Jugendliche und Menschen mit geringem Einkommen sei der ÖPNV Daseinsvorsorge. 

Der verkehrspolitische Sprecher der oppositionellen Linksfraktion, Christian Görke, fürchtet, dass die Koalition aus SPD, CDU, Grünen, in der die Letztgenannte der kleinste Partner sind, den Ideen keine Taten folgen lässt. Ihm sei völlig unklar, wie eine Mobilitätsgarantie mit Bahnen und Bussen im Stundentakt organisiert werden soll, wenn es schon bei der Grundfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs hapere. Die Politik der Landesregierung bleibe deutlich hinter den Versprechen des Koalitionsvertrags zurück. Die Erhöhung der Gelder für den ÖPNV um 1,5 Prozent pro Jahr (1,3 Millionen Euro) falle laut Haushaltsentwurf 2022 aus. „In ihrem Wahlprogramm hatten die Grünen sogar zehn Millionen Euro mehr pro Jahr gefordert“, sagt Görke, der unter Rot-Rot Finanzminister war.

Auch das angekündigte Reaktivierungsprogramm für stillgelegte Bahnstrecken sei nicht in Sicht. „Im Haushalt findet sich kein einziger Euro dafür“, moniert der Linken-Politiker. Selbst der Wiederaufbau der Potsdamer Stammbahn komme nicht voran, weil sich die Grünen in Brandenburg und Berlin nicht einig seien, ob dort Regionalzüge oder S-Bahnen fahren sollen. Die Zeche, fürchtet Görke, würden am Ende die Fahrgäste mit weiter steigenden Ticketpreisen zahlen. Das werde niemanden motivieren, aus dem Auto auszusteigen.

Zur Startseite