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Mauerfall-Gedenken in Groß Glienicke: Ein Haus, eine Jahrhundertgeschichte

Im Garten der heutigen Begegnungsstätte Alexander-Haus am Groß Glienicker See verlief einst die Hinterlandmauer. Nicht nur diese Vergangenheit konnten Besucher am Samstag nachempfinden. 

Groß Glienicke - Jahrzehntelang war Groß Glienicke ein Grenzdorf zwischen der DDR und West-Berlin. Dass die Mauer buchstäblich im Garten des Alexander-Hauses stand, verdeutlichte am Samstag eine Installation. Ein weißer Vorhang versperrte den Besuchern den Blick auf den See. Am Nachmittag wurde er beiseite genommen, um symbolisch die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze vor 30 Jahren zu feiern. Am Abend fanden sich die Groß Glienicker Kirchenchöre zum „Ufer-zu-Ufer-Singen“ am nördlichen Seeufer zusammen.

Das große Drama im Kleinen

„Eine Jahrhundertgeschichte steckt in diesem Haus“, sagte Ortsvorsteher Winfried Sträter. Das Wochenendhaus wurde 1927 vom Berliner Arzt Alfred Alexander gebaut, dessen Familie verbrachte dort in den Sommermonaten ihre Freizeit. Weil die Alexanders Juden waren, mussten sie vor den Nazis fliehen. Danach lebten andere Familien in dem kleinen, einstöckigen Gebäude. Eine aktuelle Ausstellung mit vielen Fotos und Originaldokumenten zeigt nun die bisher weniger bekannte Nachkriegsgeschichte des Alexander-Hauses – und die des Ortes.

Berlind Wagner vom Verein Alexanderhaus öffnet symbolisch die "Mauer" am Groß Glienicker See.
Berlind Wagner vom Verein Alexanderhaus öffnet symbolisch die "Mauer" am Groß Glienicker See.

© Andreas Klaer

Das große Drama der deutsch-deutschen Teilung hat sich in Groß Glienicke noch einmal im Kleinen abgespielt: Familien wurden zerrissen, gewachsene Strukturen zerstört. Aufgrund eines Gebietstauschs zwischen der sowjetischen und der britischen Besatzungsmacht 1945 verlief die Sektorengrenze in der Mitte des Sees. In der Nachkriegszeit gehörte ein Teil des ehemaligen Gemeindegebietes zum West-Berliner Bezirk Spandau, ein anderer zum DDR-Bezirk Potsdam.

Die Hinterlandmauer stand im Garten

Wo die Grenzanlage genau verlief, sieht man heute noch an den Überresten eines Pfeilers im Garten des Alexander-Hauses. Dort stand die sogenannte Hinterlandmauer. Die eigentliche Grenzmauer befand sich am Ufer des Groß Glienicker Sees. Dazwischen patrouillierten die bewaffneten DDR-Grenztruppen mit Motorrädern und zu Fuß. Erst am 24. Dezember 1989 wurde in Groß Glienicke wieder ein Grenzübergang eingerichtet.

Eine Ausstellung im Alexanderhaus zum Thema Mauerzeit und Grenzöffnung rekonstruiert die damalige Zeit.
Eine Ausstellung im Alexanderhaus zum Thema Mauerzeit und Grenzöffnung rekonstruiert die damalige Zeit.

© Andreas Klaer

Auf die Freude über die Wiedervereinigung sei Anfang der 1990er-Jahre ein „Schock“ gefolgt, sagt Ortsvorsteher Sträter. Viele Grundstückseigentümer sahen sich plötzlich mit Rückübertragungsforderungen ehemaliger Eigentümer konfrontiert, die nach 1945 enteignet worden waren. Doch in den vergangenen 30 Jahren sei Groß Glienicke stark gewachsen, ein Großteil der heutigen Einwohner habe gar keine eigene Erinnerung an die turbulente Umbruchszeit im Ort.

Auf das schauen, was verbindet

Auch Lucian und Karin Brodzinska sind erst nach der Wende hierher gezogen. Das Ehepaar – er aus dem Westen, sie aus der ehemaligen DDR - lebt vor, dass Ost und West sehr gut zusammen funktionieren können. Das Geheimnis? „Wir schauen vor allem auf das, was uns verbindet“, sagt Karin Bodzinska, „nicht auf das Trennende.“ Die beiden hätten sie viel voneinander gelernt, ergänzt Lucian Brodzinska. „Man sollte mehr zuhören“, sagt der Heilpraktiker und meint nicht nur die Ehe, sondern auch die große Politik.

Im Garten des Alexander-Hauses in Groß Glienicke ist bis heute ein Rest der Mauer zu sehen. 
Im Garten des Alexander-Hauses in Groß Glienicke ist bis heute ein Rest der Mauer zu sehen. 

© Andreas Klaer

Seit Juni dieses Jahres ist das Alexander-Haus eine interkulturelle Begegnungsstätte. In Workshops sollen Jugendliche und Pädagogen lernen, Vielfalt zu leben und Diskriminierungen zu vermeiden. „Aus der Erinnerung können wir Lehren für die Zukunft ziehen“, sagt Programmdirektorin Yasmeen Akhter. Es sei seine große Leistung gewesen, die innerdeutsche Mauer nieder zu reißen. Aber eine noch viel schwerere Aufgabe sei es, „Mauern in den Herzen“ einzureißen. Die Britin bezieht sich auf die Polarisierung politischer Debatten und den grassierenden Rassismus.

Vorbehalte wegen Treffen mit Flüchtlingen

Im Alexander-Haus finden auch Begegnungsveranstaltungen mit Geflüchteten statt. Einige Nachbarn hätten Vorbehalte gehabt, sagt Ingrid Meinecke vom „Alexander-Haus e.V.“ Andere hätten befürchtet, ihre Wohngegend könnte zum Ziel rechtsextremistischer Gewalt werden, wenn dort ein politisches Zentrum aufgebaut werde. Doch Gesprächsrunden und ein offener Dialog habe vielen die Ängste nehmen können, sagt Meinecke.

Das deutsch-deutsche Ehepaar Katrin und Lucian Brodzinka lebt seit zwei Jahren in Groß Glienicke.
Das deutsch-deutsche Ehepaar Katrin und Lucian Brodzinka lebt seit zwei Jahren in Groß Glienicke.

© Andreas Klaer

Winfried Sträter ist zuversichtlich, dass auch die noch offenen Streitfragen im Dialog geklärt werden können. Am Tag des Mauerfalls findet er es wichtig, auch an den „anderen 9. November“ zu erinnern: die Pogromnacht 1938, in der in ganz Deutschland Synagogen brannten und jüdische Menschen angegriffen wurden. „Die Geschichte könnte zurückgedreht werden“, mahnt Sträter. Erinnern und gedenken heiße auch, „um die Demokratie zu kämpfen“.

Christoph M. Kluge

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