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Mammutaufgabe im Landeshauptarchiv Golm: Restauratoren sichern 910 000 Aktenseiten aus der NS-Zeit

Eine große Menge Akten aus der NS-Zeit werden derzeit im Landeshauptarchiv in Golm archiviert. Eine Mammutaufgabe für die Restauratoren.

Von Birte Förster

Potsdam/Golm - Es ist eine wahre Mammutaufgabe, die die Mitarbeiter des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Golm in den kommenden Wochen und Monaten vor sich haben: 365 Originalakten, weitere 775 Dossiers auf Mikrofilmen, insgesamt 910 000 Seiten sollen gescannt und somit langfristig für die Wissenschaft gesichert werden. Aneinandergelegt würden die einzelnen Dokumente aus der NS-Zeit eine Strecke von etwa 84 laufenden Metern ergeben. „Durch die Digitalisierung wird der Zugang zu den Dokumenten für die Forschung erleichtert“, erklärt Friederike Scharlau, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Landeshauptarchiv.

Das Projekt basiert auf einer Kooperationsvereinbarung mit dem United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington, die im vergangenen Jahr zwischen beiden Einrichtungen unterzeichnet wurde. Um die Bestände zu digitalisieren, ist es aber nicht damit getan, die einzelnen Seiten unter einen Scanner zu legen. Umfangreiche Vorbereitungen waren nötig, damit das empfindliche historische Material die Scanprozesse übersteht, aber auch, damit die digitale Version gut lesbar ist. Grobe Verschmutzungen seien beseitigt worden, aber auch einige Restaurierungsarbeiten wurden durchgeführt, wenn Seiten eingerissen oder geknickt waren und Schimmelspuren entdeckt wurden, erklärt Scharlau.

US Museum hat Dienstleister aus Brandenburg mit den Scans beauftragt

In einem Raum des Landeshauptarchivs in der Golmer Straße Am Mühlenberg werden genau solche Arbeiten vorgenommen. Restauratorin Katharina Engelmann legt die einzelnen Dokumente dafür in ein Gerät zur Trockenreinigung. Der Staub wird dabei abgesaugt, eine Glasscheibe schützt die Restauratorin vor den frei werdenden Schmutzpartikeln. Eine wichtige Aufgabe für das Landeshauptarchiv bestand zudem darin, die Auswahl aus dem Teilbestand zu treffen und die Akten zu nummerieren, damit sich alles am Ende im richtigen Zusammenhang wiederfinden lässt. „Sonst hat man einen Scan, ohne zu wissen, was es ist“, betont sie.

Die Vorarbeiten sind laut Scharlau inzwischen abgeschlossen. Für die Scans hat das US-Museum einen Brandenburger Dienstleister beauftragt. Das Gerät, das dabei zur Anwendung kommt, ist eigens für das Scannen empfindlicher und wertvoller Schriftstücke entwickelt worden. Scharlau zeigt in einem Raum des Archivs ein solches Gerät, mit dem auch die dortigen Mitarbeiter Dokumente einscannen. Auf eine Platte wird die entsprechende Seite gelegt und langsam hochgefahren, bis die Seite dicht an eine Glasscheibe gedrückt wird, sodass der Scanvorgang beginnen kann – eine für historische Dokumente besonders schonende Methode. „Es ist immer eine Belastung für eine Akte, wenn sie gescannt wird“, erklärt die Historikerin. Einige Monate werde es noch dauern, bis die ausgewählten Bestände digitalisiert wurden. Die Kosten dafür übernimmt das Holocaust Museum und stellt dafür mehr als 100 000 Dollar zur Verfügung. Beide Einrichtungen erhalten nach Abschluss der Arbeiten die digitalisierten Akten. Die Öffentlichkeit hat dann vorerst noch nicht über das Internet, sondern über das US-Museum und das Brandenburger Archiv Zugang zu den Dokumenten.

Akten geben Auskunft über die NS-Verfolgung in der Provinz Brandenburg

Es handelt sich dabei um Verwaltungsakten der Regierung Potsdam, genau genommen um Polizei- und politische Angelegenheiten, die zwischen 1933 und 1945 entstanden sind. „Die Akten geben Auskunft über die NS-Verfolgung in der Provinz Brandenburg, über Ausgrenzung, Verfolgung und Deportation“, so Scharlau. Auch Nachweise für Enteignung und Schutzhaft würden sich darin wiederfinden. Die Historikerin schlägt eine Seite auf, auf der eine Kostenabrechnung für den Transport von Häftlingen zum KZ Ravensbrück zu sehen ist. Das gebe aber auch Auskunft über die Menschen, die verfolgt wurden, betont Scharlau. Namen und Anschriften von Menschen aus sämtlichen Verfolgtengruppen befänden sich in den Akten. Zum Teil werden Einzelheiten über bestimmte Personen wie Körpergröße und Gewicht, Augenfarbe sowie der Zustand der Zähne benannt. Sogar die Bekleidung wird beschrieben. Auch wenn es sich nicht um Personalakten handelt, würden sich darin die Schicksale einzelner Menschen widerspiegeln, sagt Scharlau. In einem anderen Aktenordner wird festgehalten, in welchem Umfang die Aufsicht der Schutzpolizei bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 gewährleistet werden muss sowie zum „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933. Die Verwaltungsakten verfügen zudem über Briefe von Menschen, die darum bitten, die Schutzhaft eines Angehörigen zu beenden.

Von der historischen Forschung seien die Unterlagen bereits berücksichtigt worden, sagt Scharlau. Dennoch: Je nach Forschungsvorhaben könne man unterschiedliche Erkenntnisse aus diesen Akten ziehen, betont sie. „Sie stellen ein großes Forschungspotenzial dar.“ Beabsichtigt sei damit auch, neue Impulse für die Forschung zu geben. Laut Scharlau steigt aber auch das Interesse Einzelner an solchen Akten, die Nachforschungen über ihre Familie vornehmen. Den langfristigen Erhalt dieser Dokumente rechtfertigt aber noch etwas anderes: „Die Archive garantieren für deren Authentizität“, sagt Scharlau. Es handele sich um Belege, die so erstmal nicht angezweifelt werden könnten. „Es sind Spuren, die die Nationalsozialisten selbst hinterlassen haben.“

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