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Im 18. Jahrhundert haben sich böhmische Glaubensflüchtlinge im heutigen Babelsberg niedergelassen. Viele waren Weber und Spinner. In der Nowaweser Weberstube wird an sie erinnert.

© J. Bergmann

Landeshauptstadt: Made in Potsdam

Seit 70 Jahren gibt es die Potsdamer Handwerkskammer. Viele Gewerke haben jedoch bereits früher ihre Spuren in der Stadt hinterlassen – und nicht nur dort

Das waren raue Sitten. Wer früher nach Abschluss seiner Handwerkslehre ein richtiger Geselle werden wollte, der musste in einem Ritual zum Abschluss seiner Lehrzeit oft einiges über sich ergehen lassen. Die Buchdrucker etwa veranstalteten das sogenannte Gautschen. Dabei setzten sie den ausgelernten Lehrling auf einen nassen Schwamm und tauchten ihn häufig sogar in ein mit Wasser gefülltes Fass. Auch bei den Schlossern ging es grob zu: Beim Schlüssel- oder Bartbeißen nahm der angehende Geselle einen Schlüssel zwischen seine Zähne, der dann dreimal herumgedreht wurde. Andere Gewerke wiederum pflegten ähnlich rustikale Sitten. Die Torturen, denen man die frisch gebackenen Gesellen unterzog, konnten sich je nach Region voneinander unterscheiden.

An diese Bräuche aus vergangenen Jahrhunderten, die sich – wie das Gautschen der Buchdrucker – zum Teil noch bis heute erhalten haben, erinnert der Historiker Björn Berghausen in dem Buch „Meisterschaft!“, das die Handwerkskammer Potsdam aus Anlass ihres 70-jährigen Bestehens herausgegeben hat und am heutigen Mittwoch vorstellt. In vielen kleinen Geschichten wird in dem 152 Seiten starken Buch die Geschichte des Brandenburger Handwerks lebendig gemacht. Die Potsdamer Handwerkskammer, die auf Grundlage eines Befehls der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 27. Mai 1946 gegründet wurde, residiert seit 1952 im Haus des Handwerks an der Ecke Friedrich-Ebert-/Charlottenstraße. Die Kammer ist zuständig für das Gebiet Westbrandenburg einschließlich Potsdam.

In der über 1000-jährigen Historie Potsdams nehmen sich die vergangenen 70 Jahre freilich nicht viel mehr als ein kurzer Moment aus. Handwerker haben über ein ganzes Jahrtausend hinweg dieser Stadt ein Gesicht gegeben. Ja, ohne die Zimmerleute, Schlosser, Maurer oder Dachdecker würde Potsdam gar nicht existieren. In besonderer Weise haben auch die böhmischen Weber und Spinner ihre Spuren hier hinterlassen. Namen wie die Tuchmacherstraße oder der Weberplatz erinnern im heute zu Potsdam gehörenden Babelsberg an jene Migranten, die wegen ihres protestantischen Glaubens aus Böhmen geflohen waren und in der Mark die Stoffproduktion ankurbeln sollten. Für sie ließ Friedrich der Große ab 1751 im Bereich zwischen dem heutigen Park Babelsberg und der S-Bahnlinie insgesamt über 200 gleichartig gestaltete Kolonistenhäuser bauen. Friedrich nannte den Ort „Kolonie bey Potsdam“, bald sprach man jedoch von „Nowawes“. Die Anlage war das größte friderizianische Weber- und Spinnerdorf des 18. Jahrhunderts in Preußen. Noch heute sind viele Weberhäuser erhalten.

Auch die Produktion von Glas hatte in Potsdam Tradition – wenn man vom heutigen Stadtgebiet ausgeht. Der bekannteste Glasmacher war der legendäre Alchemist Johann Kunckel, den der Große Kurfürst im Jahre 1678 an seinen Hof geholt hatte. Er leitete die Glashütte in Drewitz und später auch die kurfürstliche – später königliche – Kristallhütte am Hakendamm bei Potsdam. Jener Damm befand sich etwa dort, wo heute die Friedrich-Engels-Straße über die Nuthe führt. Kunckel besaß als Einziger in der Mark Brandenburg das Privileg, farbiges Glas zu produzieren. Berühmt war der Glasmacher, der auch auf der Pfaueninsel eine Werkstatt hatte, vor allem für sein Goldrubinglas.

Geradezu weltbekannt ist das Gemeinschaftskunstwerk mehrerer anderer Potsdamer Werkstätten: Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor wurde hier einst geschaffen. Die Brüder Wohler, die ihre Werkstatt im Holländischen Viertel in der heutigen Benkertstraße 3 hatten, stellten nach den Plänen von Johann Gottfried Schadow Holzmodelle der vier Pferde her. Als Vorlage dienten ihnen wiederum in Gips modellierte Tiere. Der Potsdamer Hofkupferschmied Emanuel Jury schließlich führte die Kupferarbeiten aus. Später räumte Jury übrigens ein, dass der Auftrag für das Viergespann deutlich schwieriger war, als er am Anfang dachte. Heute steht auf dem Brandenburger Tor allerdings eine Replik des historischen Streitwagens. Das Original wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Nur ein Pferdekopf ist noch erhalten.

Ebenfalls auf unzähligen Touristenfotos zu sehen ist das an prominenter Stelle in Potsdam gelegene Haus eines anderen Handwerkers: Die Historische Mühle von Sanssouci. Was man auch als Potsdamer inzwischen schon langsam vergisst: Die Mühle wurde im Krieg zerstört. Das heute so prägende Bild des Baus mit seinen Flügeln gab es über Jahrzehnte nicht. In den 1980er-Jahren plante die Handwerkskammer des Bezirks Potsdam, die Mühle aus Anlass der bevorstehenden 1000-Jahr-Feier Potsdams in historischem Gewand zu rekonstruieren. Doch wegen Geldmangels zog sich die Handwerkskammer 1991 aus dem Projekt zurück. In der Regie der Staatlichen Schlösser und Gärten wurde die Mühle später doch aufgebaut.

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