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M100-Medienpreis: Kreml-Kritiker Alexej Nawalny geehrt

Der Potsdamer M 100 Media Award geht an den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Dieser ist seit 263 Tagen in einer Strafkolonie inhaftiert.

Von Carsten Holm

Potsdam - Der 45 Jahre alte russische Oppositionelle Alexej Nawalny und seine Anti-Korruptionsstiftung FBK sind am Mittwoch während der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium mit dem M100 Media Award ausgezeichnet worden. FDP-Vorsitzender Christian Lindner, der die Laudatio im restaurierten Schlosstheater des Neuen Palais hielt, übergab den renommierten Preis an Nawalnys engsten Vertrauten Leonid Wolkow – weil der Preisträger selbst, so Lindner, seit Januar, seit 263 Tagen, in einer Strafkolonie gefangen gehalten wird. In Berlin, wo Union, SPD, Grüne und FDP nach der Bundestagswahl gerade mögliche Koalitionen ausloten, hatte Lindner am Mittag verkündet, dass seine Partei sich nur noch auf Gespräche mit SPD und Grünen über eine Koalition „konzentrieren” wolle. Am Nachmittag rollte seine Limousine dann in Potsdam am Neuen Palais vor. Lindner, der sich seit langem für die Freilassung des bekanntesten russischen Oppositionellen einsetzt, nannte ihn einen unermüdlichen Kämpfer für Demokratie.  

Die Laudatio hielt Christian Lindner 

Der FDP-Chef gab einen Post von Nawalny an seine Unterstützer wieder: „Macht euch keine Sorgen, die lebenslängliche Strafe endet in Russland nach 30 Jahren. 2051 bin ich wieder frei.” Lindner im Neuen Palais: „Humor kann eine Waffe sein.” Er plädierte für individuelle internationale Sanktionen gegen käufliche Eliten und Repräsentanten autoritärer Regimes – und nicht gegen die Bevölkerung.
Nawalny, profiliertester Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wurde am 20. August 2020 auf einem innerrussischen Flug vergiftet. Er überlebte und kehrte nach einer Behandlung in der Berliner Charité im Januar 2021 nach Russland zurück. Er kam sofort für zweieinhalb Jahre in ein Straflager.
Der M100 Media Award, laut dem internationalen TV-Moderator Ali Aslan, „der renommierteste Medienpreis Europas”, wird seit 2005 jährlich im Rahmen der internationalen Medienkonferenz an Persönlichkeiten verliehen, „die an der Speerspitze der Demokratie” stehen. Frühere Preisträger sind Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Journalist Deniz Yücel und das französische Satiremagazin Charlie Hebdo. 

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Wie resilient ist die Demokratie? 

Die Medienkonferenz M100 Sanssouci widmete sich in diesem Jahr dem Thema „Von der Dauerkrise zu demokratischer Resilienz”, zu einer Rückkehr zu den Grundwerten einer pluralistischen Gesellschaft. In seiner Begrüßung der rund 100 Journalisten und Wissenschaftler warnte Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD): Die „Aufmerksamkeitsökonomie des heutigen Medienbusiness” sei „ein perfekter Nährboden für das Entstehen populistischer Stimmungen”. Sei ein Politiker nicht mehr zum permanenten Tabubruch bereit, „kühlt auch das mediale Interesse ab”. 
Schubert warb einmal mehr für das 2019 in Potsdam gegründete Bündnis „Städte Sicherer Häfen”, das sich für rechtsstaatliche Asylverfahren und die Verteilung von Geflüchteten auf ganz Europa einsetze. Er kritisierte Medien, die diese Entscheidung der Städte „durch sprachliche Zuspitzung herabsetzen”. Notwendig sei jedoch eine von Populismus freie Diskussion über die Notwendigkeit von Zuwanderung. 

Hochkarätige Gäste  

Unter den hochkarätigen Gästen des Colloquiums waren Benjamin H. Bratton, Professor für Bildende Kunst an der University of California, Andreas Reckwitz, Professor für Allgemeine Soziologie an der Berliner Humboldt-Universität, Wolfgang Blau von der journalistischen Fakultät der Universität Oxford, der türkische Top-Journalist und Chefredakteur von Özgurüz Can Dündar, der afghanisch-australische Medienunternehmer Saad Mohseni sowie Claudia Major, Leiterin Abteilung Internationale Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. 

Schmaler Grat zwischen Prävention und Sicherheit 

Reckwitz beschrieb, wie der in jüngster Zeit oft verwendete Begriff der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit des demokratischen Staats, zu einer „Normalisierung negativer Zukunftserwartungen” führen könne. Diese Abkehr vom klassischen Machbarkeitsdenken berge Gefahren in sich: „Gesellschaften kommen besser aus Krisen heraus, wenn Vertrauen in Institutionen besteht.” Sie müssten wie auch Individuen lernen, „dass sie die Zukunft nicht vollständig planen können”.  Auf der staatlichen Ebene sei allerdings der Grat schmal zwischen einem Regime zur Prävention von Risiken und einer Hochsicherheitspolitik, während der Pandemie ebenso wie angesichts des Klimawandels. Reckwitz: „Man muss es aushalten, dass sich gesellschaftliche Risiken nicht auf Null reduzieren lassen.” 

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