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Dem Zuschauer verpflichtet. Natalja Sindejewa wurde mit dem M100-Award ausgezeichnet. Die russische Medienunternehmerin gründete 2010 den Fernsehsender Doshd TV. Seit der reguläre Sendebetrieb eingestellt wurde, ist er über Internet zu sehen.

© Steffi Loos/AFP

M100: Mediengipfel in Potsdam: Die Stimmen der Anderen

Es sind nur zwei Stimmen aus Ländern, die mit Demokratie nicht mehr viel zu tun haben. Der Mediengipfel M100 Sanssouci Colloquium am gestrigen Donnerstag zeigte aber, wie wichtig es ist, dass ihre Stimmen im Westen weiter gehört werden.

Potsdam - Da ist der türkische Journalist Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, der für seine Arbeit in seinem Heimatland zum Gefängnis verurteilt wurde und der seit einem Jahr in Deutschland lebt. Und die russische Medienunternehmerin Natalja Sindejewa, Gründerin und Chefin des einzigen verbliebenen unabhängigen Fernsehsenders in Russland, der nach dem erzwungenen Sendestop heute im Internet weitermacht. Dündar eröffnete am Donnerstagmorgen den Mediengipfel im Orangerieschloss von Sanssouci mit einer bewegenden Rede für die Freiheit und gegen die Abwendung Europas von der Türkei, Sindejewa wurde am Abend mit dem diesjährigen M100-Award ausgezeichnet. Mehr als 80 internationale Medienmacher waren für das Treffen nach Potsdam gekommen. Sie diskutieren unter dem Motto „Demokratie und Despotie? Die Renaissance der dunklen Mächte“ über die Zukunft der Demokratie und die Rolle der Medien.

Der eigentliche Sieger des Kanzlerduells sei Erdogan, sagt Dündar

Der türkische Präsident Erdogan, sagte Dündar in seiner Eröffnungsrede, sei der eigentliche Sieger des „Kanzlerduells“ zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD): Denn die dabei angekündigte die Abwendung Deutschlands und Europas von der Türkei spielten dem türkischen Machthaber in die Hände. Weil Erdogan die Opposition im Inland „nahezu vollständig zerschlagen hat“, suche er nun im Ausland nach Feinden: „Und Deutschland hat geradezu danach gedrängt, den Fehdehandschuh aufzunehmen.“

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Es sei aber „an der Zeit, dass Europa, und insbesondere Deutschland, die Türkei und Erdogan voneinander unterscheidet und lernt, sie unterschiedlich zu behandeln“, forderte der Journalist. Denn es gebe „die andere Türkei“, so Dündar weiter: „Das ist ein Land, das leidet, unterdrückt wird und dennoch weiterhin Widerstand leistet und Demokratie, Freiheit und Säkularismus bis zum letzten Atemzug verteidigt.“ Dündar warb für eine „Union der Demokraten“ zwischen demokratischen Kräften im Westen und in anderen Teilen der Welt: „Wir müssen auf lokaler, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Ebene zusammenarbeiten.“ Denn auch in westlichen Demokratien wachse der Populismus und rassistische Bewegungen. „Wir können die Hegemonie autoritärer Herrschaft nur zerschlagen, wenn wir zusammenstehen und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen“, mahnte Dündar: „Nur so werden wir eine demokratische und freie Welt schaffen.“

Sindejewa fordert "Führungspersönlichkeit mit Gewissen und mit Menschenwürde"

Als „das andere Russland“ bezeichnete Tanit Koch, Chefredakteurin der „Bild“-Zeitung, am Abend in ihrer Laudatio für M100-Preisträgerin Natalja Sindejewa den von dieser gegründeten unabhängigen Sender Doshd TV – zu Deutsch Regen TV: „Doshd TV ist das Gegengewicht zum einfarbigen Brei, mit dem die Staatssender die Frequenzen verstopfen.“ Die Preisträgerin sprach sich am Abend für einen menschlichen Staat aus: „Wir brauchen keine starke Hand, wir brauchen eine Führungspersönlichkeit mit Gewissen und mit Menschenwürde.“

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Die Journalistin hatte am Nachmittag noch klare Worte vermieden

Derart klare Worte hatte sie am Nachmittag zunächst noch vermieden. Von den anwesenden Journalisten nach einer Einschätzung zum aktuellen russisch-weißrussischen Militärgroßmanöver „Sapat“ an der Grenze zum Baltikum gefragt, antwortete sie ausweichend: „Ich bin keine Politikerin. Ich lebe nicht hier, sondern in Russland.“ Beim Rückblick auf die sieben Jahre seit der Gründung des Senders machte sie dann aber deutlich, welchen Repressionen sie und ihre Mitarbeiter ausgesetzt waren und sind. Doshd TV erreichte vor allem 2011 große Aufmerksamkeit, als er als einziger russischer Sender umfangreich über die Proteste nach den Parlamentswahlen berichtete. Sindejewa geht von um die elf Millionen Zuschauern zu dieser Zeit aus. Seit 2014 wurde der Sender aus den Kabel- und Satellitennetzen entfernt. Mit einer Kampagne sei der Sender als vermeintlich „antirussisch“ oder „amerikanisch“ geschmäht worden. Die Folge: Die für die Finanzierung wichtigen Werbekunden sprangen ab. Seit zwei Jahren ist Doshd TV lediglich über das Internet zu sehen – rund 70 000 zahlende Abonnenten habe man derzeit. Diesen Zuschauern sei der Sender stets verpflichtet, betonte die 46-Jährige. Erschwert werde die Arbeit auch durch eine Art Informationssperre – Regierungsvertreter kämen nicht mehr für Interviews ins Studio.

M100-Preis wird seit 2005 verliehen

Wie wichtig freie Medien sind, betonte auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) in seiner Begrüßung: „Ohne freie Medien sind keine freien Gesellschaften möglich, und ohne freie Gesellschaft ist auch die Wirtschaft bedroht.“ Der undotierte M100-Preis wird seit 2005 verliehen. Mit dem Preis sollen Verdienste um den Schutz der freien Meinungsäußerung und die europäische Verständigung geehrt werden. Mit Sindejewa geht der Preis erst zum zweiten Mal an eine Frau – 2008 war die kolumbianische Politikerin Íngrid Betancourt geehrt worden. M100 ist eine Initiative der Landeshauptstadt und des Vereins Potsdam Media International e. V. 

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