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Gerührt. Deniz Yücel (3. v. l.) musste bei seiner Dankesrede auch ein paar Tränen unterdrücken. Bei der Verleihung des M100-Awards kam er in Begleitung seiner Frau Dilek, FDP-Chef Christian Lindner (l.) hielt eine Rede, Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sprach ebenfalls. 

© Sebastian Gabsch

M100 Media Award: Engagiert bis an die Schmerzgrenze

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ist mit dem M100 Medien Award ausgezeichnet worden. In seiner Dankesrede fand er mahnende Worte gegenüber der Bundesregierung.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Helden brauchen vielleicht keine Pause – Deniz Yücel schon. Das sagte der 44-jährige deutsch-türkische Journalist bei der Verleihung des M100-Awards im Potsdam Museum am gestrigen Dienstag. Yücel, der am roten Teppich keine Interviews geben wollte – weil er sich derzeit in der Öffentlichkeit zurückhält – fand in seiner Dankesrede deutliche Worte, die er auch an die Bundesregierung richtete: Sie würde all diejenigen in der Türkei verraten, die sich nach einer freiheitlichen Gesellschaft sehnen, wenn Bundespräsident Frank Walter Steinmeier den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende September empfange. Yücel warnte: Der Nahe Osten sei auch deshalb in Aufruhr geraten, weil Mörder und Diebescliquen von der westlichen Welt unterstützt worden seien. „Es wird eine neue Explosion mit noch größerer Wucht folgen“, so der Journalist, wenn Menschen ohne Frieden, Freiheit und die Möglichkeit zur Teilhabe ihr Glück woanders suchten.

Yücel ist seit dem Jahr 2015 Türkei-Korrespondent bei der Welt N24-Gruppe, zuvor war er Redakteur bei der taz. Im Februar 2017 wurde er wegen angeblicher Terrorpropaganda in der Türkei festgenommen. Ein Jahr lang saß er ohne Anklage in türkischer Untersuchungshaft. Das löste weltweit Proteste und Solidarität für ihn aus. Am 16. Februar wurde er aus der Haft entlassen und konnte nach Deutschland zurückkehren. Das Verfahren gegen ihn läuft in der Türkei weiter.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag würdigte Yücel in seiner Rede bei der Preisverleihung als Beispiel für die Medienlandschaft – und die Gesellschaft. „Liberalität einer Gesellschaft misst sich an der Freiheit von Journalisten, ihre Arbeit zu tun“, sagte Lindner. Werde diese Freiheit eingeschränkt, seien alle Mitglieder einer Gesellschaft in ihren Rechten und ihrer Freiheit beschnitten. Deshalb brauche es Menschen wie Yücel, die bereit seien, ein Risiko einzugehen und den Geist einer freien Gesellschaft zu verteidigen.

Deutsche-Welle Chefredakteurin Ines Pohl würdigte Yücel als Kämpfer

Die Laudatio für Yücel hielt Ines Pohl, Chefredakteurin der Deutschen Welle. Yücel habe seine Haft in der Türkei überstanden, indem er stets gekämpft habe, berichtete sie aus Gesprächen mit dem Journalisten. Er habe mit journalistischen Mitteln gekämpft, recherchiert und geschrieben, auch als ihm das Papier genommen wurde. Yücel sei „engagiert bis an die Schmerzgrenze, ohne Rücksicht auf sich selbst“.

Erstmals im Barberini

Erstmals fand das M100 Sanssouci Colloquium mit rund 60 internationalen Medienmachern im Museum Barberini statt. Unter dem Motto: „Home Alone? Europe and the Post-American Age“ diskutierten die Teilnehmer bereits am Vormittag in mehreren Runden das neue transatlantische Verhältnis, Europas Agenda für das postamerikanische Zeitalter und die Rolle der Medien.

Fake News, Propaganda, das Aushöhlen von Institutionen: All das sei der Ausgangssituation Europas vor dem Ersten Weltkrieg ähnlich, erklärte John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, in seiner Eröffnungsrede zum Colloquium. „Nur, dass jetzt noch die Technologie hinzukommt“, so Kornblum, der zwar Präsident Trump und seine Aktivitäten im sozialen Netzwerk Twitter nicht direkt ansprach, aber doch deutlich auf ihn verwies. Er machte klar, dass für ihn das amerikanische Zeitalter nicht beendet sei, warnte aber vor einer fortschreitenden Beeinträchtigung der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Die Probleme, so Kornblum, seien nicht neu, allerdings stünden sie in einem neuen Kontext, nämlich dem der Digitalisierung. Alte Strukturen würden so aufgebrochen, ein neues Narrativ sei nötig.

Woidke: "Wir brauchen keine Twitter-Welt"

„Abschottung und Hassparolen sind der falsche Weg“, betonte auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Globale Probleme könnten nur mit einer lebendigen Demokratie und einer freien Presse gelöst werden. „Wir brauchen auch keine Twitter-Welt, sondern inhaltsstarken Diskurs“, so Woidke.

Journalisten und Medien befänden sich in einem „Krieg für die Zukunft der Demokratie“, sagte Ruth Ben-Ghiat, Professorin für Geschichte und italienische Studien an der New York University und Kolumnenschreiberin für CNN und die Washington Post. Dieser Krieg werde auch daran entschieden, inwieweit Medien auf sich schnell verbreitende populistische Posts bei Twitter – beispielsweise von US-Präsident Trump – eingingen.

Auch Woidke betonte, dass es wesentlich sei, sich für kritischen und unabhängigen Qualitätsjournalismus im Kampf für die Demokratie einzusetzen. Damit schlug er den Bogen zu Yücel: „Er hat meine höchste Bewunderung für seine kämpferische Haltung während der Gefangenschaft in der Türkei“, sagte er. Die Verleihung des Preises an Yücel solle auch an die rund 150 anderen in der Türkei noch immer inhaftierten oder unterdrückten Journalisten erinnern, hieß es von den M100-Organisatoren.

Yücel dankte in seiner mit Standing Ovations honorierten Rede am Abend auch ausdrücklich Kollegen und Weggefährten sowie seiner Frau Dilek Yücel. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) würdigte Yücels Mut. Der wies das zurück: „Ja, ich habe das Jahr meiner Geiselnahme damit verbracht, zu kämpfen“, sagte er. Aber es sei kein Mut gewesen, der ihn antrieb, sondern Selbstbehauptung.

Der M100 Media Award wird seit 2005 an Menschen verliehen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Die Preisträgerin 2017 war die russische Medienunternehmerin Natalja Sindejewa. M100 ist eine Initiative der Landeshauptstadt Potsdam und des Vereins Potsdam Media International. (mit dpa)

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