zum Hauptinhalt
Lakritzkontor-Chef Dietmar Teickner (l.) und Bierlese-Inhaber Eike Neubarth von der Händlerinitiative "Potsdamer Lebensqualität".

© Sebastian Rost

Lokal einkaufen in der Coronakrise: Wie Potsdamer Händler trotz Schließung um ihre Kunden kämpfen

Bestellung per Mail oder Anruf, Beratung per Video, Lieferung per Fahrrad: Potsdamer Einzelhändler probieren neue Wege in der Krise.

Von

Potsdam - Der Einzelhandel in der Landeshauptstadt ist nahezu komplett zum Erliegen gekommen. Geschäfte haben geschlossen, die Straßen sind leergefegt. Für kleine lokale Läden ist das existenzgefährdend. Viele von ihnen haben reagiert, bieten auch Online-Bestellungen und einen Lieferdienst an. Sie hoffen jetzt auf die Unterstützung der Potsdamer.

Bestellung per Anruf, Abholung am Laden

Zum Beispiel das Spielwarengeschäft Kinderkram in der Dortustraße. „Man kann uns weiter anrufen oder eine E-Mail schreiben“, sagt Mitinhaberin Anke Laube. „Wir liefern dann auch gerne.“ Auch eine Abholung sei möglich. Parallel zu diesem Service versuche man gerade, „einen Online-Shop zu basteln“. Für Kunden, die noch nicht genau wüssten, was sie eigentlich kaufen möchten, biete man zusätzlich sogar eine Telefonberatung an. „Uns geht es nicht darum, mit diesen Maßnahmen Geld zu verdienen, sondern um weiter in Kontakt mit den Potsdamer Kunden zu bleiben“, sagt Laube. 

Dass viele Kunden in der Krise auf die großen Internetplattformen ausweichen, ist auch die Befürchtung von Christel Naumann vom Künstler- und Bastelshop in der Dortustraße: „Klar können wir nicht alles anbieten, aber wir liefern alles, was es auch bei uns im Laden gibt“, sagt sie. Ihr Geschäft musste, wie so viele Einzelhändler, vergangene Woche vorerst schließen. Die Resonanz auf das Online-Angebot sei bisher aber eher gering. „Ich hoffe, dass es bis Ostern doch noch etwas mehr wird“, so Naumann. 

Innenstadthändler starten gemeinsame Plattform

Damit lokale Geschäfte trotz der Zwangsschließungen weiter überleben können, organisieren sich inzwischen immer mehr Unternehmen und Läden in der Initiative „Potsdamer Lebensqualität“. Ziel sei es, eine bessere Lieferung von Produkten zu den Kunden zu organisieren, indem Ware von mehreren Läden zusammen ausgeliefert wird, erklärt Sprecher Eike Neubarth, der gleichzeitig Inhaber des Geschäfts „Bierlese“ ist. „Wir wollen zeigen, dass der lokale Einzelhandel weiter für die Potsdamer da ist“, sagt Neubarth. „Auch wenn wir vielleicht zwei Wochen brauchen, um neue Lieferwege zu finden und die organisatorische Arbeit zu leisten.“

Inzwischen hätten sich der Initiative etwa zwei dutzend Läden und Unternehmen angeschlossen. „Es ist auch ein Appell an die Kunden: Liebe Potsdamer helft auch uns. Lasst uns das zusammen durchstehen“, sagt Neubarth. Momentan in der Initiative vertreten sind unter anderem der Literaturladen Wist, der Teeladen Ballhause, die Weinfachhandlung In Vino, das Lakritzkontor, der Potsdamer Sauenhain mit Schweinefleisch aus Weidehaltung vor Ort, das Modegeschäft Frau Paul Blusen oder das Brettspielgeschäft Galadriel. Nicht alle haben einen eigenen Webshop, aber auf der gemeinsamen Internetseite sind Kontaktdaten und Lieferoptionen aufgelistet.

Mir dem Fahrrad zum Kunden

Auch wer nicht Teil des Netzwerkes ist, setzt auf Online oder Telefon, etwa das Herrenmodegeschäft Herrenzimmer oder die Buchhandlung Internationales Buch. Dort können Kunden in den Geschäftszeiten per Telefon bestellen, auch einen Onlineshop gibt es. Die Bücher werden dann entweder per Post gleich an den Kunden geliefert. Oder mit dem Fahrrad oder dem Auto von Chef Jens Bellin und seinen Kollegen hingefahren – ohne Aufschlag, wie er betont. Gerade ältere Kunden schätzten das sehr, erzählt er: „Wir wollen unsere Kunden nicht im Stich lassen.“ 

Kaufberatung per Video-Chat

Der Schuhändler Guido Baar setzt beim Kinderschuhkauf in seinem Geschäft „Boys&Girls“ auf eine Videoberatung über die Messengerdienste Whatsapp oder Zoom. Mit Hilfe der Videofunktion begutachten die Schuhexperten sowohl die Füße als auch Innensohlen von getragenen Schuhen und empfehlen dann passende Schuhmodelle. „Neben wirtschaftlichen Aspekten wollen wir unbedingt den Kontakt zu unseren Kunden aufrechterhalten“, sagt Baar.

Der Aushang im Schaufenster reicht nicht

Auch in Babelsberg gibt es etliche Händler, die auf Online oder Liefer- und Abholdienste setzen. So bietet etwa das Käsefachgeschäft „Chez Martin“ telefonische Beratung und Bestellung plus Abholung vor Ort an. Das Papierwarengeschäft Petermann liefert sogar im ganzen Stadtgebiet. Die Parfümerie M kann auf den bereits vorhandenen eigenen Webshop zurückgreifen, sagt Inhaber Matthias Müller, der auch der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Babelsberg ist. Momentan organisiere man sich noch individuell, wegen der Krise könne auch die Händler-AG keine Treffen abhalten. 

Für viele Händlerkollegen sei die neue Situation eine Herausforderung: Lieferdienste hätten sie bislang nicht gehabt. Auch der Informationsfluss zum Kunden sei noch ein Problem, sagt Müller: Viele Läden informierten mit Aushängen im Schaufenster über alternative Lieferwege, „aber dadurch, dass niemand mehr rausgeht, ist das da schwierig“. Denkbar sei künftig, eine Übersicht über die Lieferoptionen der verschiedenen Geschäfte auf der Webseite der Händlervereinigung babelsberg-potsdam.de anzubieten.

Werbespots gucken und dem Kino helfen

Viel Solidarität bekomme man derzeit beim Thalia Kino zu spüren, sagt deren stellvertretende Leiterin, Daniela Zuklic. Die Menschen würden vermehrt Kinogutscheine kaufen. „Auch wollen viele, wenn wir wieder öffnen, ins Kino gehen. Das hilft uns auf jeden Fall“, sagt Zuklic. Die Kinos in Potsdam können auch mit dem freiwilligen Ansehen von Werbung unterstützt werden. Über die Internetseite „hilfdeinemkino.de“ kann man sein Lieblingskino wählen. Danach können sich Unterstützer Kinowerbespots, die normalerweise im Vorprogramm laufen, ansehen. „Potsdamer machen das bereits für uns. Wir erhalten über diesen Kanal wichtige Werbeeinnahmen“, so Zuklic. Auch das UCI-Kino in den Bahnhofspassagen ist bei dieser Aktion mit vertreten.

Um das lokale Gewerbe zu unterstützen, gibt es auch eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „Rettet Potsdamer Unternehmen – Ideen & Aktionen“. Das Ziel: sich über Möglichkeiten auszutauschen, wie den ansässigen Unternehmen geholfen werden kann. Auch gehe es darum, das Konkurrenzdenken abzulegen und Ressourcen zu bündeln, erklärt Administrator Daniel Stephan, der bereits mehrere Facebook-Gruppen für die Stadt Potsdam gegründet hat und leitet. „Vermutlich wird der Shutdown leider nicht nur zwei Wochen andauern, frühe Ideen und rasches Handelns sind deshalb gefragt.“ 

Zur Startseite