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Landeshauptstadt: Liste von Verhafteten im Kuppelkreuz

St.-Nikolai-Gemeinde öffnet Kapsel aus der Zeit nach dem Mauerbau – und erinnert sich an Eberhard Grauer

Innenstadt - Um 18 Uhr schlagen die Glocken von St. Nikolai. Würde jetzt geredet, wären sie nicht zu hören. Doch Stille herrscht im Gemeinderaum. Auch die Leute vom Fernsehen schweigen. Auf einem weißüberspanntenTisch steht eine verschweißte Kupferkassette. Grünspan leuchtet auf den Stellen, auf die Regenwasser floss. 44 Jahre überdauerte die Zeitkapsel im vergoldeten Kuppelkreuz der Nikolaikirche am Alten Markt – in 80 Meter Höhe. Am 28. August 1962 hat der Gemeindekirchenrat die Kassette am Kreuz verankert. Nachdem gestern die Glocken verklungen waren, begannen Handwerker, sich mittels Gasbrenner und Taschenmesser bis an die Flaschenpost aus der DDR-Zeit kurz nach dem Mauerbau vorzuarbeiten.

Von dem Inhalt weiß die Gemeinde nur, dass „sensible Dokumente“ dort versteckt wurden, die für ihre Verfasser „größte persönliche Konsequenzen“ bedeutet hätte, wären sie entdeckt worden, erklärte Pfarrerin Susanne Weichenhan.

Dann ist es soweit, der Kassettenverschluss wird abgenommen und der Gemeindekirchenrats-Vorsitzende Joachim Uhlig entnimmt eine kleine durchsichtige Plastiktüte. Marie-Luise Strohbusch, die einzige der Anwesenden, die schon 1962 im Gemeindekirchenrat war, entnimmt eine Ausgabe der Zeitschrift „Die Kirche“, einen Plan zum Wiederaufbau der Kirche, Schwarz-Weiß-Fotos von der Errichtung der Kuppel – und eine Liste mit den Namen von Kirchenmitarbeitern, die bis zum Stand 26. März 1962 verhaftet, verurteilt und ausgewiesen wurden. Erstellt wurde sie damals von den Potsdamern Ulrich Krüger und Christian Wendland. Ratsmitglied Anja Kriebel verliest die Namen der notierten Verhafteten. Dazu gehört der LPG-Bauer Karl Springborn oder auch Robert Wernitz aus Linthe bei Belzig. Bei Eberhard Grauer raunen die Gemeindemitglieder, einige kannten ihn persönlich. Die Firma des Potsdamer Kaufmanns gegenüber dem Stadthaus existiert heute noch. Laut Liste war er am 27. September 1961 verhaftet und dann zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Wie Uhlig informierte, wirkte er als Jugendleiter – er habe die Jugend gegen den Staat aufgewiegelt, so der Vorwurf. „Er war nach der Haft ein gebrochener Mann und ist dann bald gestorben“, erinnert sich Marie-Luise Strohbusch.

Im Oktober soll das Kuppelkreuz wieder angebracht werden – mit der Kassette. Die Gemeinde überlegt, was sie ihr beigeben könnte, denn in ihr ist noch Platz, so Pfarrerin Weichenhan. Guido Berg

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