zum Hauptinhalt

Links und rechts der Langen Brücke: Kein Totalitarismus-Brei

Guido Berg über die Potsdamer Gedenkpolitik und die Zukunft der Gedenkstätte Lindenstraße 54

Die Gedenkpolitik in Potsdam macht Fortschritte. Vorbei ist die anarchische Zeit nach 1990, da westdeutsche Investoren Lenin-Büsten quasi als Trophäen mit nach Hause nahmen und Karl-Liebknecht-Gedenkstätten wie die in der Hegelallee geschliffen wurden. Doch auch heute wird um die Deutung der Geschichte gefochten – mit feineren Klingen: Jede Zeit hat ihre Helden, Täter, Opfer, Mitläufer und Ikonen. Es braucht ein hohes Maß an Differenzierungsvermögen, um nicht durcheinander zu geraten. Schließlich wurden auch Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern. Hilfreich ist, mit ideologischer Unabhängigkeit und historischer Unaufgeregtheit auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu schauen, ohne die Empathie für die Opfer einzubüßen.

Besonders schwierig ist es, an Orten mit doppelter Verfolgung diese Ausgewogenheit und Balance zu wahren. Bestes Beispiel in Potsdam ist die Gedenkstätte Lindenstraße 54. Da saßen zwischen 1933 und 1945 Kommunisten ein auf ihrem Weg zum Fallbeil, das Erbgesundheitsgericht verurteilte tausende Frauen und Männer zur Zwangssterilisation. Nach 1945 sperrten Kommunisten und solche, die sich dafür hielten, NS-Täter in der Lindenstraße ein – aber auch viele Unschuldige, um eine Atmosphäre der Angst zu schüren. Drei Perspektiven der historischen Betrachtung müssen daher miteinander vereinbart werden: Da ist der Blick auf das Ähnliche in den beiden deutschen Diktaturen, die systemübergreifende Darstellung politischer Verfolgung, das Aufzeigen der Merkmale von Diktaturen, seien sie links oder rechts ideologisiert. Dabei ist die Gefahr groß, das 20. Jahrhundert in einen Totalitarismus-Brei zu verrühren. Denn nötig ist auch die epochenscharfe Unterscheidung – ohne dabei Zeitspannen und Opfergruppen zu bevorzugen. Wer hat wen zu welcher Zeit und aus welchen politischen Motiven verfolgt? Diese Fragen müssen mit wissenschaftlicher Faktenstrenge beantwortet werden.

Angesichts dieser komplizierten historischen Sachlage erscheint es heute als Fehlleistung, dass die Lindenstraße unter der Trägerschaft der Potsdamer Stadtverwaltung steht. Einer Stadtverwaltung, die politisch kontrolliert und gesteuert wird. Doch es gibt Hoffnung: Um die Gedenkstätte dem Zugriff der wechselnden Mehrheiten der Politik zu entziehen, soll nun eine kommunale Stiftung gegründet werden. Das geht in die richtige Richtung. Eine Eingliederung der Lindenstraße 54 in das Gedenkstätten-Netz der Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung wäre auch zu überlegen. Das Vermögen der Stiftung, sich politischen Zugriffen zu entziehen, hat sie mit der Ausstellung zum Speziallager Sachsenhausen bewiesen. Ob sie es mit der Dauerausstellung in der Potsdamer Gedenkstätte Leistikowstraße ebenfalls vermochte – oder auch nicht – kann und sollte trotz aller Konflikte erst nach der Eröffnung am 18. April bewertet werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false