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Liebesgeschichte von Potsdamer Autorin: Schlaflos in Sibirien

Eine Frau aus Potsdam und ein Mann vom Baikalsee verlieben sich. Jetzt hat Britta Wulf ein Buch über ihre schöne Geschichte geschrieben.

Es ist jetzt schon eine Weile her, aber wenn Britta Wulf über das erzählt, was ihr vor zweieinhalb Jahren widerfuhr – denn geplant oder auch nur irgendwie erwartet hatte sie so etwas nie – dann sprudelt es aus ihr heraus. Bis heute schwingt ein Überraschungsmoment mit, irgendwie, so sagt sie, ist das ja auch alles sehr absurd. Warum sollte sich eine gestandene Frau, Fernsehjournalistin beim rbb und alleinerziehende Mutter zweier Kinder, plötzlich in einen elf Jahre jüngeren Mann verlieben, der am anderen Ende der Welt lebt? Dessen Sprache sie nicht spricht, dessen Alltag so anders ist als hier in Mitteleuropa.

Aber so war es und jetzt hat Britta Wulf ein Buch darüber geschrieben. „Das Rentier in der Küche“, über ihre Liebe zu einem Mann, der am Baikalsee lebt. Zu Anatoli, den sie kennenlernt, als sie mit Kollegen vom rbb dort einen Film über die Ewenken dreht. Die Ewenken sind ein kleines Minderheitenvolk, verstreut auf verschiedene Länder in Mittelasien, auch in Sibirien leben einige. Anatoli hat eine ewenkische Mutter und ist im April 2014 die Kontaktperson des Drehteams. Dass er sich in die Potsdamerin Britta Wulf verguckt hat, merkt sie nicht einmal. Aber als zwischen Potsdam und Sibirien die SMS fliegen und sie immer mehr telefonieren, da bekommt sie Schmetterlinge im Bauch. „Ich wusste dann, ich muss da noch mal hin um zu sehen, was da dran ist“, sagt sie heute. Im Sommer 2014 nimmt sie allen Mut zusammen und reist, allein. Was wäre, wenn niemand sie abholte, wenn sie sich alles nur eingebildet hätte?

Aber so ist es nicht. „Ich weiß, dass alles gut werden wird. Dass ich hier richtig bin“, schreibt sie im Buch über den Moment des Wiedersehens. Und die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende, es könnte demnächst einen zweiten Band geben. Über Britta Wulf, die Auswanderin? „Nein, Auswandern ist zu teuer“, sagt sie. Dass Anatoli hierher zieht, ist auch undenkbar, das wissen sie spätestens, seitdem er mal hier war und seinen Baikalsee sehr vermisste. Nach zweieinhalb Jahren ist das Fazit: Alles ist offen. Und vieles war und ist komplizierter, als sie es erwarteten.

Bäume fällen, Eisangeln, Rentiere züchten

Mit Momenten voller Leichtigkeit hatte alles angefangen. Anatoli, der Mann aus dem sibirischen Dorf, der Bäume fällen kann, mit seinem Bruder Rentiere züchtet, der auf dem zugefrorenen Baikal Eisangeln fährt und im Wald zu Hause ist, trägt Britta auf Händen, als sie im Sommer wieder kommt. „Keine Ahnung, was der an mir findet“, denkt sie damals manchmal. Während die russischen Frauen, die sie dort trifft, seine Schwestern zum Beispiel, nie ungeschminkt und vorzugsweise in Stöckelschuhen aus dem Haus gehen, marschiert sie mit Anatoli tagelang durch den Wald zur versteckten Rentierfarm, verliert im Morast ihre Gummistiefel, geht mit ihm zelten auf eine entlegene Halbinsel im Baikalsee. Sie will die Landschaft erleben und verliebt sich nicht nur in den Mann, sondern auch in die Natur dieses besonderen Fleckchens Erde. Sie erinnert sich: „Meine Eltern waren mal dort. Und meine Mutter hat immer gesagt, da musst du mal hin.“

Sie lernt auch seine Familie kennen, reist mit ihnen zu weniger bekannten Orten, heiligen Quellen, buddhistischen Prinzessinnen. Sie erlebt aber auch die Sorgen, die die Menschen dort haben. Bis sie sie selbst einholen. Anatoli ist hoch verschuldet, die politischen Umwälzungen und seine Scheidung sind daran schuld. Das macht alles noch schwieriger, als es ohnehin ist. Ein lockeres Hin und Her von zwei sich liebenden Menschen zwischen Sibirien und Deutschland ist nicht vorgesehen. Britta Wulf fährt als Touristin im Sommer und zum Jahreswechsel hin, erlebt die Region als blühendes Paradies und im langen, eisigen Winter. Andersherum scheint das Reisen fast unmöglich.

Als Anatoli einmal nach Potsdam zu Besuch kommen möchte, erlebt Britta Wulf, wie kompliziert das alles ist. Sie muss für ihn bürgen und ihre finanziellen Verhältnisse bis ins kleinste Detail offen legen. Sie muss Flüge buchen und bezahlen, obwohl es noch kein Visum gibt – aber ohne gebuchten Rückflug gibt es kein Visum. Nachts schreiben sie SMS über den Irrsinn, schlafen kann Britta Wulf sowieso nicht mehr richtig.

Ostsee statt Baikalsee

Dann ist er hier, Sommer 2015, und langweilt sich erstmal. Wer ständig mit seinen Händen arbeitet, braucht was zu tun. Weil Bäume fällen nicht geht, repariert er den Zaun, wäscht das Auto. Dann machen sie Urlaub an der Ostsee. Schön sei es hier, sagt er, aber kein Vergleich mit dem Baikalsee. Britta Wulf zeigt ihm Berlin bei Nacht, die Lichter dieser Riesenstadt faszinieren ihn. Was er nicht versteht: Dass es hier in Deutschland Geld kostet, auf die Toilette zu gehen. Ohnehin ist es schwer für ihn, dass die Frau alles bezahlt, weil er kein Geld hat.

Fazit seines Besuchs: Anatoli gehört nicht hierher. Das macht sie beide traurig, aber jetzt wissen sie es wenigstens. Keine Ahnung, wie es weitergeht, sagt Britta Wulf. Sie haben keinen Plan – können aber auch nicht voneinander lassen, täglich telefonieren sie, Britta Wulfs Russisch wird immer besser. Nichts bereut sie von all dem, was passiert ist. „Mit 52 Jahren ist es wohl an der Zeit, zu tun, was man tun muss“, sagt sie. Ihre Kinder ermutigen sie. „Ich kann dich verstehen, ist doch cool“, sagte ihr Sohn.

Mittlerweile hat sie weitere Dokfilme an entlegenen Orten gedreht, aber nirgendwo hat es sie so erwischt wie am Baikalsee bei den Ewenken. Am 6. März ist „Die Ewenken am nördlichen Baikal“ noch einmal im rbb zu sehen. Bereits am heutigen Mittwochabend um 18.45 Uhr ist Britta Wulf zu Gast in der NDR-Sendung „DAS!“. Und erzählt, wie es zwischenzeitlich weitergegangen ist.

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