zum Hauptinhalt
Er hatte großes Glück. Und war doch Opfer einer unfassbaren Tragödie: George Shefi entkam als Kind der Schoah. Jetzt sprach er beim SVB von seinen Erinnerungen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Letzter Gruß in Grunewald

George Shefi gelangte 1939 mit einem Kindertransport nach England. Beim SV Babelsberg erzählte er am Donnerstag die Geschichte seiner Flucht

Welcher Religion er angehöre, sei er einmal gefragt worden, erzählt George Shefi. Er habe als Antwort auf sein Herz gezeigt. Genau dort und nicht im Kopf sei seine Religion zu Hause. Am gestrigen Donnerstag war Shefi zu Gast beim Fußballverein SV Babelsberg 03, im VIP-Raum des Karl-Liebknecht-Stadions. Eine Stunde lang zog der 84-Jährige mit seiner Lebensgeschichte die schätzungsweise rund 60 Zuhörer in seinen Bann. Man kann es Glück nennen, was Shefi als Kind widerfuhr. Doch eigentlich ist es eine unendliche Tragödie, in der er als kleiner Berliner Junge im Alter von sieben Jahren nur eben Glück hatte.

Am 26. Juli 1939 durfte Georg Spiegelglas, wie George Shefi damals noch hieß, mit dem Zug das Deutsche Reich verlassen. Wo heute im Zentrum Berlins, an der Ecke Georgenstraße/Friedrichstraße das vom Künstler Frank Meisler geschaffene Bronzedenkmal an die Transporte jüdischer Kinder ins rettende Ausland vor nunmehr über 70 Jahren erinnert, dort am Bahnhof Friedrichstraße begann auch für Georg Spiegelglas die Zugfahrt, die ihm das Leben rettete. Im Rahmen der von den Briten organisierten Kampagne zur Rettung Tausender jüdischer Kinder aus dem Deutschen Reich hatte der kleine Georg ein Ticket zur Ausreise bekommen. „Am 25. Juli 1939 hat meine Mutter gesagt: ,Du wirst morgen in ein anderes Land fahren’“, so Shefi auf der Veranstaltung in Babelsberg.

Und tatsächlich, am nächsten Tag brachte ihn seine Mutter zum Bahnhof Friedrichstraße. Der Junge bestieg den Zug. Und irgendwo im Westen Berlins – Shefi vermutet, dass es im Bahnhof Grunewald war – konnte er noch einmal seine Mutter sehen. Sie hatte sich gleich nach der Verabschiedung in Friedrichstraße auf den Weg durch Berlin in Richtung Westen gemacht, um vielleicht noch einmal ihren Sohn zu sehen, wie er im Zug durch Berlin fährt. Er habe ihr vom Eisenbahnwaggon aus zugerufen, doch sie konnte ihn nicht hören. Es war das letzte Mal in seinem Leben, dass er seine Mutter sah. Jahrzehnte später fand er ihren Namen in einem Buch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Am 29. Januar 1943 hatte man sie gemeinsam mit ihrer Schwester ins NS-Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Wahrscheinlich sind beide dort noch am Tag ihrer Ankunft ermordet worden. Das jedenfalls legen die Unterlagen nahe, in denen Shefi zum Schicksal seiner Mutter recherchierte.

Für ihn, den siebenjährigen Berliner Jungen, ging es an jenem lebensrettenden Sommertag des Jahres 1939 von Berlin aus mit der Eisenbahn in die Niederlande und von dort weiter per Schiff ins rettende England. Er gehörte damit zu jenen rund 10 000 jüdischen Kindern, die in Großbritannien aufgenommen wurden. Britische Juden und die religiöse Gruppe der Quäker hatten diese Hilfskampagne initiiert und sich bei der damaligen britischen Regierung dafür eingesetzt, dass jüdische Kinder auf diese Weise aus dem Deutschen Reich gerettet wurden. Angekommen in England, kamen viele Kinder ins Heim, andere wurden bei Familien untergebracht, erinnert sich Shefi. Er selbst wurde in einem britischen Dorf von einem Pfarrer aufgenommen. Nach einiger Zeit wechselte er in eine andere Gastfamilie. Dort ging es streng jüdisch zu, berichtet Shefi. Von einer Woche zur anderen hatte Spiegelglas, der nun nicht mehr Georg, sondern George hieß, außer einer neuen Gastfamilie auch ein komplett neues religiöses Umfeld bekommen. Plötzlich herrschte strenge Ruhe am Sabbat.

Einige Jahre blieb Spiegelglas in England, bis er schließlich zusammen mit anderen Zivilisten auf einem Schiff kanadischer Soldaten nach Halifax in Kanada gelangte. Wenig später nahm ihn der Bruder seiner Mutter auf, der in den USA in New Jersey lebte. Es war Onkel Sandor. George Spiegelglas’ Mutter schrieb an ihn: „Ich hoffe noch immer, das Kind bald zu sehen.“ Eine Hoffnung, die vergebens war.

„Ich bin nicht sehr religiös“, sagt der 84-jährige Shefi heute. Seine Eltern hatten sich früh scheiden lassen. Der Vater ging schon 1934 nach Palästina. Doch dass Shefi in Israel, wohin er später auswanderte, durch mehrere Zufälle – oder man muss wohl besser sagen: Fügungen – schließlich seinen Vater wiederfand, hat für ihn eine religiöse Dimension. „Das war kein Zufall“, sagt Shefi. Über mehrere scheinbar zufällige Begebenheiten mit verschiedenen Menschen bekam er schließlich den Kontakt zu seinem Vater – der war zu dieser Zeit allerdings schon nach Australien ausgewandert. 1965 haben sich beide schließlich das erste Mal wieder gesehen.

Mit seiner im heutigen Israel geborenen Frau bereiste Shefi, der selbst drei Töchter hat, in den vergangenen Tagen Brandenburg, um hier an Schulen seine Lebensgeschichte zu erzählen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false