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Potsdam wächst. Doch wer kann sich die Stadt noch leisten? Die Frage nach Wohnraum für Normalverdiener bestimmte den Wahlkampf.

© Andreas Klaer

Leitartikel zur Oberbürgermeisterwahl in Potsdam: Potsdam braucht einen Aufbruch

Mike Schubert hat die SPD in Potsdam an der Macht gehalten. Doch die niedrige Wahlbeteiligung zeigt, dass diese Wahl zwischen Rot und Rot für viele keine war. Was die Stadt jetzt braucht, ist ein Aufbruch.

In Potsdams Rathaus ist die Machtübergabe geglückt. Auf 28 Jahre SPD folgen voraussichtlich: acht weitere Jahre SPD. Mag Deutschland politische Beben erleben wie nun in Bayern – Potsdam bleibt gelassen. So haben die wählenden Bürger dieser Stadt nun entschieden, dass ihnen nach Wechsel nicht zumute ist. Das allerdings darf nicht verwechselt werden mit einem Votum für ein bloßes Weiter-so. So ist die Wahl von Mike Schubert zu Potsdams neuem Oberbürgermeister gewiss nicht gemeint. Auch, weil die große Mehrheit aller Wahlberechtigten an der Stichwahl nicht teilgenommen hat. Für sie war die Wahl zwischen Rot und Rot keine. Weder Schubert noch die parteilose Linke-Kandidatin Martina Trauth haben konservative oder grüne Wähler vertreten. Die politische Kompromissbereitschaft sinkt, selbst im aufgeklärten Potsdam.

Wahlsieger Mike Schubert (SPD).
Wahlsieger Mike Schubert (SPD).

© Sebastian Gabsch

Dieser Stadt, die keine Sorgen hat, sans souci? Betörend schön, unprätentiös lässig, sich selbst genug, mit Haltung und Bodenhaftung. Bleibt es so? Die Fliehkräfte des Wachstums zerren an Potsdam, viel stärker noch als dort, wo man gewöhnlich wohnt. Wer kann es sich leisten, in dieser Schönheit zu leben? Übersteht das architektonische Welterbe diesen Verdichtungsdruck? Wo bleibt Raum für Potsdams oft selbstverliebte Identität? Das Heimatgefühl, den Zusammenhalt? Wird Potsdam vor lauter hastiger Neubauten gar – beliebig?

Diese Stadt braucht eine neue Idee, eine neue Definition von Gemeinsam. Potsdam braucht einen Aufbruch. Und wenn er auch nicht im Rathaus beginnt, so muss er dort doch befördert werden. Kann das gelingen mit einem Oberbürgermeister, dem vierten erst seit 1990, der der gleichen Partei angehört wie alle vor ihm? Der Jahrzehnte schon in Potsdam Politik macht? Klar ist: Mike Schubert darf auch den harten Bruch nicht scheuen, er darf sich nicht blenden lassen, sans souci. Will er für Potsdam wirken, muss er diese Stadt zusammenhalten. Und dafür auf den Weg bringen, der jetzt nötig ist. 

Hinzusehen ist keine Schwarzmalerei, keine Nestbeschmutzung. Potsdam ist längst keine Insel der Sorglosigkeit mehr. Die Segregation ist ausgeprägter als in vergleichbaren Städten. Menschen verschiedener sozialer Schichten und Generationen wohnen und bleiben zunehmend unter sich, in Vierteln mangelt es am Zusammenleben von Alt und Jung, reicher und ärmer, auch an Kitas, Schulen, Lebensfreiheiten. 

Aber wohin kann, wohin soll Potsdam aufbrechen? Was kann es sein, wenn es schon nicht bleiben konnte, was es war? Potsdam muss die Stadt der Zukunft sein mit menschlichem Maß, nachhaltig, modern, sozial. Aufgeklärt, mit Streit und Streitkultur, eine Stärke Potsdams. Die Stadt, die sich treu bleibt und doch wandelt. In der das gelingt, worüber anderswo nur geredet wird, was nebenan in Berlin so schwer fällt: Eine Zähmung des Wohnungsmarkts, erträgliche Mieten, endlich gute Architektur. Verkehrswende, Klimaschutz, Digitalisierung. Die eine Verwaltung hat, in der Frauen und Männer gleichermaßen Verantwortung tragen, statt sie wegzubürokratisieren. Einer Verwaltung, die verlässlich ist und vertrauenswürdig, wie es der Staat derzeit kaum noch vermag. Die ihre Bürger sieht, auf sie hört. Potsdamer bringen sich ein. Der neue Oberbürgermeister muss das annehmen. Es geht dabei auch um eine Wertegemeinschaft, der es sich anzuschließen lohnt. Das wirkt gegen Populismus, Ängste, Ausländerhass. 

Wo sollte dies gelingen, wenn nicht hier. Und wann, wenn nicht jetzt. In Potsdam.

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