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Tina Flau präsentiert ihr Buch. 

© Varvara Smirnova

Landesbibliothek: Auf der Suche nach Buchpaten

Die Landesbibliothek sucht erstmals auch Buchpaten für ein Künstler-Buch von 2019. Auch ein Naturkundebuch aus dem 16. Jahrhundert sucht Paten.

Welche Wasserqualität hatte die Havel im 16. Jahrhundert? Gab es in der Spree vielleicht Gold? Und konnte das Wasser darüber Auskunft geben, ob an den Flussquellen heilende Rubine zu finden waren? Diese und andere Fragen beschäftigten den Naturkundler Leonhard Thurneysser (1530 – 1596) ungemein, niedergeschrieben hat er seine Untersuchungen in dem Buch „Pison. Von Kalten, Warmen, Minerischen vnd Metallischen Wassern, sampt der vergleichunge der Plantarum vnd Erdgewechsen“. Erschienen ist das Buch 1572 in Frankfurt (Oder), „mit grosser mühe vnd arbeit, gemeinem nutz zu gut an tag geben“, wie es auf dem Titelblatt heißt. Eine antiquarische Rarität mit großem Brandenburg-Bezug, für die die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam (SLB) derzeit nach Buchpaten sucht, um das Werk für den eigenen Bestand anzukaufen.

Thurneysser residierte in Berlin

Der gebürtige Schweizer Thurneysser interessierte sich nicht nur für Flüsse: Auch war er als Goldschmied, Apotheker, Botaniker, Astrologe und Alchemist tätig. Ab 1570 lebte er in Frankfurt (Oder), wo ihm die Heilung der Gemahlin des brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg das Amt als dessen Hofarzt einbrachte. Der Kurfürst überließ Thurneysser einen Teil des Grauen Klosters in Berlin, wo dieser seine Wohnung, seine Bibliothek und sein Laboratorium einrichtete, wo er eigene Arzneien herstellte.

„Thurneysser war ein typischer Repräsentant der brandenburgischen Renaissance“, sagt Frank Dirk Hoppe, Bereichsleiter der Landesbibliothek. „Auf der einen Seite denkt er sehr fortschrittlich, auf der anderen Seite steht er noch mit beiden Beinen im Mittelalter.“ So entwickelte der glühende Paracelsus-Anhänger eigene Messgeräte und -behälter aus Glas, um die Flüsse in Brandenburg und Deutschland auf ihre Beschaffenheit zu untersuchen, wie in dem Pison-Buch beschrieben wird. Von den beobachteten Trübungen des Wassers erhoffte er sich unter anderem Rückschlüsse auf das Vorkommen kostbarer Mineralien, denen er Heilkraft nachsagte. „Viele seiner Überlegungen gehen ins Okkulte, aber dennoch versucht er systematisch und analytisch an die Dinge heranzugehen“, so Hoppe.

Hälfte der Geldes ist bereits gesammelt

Gefunden hatte Hoppe das Buch in einem Antiquariat in Stuttgart, es passe thematisch sehr gut zum „Diaeticon“ des Botanikers Johann Sigismund Elsholtz, für das die SLB im vergangenen Jahr eine Buchpatenschaft vergeben hatte. Restauriert werden muss das „Pison“ aber nicht, das in Schweinsleder gebundene Werk ist für sein Alter in einem hervorragenden Zustand. Die von Buchpaten zum Ankauf aufzubringende Summe beträgt 2600 Euro, die Hälfte davon sei bereits erreicht worden.

Erstmals erwirbt die Bibliothek auch ein neues Buch

Das „Pison“ ist eines von zwei Büchern, für das die SLB derzeit um Buchpaten wirbt: Am Dienstag wurde auch „Midgardzormr“ (Midgardschlange) vorgestellt, ein Buch der Potsdamer Künstlerin Tina Flau. Eine Premiere für die SLB, denn erstmals erwirbt die Bibliothek im Rahmen ihres seit 22 Jahren laufenden Buchpaten-Projekt kein antiquarisches sondern ein neu erschienenes Buch. Für das 38 Seiten starke Künstlerbuch war Flau zwei Monate lang in Island, hat dort Texte der Edda studiert, mit Meeresbiologen gesprochen und Forschungsergebnisse des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) verarbeitet. In „Midgardzormr“ verbindet sie Textpassagen der Edda, die den Weltuntergang durch die Midgardschlange schildern, mit den Prognosen des Klimawandels, was oft erstaunlich gut zusammenpasst. Eine ihrer Grafiken zeigt den Golfstrom, der sich mit der Midgardschlange verknotet.

Von Fischhaut umhüllt

„Uns liegt ein Künstlerbuch vor, welches die Aspekte der schleichenden und damit nur allmählich wahrnehmbaren Klimaänderungen mit den großen Mythen der Menschheit in Verbindung bringt“, sagt Hoppe. Die SLB hatte sich zu dem Ankauf des auf drei Exemplare limitierten Buches entschlossen, weil es unter anderem das Werk einer brandenburgischen Künstlerin sei, in Zusammenarbeit mit dem PIK entstanden ist und die Folgen des Klimawandels gerade in Brandenburg mittlerweile deutlich spürbar seien. Flau hat das Buch, dessen Umschlag mit getrockneter Fischhaut besetzt ist, komplett per Hand angefertigt: Das Papier ist selbst hergestellt, alle Texte wurden mit der Hand geschrieben, die Seiten wurden mit der Technik der Einzelblattfadenheftung aneinander genäht.

3200 Euro kostet der Ankauf des Buches, 500 Euro davon wurden bereits von Birgit Malik und Steffen Schildberg übernommen. Die zwei Potsdamer aus Groß Glienicke haben seit 2011 bereits für acht Bücher Patenschaften übernommen. Das Künstlerbuch von Flau habe sie überzeugt, sagte Malik: „Ich wollte einmal ein Buch unterstützen, das erst in hundert Jahren antiquarisch sein wird.“

192 Buchpaten seit 1997

Unterstützung erhielt das Projekt von Potsdams Kulturbeigeordneter Noosha Aubel (parteilos), die ebenfalls dafür warb, sich der zwei Bücher anzunehmen: „Die Buchpaten zeigen seit vielen Jahren, wie bürgerschaftliches Engagement dazu beitragen kann, historisches Kulturgut zu bewahren, zu ergänzen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Malik und Schildberg gehören zu den mittlerweile 192 Buchpaten, die sich seit 1997 den oft restaurierungsbedürftigen Büchern angenommen haben. 555 Bücher wurden durch das Projekt bereits gerettet, für Restaurierungen und Ankäufe konnten bislang 176 800 Euro gesammelt werden. Ausleihen kann man die Bücher zwar nicht, aber jeder darf sie in der SLB in die Hand nehmen und lesen, betont Hoppe.

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