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"Flügel gegen Flügel". Starpianist Igor Levit spielte vor dem Potsdamer Landesparlament eine Improvisation.

© Andreas Klaer

Künstlerischer Protest gegen Rechts: „Deutschland peinlich Abendland“

Rund 250 Menschen demonstrierten bei Klaviermusik auf dem Alten Markt gegen die Wahl des neuen AfD-Vorsitzenden im Landtag. Auf der Bühne mit dabei war auch Starpianist Igor Levit.

Innenstadt - Er sitzt weit über die Klaviatur des Flügels gebeugt, wirkt in sich versunken. Seine Jacke ist offen, eine unscheinbare dunkle Wollmütze hilft gegen die herbstliche Kühle. Seinem Instrument entlockt der Pianist Igor Levit dabei gefühlvoll einen farbenreichen Teppich an Klängen. Eine Improvisation ist das, die sich unter den Händen des Künstlers an diesem Dienstagvormittag auf dem Alten Markt in Potsdam formt. Rund 250 Zuhörer schenken ihr Gehör.

Die Menschen sind auf Potsdams prominentestem Platz, vis-à-vis von Landtag, Museum Barberini und Nikolaikirche, unter dem Motto „Flügel statt Flügel“ zusammengekommen. Während drinnen im Landtag die AfD-Fraktion den Zahnmediziner Hans-Christoph Berndt zu ihrem neuen Vorsitzenden wählt, treten draußen auf dem Platz mehrere Künstler auf, um gegen den Neuen an der Fraktionsspitze der Rechtspopulisten zu demonstrieren. „Bei dieser Wahl wird ein Rechtsextremist gegen den anderen ausgetauscht“, sagt der Brandenburger Künstler Rainer Opolka gleich zu Beginn des Protests auf dem Alten Markt. Opolka ist der Initiator der Gegenveranstaltung zur AfD-Wahl.

Anlass von Konzert und Kundgebung war die zeitgleich stattfindende Wahl des neuen AfD-Fraktionsvorsitzenden. 
Anlass von Konzert und Kundgebung war die zeitgleich stattfindende Wahl des neuen AfD-Fraktionsvorsitzenden. 

© Andreas Klaer

Ein chilenisches Revolutionslied

„Flügel statt Flügel“ - das Motto der Veranstaltung auf dem Alten Markt spielt sprachlich mit dem vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften „Flügel“ der AfD, dem Hans-Christoph Berndts Vorgänger Andreas Kalbitz angehörte.

Draußen auf dem Alten Markt bei bewölktem Himmel spielt indessen Starpianist Igor Levit ein chilenisches Revolutionslied. Reichlich Applaus wird dem Künstler danach zuteil. Levit, nun am Bühnenrand stehend, verneigt sich vor seinem Publikum und verschwindet anschließend rasch. Schließlich, noch neben dem Obelisk auf dem Alten Markt, nimmt sich der auch sonst politisch aktive Pianist, der es jetzt schon sichtlich eilig hat, noch einmal kurz Zeit. Er hält inne, erfüllt einem Mann einen Videowunsch. Levit spricht ein paar Worte in die Kamera. Irgendeine - offenbar politische - Kandidatur gilt es zu unterstützen. Dann entschwindet Levit schnellen Schrittes.

Rund 250 Menschen kamen zu Kundgebung und Protestkonzert vor dem Potsdamer Landesparlament.
Rund 250 Menschen kamen zu Kundgebung und Protestkonzert vor dem Potsdamer Landesparlament.

© Andreas Klaer

„Nationaler Widerstand“ gegen rechtes Gedankengut

Währenddessen zeigt sich am Rande der Kundgebung schon eine ganze Weile ein kleiner Trupp mit einem mehrere Meter langen rot-weißen Banner. „Hier marschiert der nationale Widerstand!“ ist darauf zu lesen. Doch ein Fall für die Ordner wird dies nicht. Ein weiterer deutlich lesbarer Schriftzuge auf dem Transparent weist die Satirepartei „Die Partei“ mit ihrem Kreisverband Potsdam als Urheberin der Aktion aus. Der „nationale Widerstand“, so kann man es deuten, sind hier die Menschen auf dem Alten Markt, die gegen rechtsextremistisches Gedankengut im Brandenburger Landtag demonstrieren.

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Am Anfang hatte Opolka den Menschen zugerufen, man wolle musikalisch „der Dummheit und dem Hass“ etwas entgegensetzen. Die AfD mache den Staat und die Demokratie verächtlich. So etwas habe sich in der deutschen Geschichte schon einmal zugetragen. Und: „das endete in Auschwitz“, mahnte Opolka.

Sebastian Krumbiegel, Sänger der "Prinzen" und Solokünstler, sagte seine Teilnahme kurzfristig zu.
Sebastian Krumbiegel, Sänger der "Prinzen" und Solokünstler, sagte seine Teilnahme kurzfristig zu.

© Andreas Klaer

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein Geschichtsbuch

In anderen Worten drückt dies während der Veranstaltung ein Demonstrant mit seinem von Hand geschriebenen Pappschild aus: „Faschisten im Landtag. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie Ihren Großvater“. Auch Sebastian Krumbiegel von der Gruppe „Die Prinzen“ ist an diesem Vormittag nicht um klare Worte verlegen. Er besingt „Deutschland peinlich Abendland“ und bekennt singend am Flügel: „Meine Nation sind die Liebenden auf der ganzen Welt - grenzenlos.“

Initiator war der Potsdamer Künstler Rainer Opolka, der auch auf dem Podium sprach.
Initiator war der Potsdamer Künstler Rainer Opolka, der auch auf dem Podium sprach.

© Andreas Klaer

Nikolaikantor Björn O. Wiede protestiert in musiktheoretischer Weise gegen die AfD, indem er am Flügel mit den Tönen des d-Moll-Deiklangs - d, f, a - spielt. Gespiegelt ergibt dies das Kürzel der AfD. Dieser Partei müsse der Spiegel vorgehalten werden, sagt Wiede.

Unter dem Publikum auf dem Platz sind unterdessen auch zwei jüngere Leute, die berichten, mit Dennis Hohloch, einem der unterlegenen Kandidaten bei der Wahl des AfD-Fraktionschefs, zusammen am Leibniz-Gymnasium in Potsdam 2008 Abitur gemacht zu haben. Ihre Namen wollen sie nicht nennen. Und doch machen sie schnell klar, dass sie hier nicht als Fans ihres einstigen Mitschülers stehen. „Wir verfolgen seinen Werdegang“, sagt die Frau, während der junge Mann eilig hinzufügt: „Kopfschüttelnd“ - nur so nehme man an dem politischen Schicksal Hohlochs anteil.

Nach dem Grund für sein politisches Engagements gefragt, sagt Initiator Rainer Opolka, er habe vor etwa zehn Jahren vor einem Haufen Kinderschuhe im Vernichtungslager Lublin-Majdanek gestanden. Schuhwerk von Kindern, die von den Nazis umgebracht wurden.

Holger Catenhusen

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