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Kritik: Lutz Boede attackiert die Gedenkstätte Lindenstraße

Lutz Boede, Stadtverordneter der Fraktion Die Andere, kritisiert, die Gedenkstätte werde „geführt wie ein kleines, piefiges Stadtmuseum".

Potsdam - Es ist die ewige Wiederkehr des Immergleichen: Werden die DDR-Geschichte und insbesondere die Staatssicherheit in Ausstellungen, Dokumentationen oder Sonntagsreden allzu kritisch beleuchtet, fühlt sich manch Profiteur der alten Zeit leicht persönlich angegriffen. Kurzerhand verteidigt er mehr am untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat, als verteidigungswert ist.

Den 54 Jahre alten Potsdamer Lutz Boede plagt Überdruss an der Aufarbeitung von Missetaten des „Schilds und Schwerts der Partei“, wie es SED-Jargon hieß, und er hat sich Luft gemacht. Massiv kritisiert der Stadtverordnete der linksalternativen Fraktion Die Andere die Konzeption der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55. Sie werde „nach außen und innen von der Darstellung der Stasi-Geschichte dominiert, und das können die Leute einfach nicht mehr hören“, sagte er den PNN. Boede wirft der Gedenkstätte vor, sie werde „geführt wie ein kleines, piefiges Stadtmuseum, jeder wurstelt irgendwie vor sich hin“. Die Lindenstraße sei eben „nicht nur eine Stasi-Haftanstalt“ gewesen.

Boede, ein Altlinker, der auch im fortgeschrittenen Alter in einer Potsdamer Wohngemeinschaft lebt, hat kein biografisches Motiv, die Rolle des Inlandsgeheimdienstes der DDR klein- oder schönzureden. Anfang der 1980er-Jahre saß er vier Monate lang im damaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße, der heutigen Gedenkstätte, ein. Sein nach damaligen Maßstäben beinahe ungeheuerliches Vergehen: Er hatte, gerade 18 Jahre alt, Gedichte für die Meinungsfreiheit und gegen das Wahlsystem der DDR geschrieben. Seine Lyrik-Versuche jedoch bewerteten die Stasi-Aufseher nicht nur als despektierlich, sondern als öffentliche Herabwürdigung des ganzen Staats. Nach der Wende wurde Boede rehabilitiert, er erhält seither eine monatliche Opferrente von 300 Euro.

Die Stätte hat laut Boede Potenzial

Die Gedenkstätte, sagt Boede, habe „ein herausragendes Potenzial“. Tatsächlich ist sie angesichts ihrer Lage und wechselvollen Geschichte wohl einzigartig: 1733 Baubeginn als „Großes Holländisches Haus“ im Auftrag Friedrich Wilhelms I., dann Kleiderkammer und Pferdelazarett während der napoleonischen Besatzung. 1809 tagte das erste, wenn auch nur von Männern freigewählte Stadtparlament in dem repräsentativen Stadtpalais, 1935 wurde es Sitz eines sogenannten Erbgesundheitsgerichts der Nazis, seit 1939 diente es als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge.

Der sowjetische Geheimdienst NKWD nutzte die Liegenschaft, im Volksmund das „Lindenhotel“ genannt, ab 1945 als Foltergefängnis, die Stasi übernahm sie 1953 als Untersuchungsgefängnis. Nach der Wende zogen die Büros neuer Parteien in die Gemäuer der Staatssicherheit, es trug nun den Namen „Haus der Demokratie“. 1995 erklärte die Stadt das Palais zur Gedenkstätte.

Die spannendste Zeit zwischen 1945 und DDR

Kritiker Boede bemängelt als deren „größte Schwäche“, dass der Schwerpunkt offenkundig auf der Nazizeit und der DDR liege. Vernachlässigt würden etwa die Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. „Es war eigentlich die spannendste Zeit. Da saßen dort plötzlich Nazi-Kollaborateure ein, die von Tätern zu Opfern des NKWD wurden“, sagt Boede. „Manche wurden denunziert, aber da man darf nicht so tun, als ob da nur Unschuldige inhaftiert waren.“ Ein weiteres Defizit sei nach seiner Bewertung die unzureichende Dokumentation der Wendejahre: „Diejenigen, die damals ins Haus der Demokratie einzogen, leben doch noch. Sie sind ein bedeutender Teil der Geschichte der Lindenstraße, und man könnte sie befragen und vorstellen.“

Die Stadtverwaltung hatte Mitte Juli auf eine Kleine Anfrage des Stadtverordneten die Besucherzahlen offengelegt. Sie liegen seit 2015 mit jährlich 16.495 bis 16.102 im vorigen Jahr auf etwa demselben Niveau; hinzu kamen zwischen 1620 und 5000 Besucher der sogenannten Projektwerkstatt. „Überall melden Gedenkstätten Besucherrekorde“, sagt Boede, „wir bieten in der Lindenstraße ja auch gute Projekte an, aber hier in Potsdam muss doch mehr möglich sein“.

Stiftungs-Geschäftsführerin weist Kritik zurück

Die Märkische Allgemeine Zeitung hatte zuerst über Boedes Kritik berichtet. Daraufhin wies Uta Gerlant, Historikerin und Geschäftsführerin der Stiftung Lindenstraße, den Vorwurf nachdrücklich zurück, sich zu sehr auf das DDR-Unrecht zu fokussieren. Sie listete eine lange Reihe von Aktivitäten von ihrem Antrittsvortrag zum Thema  Euthanasie in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten über Sonderausstellungen wie die über das jüdische Kinder- und Landesschulheim Caputh sowie etliche Forschungsprojekte auf. Für eine weitergehende Stellungnahme war in der Gedenkstätte niemand zu erreichen.

Im 30. Jahr nach der friedlichen Revolution legt die Gedenkstätte den Schwerpunkt auf Themen der DDR-Geschichte und die Zeit des Aufbruchs in Potsdam im Jahr 1989. Zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober wird eine Ausstellung über die Mauer eröffnet, die für Kinder ab acht Jahren geeignet ist.

Carsten Holm

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