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Kritik an Wirtschaftsförderung in Potsdam: Kein Platz für gute Jobs

Die Forschungsstadt Potsdam verschenkt ihr wirtschaftliches Potenzial. Das zeigt eine aktuelle Studie der Industrie- und Handelskammer.

Potsdam - Der Ort für die Generalabrechnung  mit der Potsdamer Wirtschaftspolitik war von der Industrie- und Handelskammer (IHK) bewusst gewählt: Ein Seminarraum der Firma Christoph Miethke GmbH & Co., die seit 25 Jahren von der Jägervorstadt aus Ventilsysteme entwickelt, um bei der neurochirurgischen Behandlung von älteren Menschen Hirnwasser abfließen zu lassen. Das Unternehmen ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, inzwischen arbeiten mehr als 50 Mitarbeiter dort, der Weltmarktanteil liegt bei fünf Prozent. Doch leider seien solche innovativen Produktionsunternehmen mit gut bezahlten Arbeitsplätzen in Potsdam noch der Einzelfall, erklärte IHK-Geschäftsführer Mario Tobias am Mittwoch vor Journalisten – und stellte eine neue Studie vor, die zeigt, wie groß der Nachholbedarf von Potsdam in Sachen Wirtschaftsentwicklung ist.

Denn zwar verfüge Potsdam über viele positive Ansätze – etwa den stetigen Zuzug, bereits zahlreiche Forschungseinrichtungen, eine Akademikerquote von 25 Prozent, eine gute Verkehrsanbindung sowie die Nachbarschaft zu Berlin. Doch habe es die Landeshauptstadt mit ihrer Politik bisher nicht geschafft, die beispielhafte Hochschul- und Forschungslandschaft optimal mit der regionalen Wirtschaft zu verbinden, so Tobias. Auch die Entwicklung von Gewerbeflächen für technologieorientierte, produzierende Unternehmen müsse beschleunigt werden. „Potsdam verschenkt wirtschaftliches Potenzial“, sagte der IHK-Chef.

Zu wenige gut bezahlte Jobs

Das hat Folgen. So seien in Potsdam in den vergangenen Jahren zwar einige Tausend Arbeitsstellen in der Zeitarbeits- und Callcenter-Branche geschaffen worden, zeigten die Analysten Achim Georg und Marco Gaffrey von dem für die Studie verantwortlichen und bundesweit tätigen Beratungsunternehmen Georg Consulting aus Hamburg. Auch im Handel und Gastgewerbe seien Hunderte Jobs entstanden – und bei wissenschaftlichen Dienstleistungen. Doch die Bedeutung der sogenannten wissens- und forschungsintensiven Industrie – wie etwa bei der Firma Miethke – sei noch deutlich zu klein. Dabei würde gerade in dieser Branche überdurchschnittlich viel gezahlt, könnten Mitarbeiter dann auch gleich in Potsdam leben statt umständlich nach Berlin pendeln zu müssen, machte Mario Tobias klar.

Und andere sogenannte Wissensstädte seien bei der forschungsintensiven Wertschöpfung bereits deutlich weiter als Potsdam, so das Fazit der neuen Studie. So liegt der Beschäftigtenanteil in dieser Branche in Potsdam bei nur zwei Prozent. In anderen Universitätsstädten wie Erfurt oder Münster liegt dieser Wert bei 5,7 oder sechs Prozent, deutschlandweit sogar bei 11,6 Prozent. Durch die fehlenden Produktionsstätten habe Potsdam insgesamt auch eine unterdurchschnittliche Produktivität, sei die Wirtschaft auch auf internationalem Niveau nur wenig verflochten. Es gehe dabei nicht um „rauchende Schlote oder Gießereien“, sondern eben um Unternehmen wie Miethke – die mit der entsprechenden Spezialisierung geräuscharm auch in der Nähe von Wohnungen produzieren können.

Gebwerbestandorte in Wohnbauareale umgewandelt

Doch dafür sind Flächen nötig – die in Potsdam immer rarer werden. In den vergangenen Jahren seien potentielle Gewerbestandorte in Wohnbauareale umgewandelt worden, beklagt die Studie. Zwischen 2006 und 2012 seien demnach 200 Hektar Industrie- und Gewerbeflächen verloren gegangen. So könne die Wirtschaftsförderung im Rathaus die Anfragen von Unternehmen nach Ansiedlungsflächen – es geht um etwa 40 Hektar – längst nicht mehr bedienen. Denn kurzfristig verfügbar seien nur noch sieben Hektar. Weitere 117 Hektar möglicher Gewerbeflächen seien durch schwierige Eigentumsverhältnisse oder Umweltschutzbelange dagegen nur eingeschränkt verfügbar.

Ein Problem: Manche Privateigentümer würden spekulieren, ihre Flächen für profitablere Wohnungsbauten freizuhalten, hieß es. Hier sei seitens der Stadtverwaltung ein auch finanziell deutlich aktiveres Flächenmanagement gefragt, so IHK-Mann Tobias. Unter anderem schlug er eine eigene Entwicklungsgesellschaft für Industrie- und Gewerbeflächen vor, wie es in vergleichbaren Städten seit langem üblich sei. Im Rathaus müsse man sich schleunigst Gedanken machen, damit Potsdam eben nicht nur eine Schlaf- und Welterbestadt ohne Wirtschaftskraft sei, hieß es bei der Pressekonferenz mehrfach. In der Studie selbst werden zudem für Gewerbestandorte wie das Sago-Gelände an der Michendorfer Chaussee konkrete Vorschläge gemacht.

Wirtschaftsförderung ohne eigenes Budget

Für Gewerbeflächen und Ansiedlung von Unternehmen ist derzeit der Bereich Wirtschaftsförderung im Rathaus zuständig, der dafür aber über kein eigenes Budget verfügt. Deren Amtschef Stefan Frerichs wollte die Kritik auf PNN-Anfrage nicht kontern – vielmehr sehe er die Studie als Bestätigung auch seiner Arbeit. Denn in den vergangenen Monate habe Potsdam gerade am Wissenschaftspark Golm mit aktiver Liegenschaftspolitik begonnen und private Investoren für Gewerbe-, Labor- und Büroflächen gefunden. Ebenso baue die Stadt dort für 12,5 Millionen Euro ein neues Gründerzentrum „Go:In 2“. Ziel sei es, 100 neue Firmen und ein größeres Unternehmen anzusiedeln. Ebenso verwies Frerichs auf die Entwicklung rund um das Innovation Center des Software-Riesen SAP am Jungfernsee und darauf, dass Potsdam gerade eines von zwölf deutschen Digital Hubs geworden ist – also ein bundesweit einmaliges Zentrum im Bereich Medientechnologie. Allerdings könnte Potsdam bei der Ansiedlung von Unternehmen noch stärker sein, räumte Frerichs ein.

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