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Umstritten. Schon zur Eröffnung der Gedenkstätte ehemaliges KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße im Jahr 2012 gab es scharfe Proteste, nun flammt der Streit zwischen Zeitzeugen und der Gedenkstättenleitung erneut auf. Anlass sind die Pläne für die Erweiterung der Dauerausstellung.

© Sebastian Gabsch

Kritik an Gedenkstättenleitung: Neuer Streit um die Leistikowstraße

Zeitzeugen üben scharfe Kritik an der Gedenkstättenleitung des früheren KGB-Gefängnisses: Sie sehen eine Tendenz zur Verharmlosung des Leids der Opfer des stalinistischen Terrorregimes und fühlen sich indirekt mit einem Nazi-Vorwurf konfrontiert.

Potsdam - Es war lange still um die Gedenkstätte Leistikowstraße – jetzt flammt der Streit um deren Arbeit erneut auf, Zeitzeugenvertreter kritisieren die Gedenkstättenleitung wieder scharf. Anlass ist ein bislang nur intern diskutiertes Konzept für die geplante Erweiterung der Dauerausstellung um Themen, die die Zeitzeugen eigentlich seit der Eröffnung 2012 fordern: Es geht um die Urteile der sowjetischen Militärtribunale, die Vollstreckung der Urteile, das Gulag-System und die Widerstandsgruppen, deren Mitglieder in dem ehemaligen Untersuchungsgefängnis in der Leistikowstraße inhaftiert wurden. Das Konzept der Gedenkstättenleitung wurde bereits im Gedenkstättenbeirat vorgestellt.

Und wieder sehen Zeitzeugenvertreter eine Tendenz zur Verharmlosung sowohl des Leids der Opfer als auch des stalinistischen Terrorregimes, fühlen sich ehemalige Häftlinge sogar indirekt mit einem Nazi-Vorwurf konfrontiert. Gedenkstättenleiterin Ines Reich bewertet die internen Diskussionen dagegen als „überwiegend positiv“. Sie verwies auf PNN-Anfrage lediglich auf den noch laufenden Prozess mit laufenden Forschungsarbeiten zu den Themen. Die Erweiterung solle „möglichst 2018 realisiert werden“.

Ein indirekter Nazi-Vorwurf an die Widerstandsgruppen in der sowjetisch besetzten Zone

Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass für die Widerstandsgruppen in dem im Beirat vorgestellten Konzept der Gedenkstättenleitung der Begriff „antikommunistische Personennetzwerke“ eingeführt wird. Ein Fehler, findet Gedenkstättenbeiratsmitglied Gisela Rüdiger, die frühere Leiterin der Potsdamer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde. Sie verweist zudem auf eine mindestens missverständliche Formulierung in einem Zeitungsartikel, den die Historikerin Reich in diesem Zusammenhang geschrieben hat: „Antikommunistische Einstellungen waren weit verbreitet und konnten nahtlos an nationalsozialistische Feindbilder anknüpfen“, heißt es da – ein indirekter Nazi-Vorwurf an die Widerstandsgruppen in der sowjetisch besetzten Zone. „In welche Richtung will die Gedenkstättenleiterin den Widerstand der vielen Menschen, die ihr Leben verloren haben oder viele Jahre ihres Lebens unschuldig in Lagern und Gefängnissen unter unmenschlichen Bedingungen, ohne Hoffnung auf Beistand verbringen mussten, zwängen?“, fragt Rüdiger.

Kritik kommt auch von Bodo Platt, der im Jahr 1948 als 17-Jähriger wegen angeblicher Spionage und angeblicher Mitgliedschaft in einer faschistischen Organisation verhaftet wurde und in der Leistikowstraße und in Sachsenhausen einsaß, bevor er jahrelang in ein Arbeitslager nach Sibirien musste. Für ihn seien gerade die Erfahrungen mit der Verführungskraft von Propaganda im Dritten Reich nach Kriegsende die Antriebskraft zum Widerstand gewesen: „Wir hatten das Gefühl, dass wir 1946/47 das Gleiche wiedererleben, nur unter anderen Vorzeichen“, sagt der 86-Jährige, der lange im Gedenkstättenbeirat der Leistikowstraße saß und Sprecher der Zeitzeugeninitiative von rund 25 ehemaligen Häftlingen ist, den PNN: „Wir wollten im Westen deutlich machen, wohin der Weg führt.“

Kritik an Schwerpunktsetzung und fehlender Zusammenarbeit mit Zeitzeugen

Insgesamt kritisiert Rüdiger das Konzept als „unwissenschaftlich und tendenziös“: „Dass für die Erweiterung nicht jemand Außenstehender hinzugezogen wird, halte ich für katastrophal.“ Ihre Einwände macht sie an vielen Punkten fest – es geht dabei um Detailfragen zu Formulierungen, die für Rüdiger ein bedenkliches Gesamtbild ergeben. Sie sieht die Tendenz zu „einer gewissen Rechtfertigung“ des geschehenen Unrechts. Zum Beispiel, wenn in dem Konzept von Urteilen die Rede ist, „die unserem heutigen rechtsstaatlichen Verständnis nicht entsprechen“. Diese rechtsstaatlichen Kriterien „waren schon damals bekannt“, betont Rüdiger: „Schon damals war es Unrecht.“ Rüdiger kritisiert auch die Schwerpunktsetzung und die fehlende Zusammenarbeit mit Zeitzeugen. „Die Zeitzeugen wollen eine Gedenkstätte, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.“ Das aber gelinge bereits jetzt schlecht: Die Videos, in denen die Zeitzeugen zu Wort kommen, seien zu lang, als dass sich die Besucher die Zeit nehmen könnten, alles anzuhören. Größter Ausstellungsgegenstand sei trotz der Kritik der ehemaligen Häftlinge immer noch das Symbol der sowjetischen Tschekisten: „Man stelle sich einmal vor, in einer Gedenkstätte zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus würde ein großes Hakenkreuz im Eingangsbereich stehen“, sagt Rüdiger.

Tatsächlich ist die Zeitzeugeninitiative bis auf regelmäßige Rundschreiben „praktisch eingeschlafen“, sagt Bodo Platt. Das ist auch ein Zeichen der Resignation: „Mit unserem Widerstand haben wir nichts erreicht“, fasst Platt es zusammen. Von der Gedenkstättenleitung fühle man sich „übergangen und ausgetrickst“. Platt war es auch, dem am Rande der Eröffnung 2012, als die Gegner mit einer Menschenkette protestierten, der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) angeboten hatte, bei einem Rundgang unter vier Augen die von den früheren Häftlingen kritisierten Punkte zu besprechen. Zwar sei es zu diesem Treffen gekommen, sagt Platt – indes: „Es hat sich durch diese Begegnung nichts geändert, aber auch gar nichts.“

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Hintergrund: Gedenken an Opfer von NS und Stalinismus

Am gestrigen Mittwochabend hatte der Gedenkstättenverein ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße zum europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen. Den Festvortrag sollte der Kulturwissenschaftler Karl-Konrad Tschäpe halten, Sohn des verstorbenen Potsdamer Bürgerrechtlers Rudolf Tschäpe. Landtagspräsidentin Britta Stark wurde für ein Grußwort erwartet. Sie rief die Brandenburger auf, sich entschieden für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Sie warnte auch vor dem Vergleich beider totalitärer Systeme: Die Erinnerung an die Verbrechen beider Diktaturen öffne den Blick für die Wahrheit. „Zu dieser Wahrheit gehört auch, dass wir das Leid in zwei deutschen Diktaturen niemals gegeneinander aufrechnen und zwischen nationalsozialistischen und stalinistischen Verbrechen nicht relativieren dürfen.“ Der Gedenktag wird seit 2009 europaweit am Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes 1939 begangen. jaha

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