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Kriegsende in Potsdam: Auferstanden in Ruinen

Vorher – nachher: Das Potsdam Museum stellt Stadtansichten aus der Zeit vor und nach Kriegsende gegenüber. Das ist viel mehr als nur eine Bestandsaufnahme der Zerstörung.

Potsdam - Die Szenerie erinnert an antike Tempelruinen: Vom repräsentativen Bau der Dresdner Bank am heutigen Platz der Einheit steht nur noch die von Säulen getragene Fassade – vom einstmals geschäftigen Treiben in den Büros hinter den Wänden keine Spur mehr, zwischen den Säulen ist der blanke Himmel zu sehen, linkerhand im Hintergrund ist der Stumpf des Garnisonkirchen-Turms auszumachen. Aber das Leben ist weitergegangen: Eine Straßenbahn hat vor der Ruine gehalten, Potsdamer eilen auf dem Weg zur oder von der Arbeit über die Straße. Ein anderes Bilderpaar zeigt den Blick in die Französische Straße: Auf dem ersten ist die Flucht hin zum Rundbau der Französischen Kirche gesäumt von mehrgeschossigen Wohnhäusern, auf dem zweiten wähnt man sich in eine Dorflandschaft versetzt: Die Kirche steht allein im Freien, Trümmerberge wurden offenbar schon beräumt, nur ein paar stehen gebliebene Ziegelwände erinnern an die frühere Bebauung.

„Abbrüche – Umbrüche – Aufbrüche in Potsdam“ heißt die Sonderausstellung im Potsdam Museum, die am heutigen Freitag, dem 70. Jahrestag der Befreiung und des Kriegsendes, eröffnet wird. Das Herz der Schau bilden Fotopaare: Kuratorin Wenke Nitz und Foto-Archivarin Judith Granzow haben aus den Museumsbeständen, aber auch von zwei privaten Leihgebern Potsdamer Stadtansichten von mehr als 30 Orten jeweils vor und nach Kriegsende herausgesucht und gegenübergestellt, eine Karte auf dem Fußboden erleichtert die Orientierung. Fotografiert wurden die Bilder zum großen Teil von Amateuren, „das hat einen eigenen Charme“, sagt Wenke Nitz. Anstelle von perfekten Kompositionen sieht der Betrachter Momentaufnahmen, die mit ihrer Unmittelbarkeit in den Bann ziehen.

Fotos erzählen von Verlust und Schuld

Bei manchem Paar fällt es schwer zu entscheiden, welches Bild mehr schmerzt: Das von dem mit Hakenkreuzbannern beflaggten Alten Rathaus, vor dem ein paar Jugendliche in Hitlerjugend-Uniform lässig plaudernd warten – oder das Bild von der Ruine des gleichen Gebäudes, mit Fensteröffnungen, die zu schwarzen Löchern ausgefranzt sind. Diese Fotos erzählen nicht nur von Verlust, sondern auch von der Schuld, die auch Potsdamer im Nationalsozialismus auf sich geladen haben.

Auf anderen Bildern ist Potsdam kaum wiederzuerkennen: Wer wüsste schon, wie der Hauptbahnhof vor der Zerstörung ausgesehen hat? Oder die idyllische Gegend rund um das Neustädter Tor – dort, wo heute die magistralenartige Breite Straße von frisch sanierten Sechzehngeschossern gerahmt ist? Dieses dritte Bild, das die Orte in ihrem heutigen Aussehen zeigt, macht sich der Betrachter unwillkürlich selbst im Kopf.

Auch von der Enttrümmerung erfahren die Besucher. Das Potsdam Museum zeigt dazu ein Fundstück, das erst im April dieses Jahres bei den Bauarbeiten für das neue Bad am Brauhausberg entdeckt wurde: Eine sogenannte Enttrümmerungslore, mit der seinerzeit Schutt und Trümmer transportiert wurden.

Kampf ums Stadtbild

Dass die Frage nach dem Potsdamer Stadtbild nicht erst seit dem Streit um das Stadtschloss, die Garnisonkirche oder das Hotel Mercure eine politische ist, illustriert ein anderer Teil der Ausstellung: An einer Art Litfaßsäule sind Zeitungsartikel aus der Nachkriegszeit versammelt, die sich mit dem Stadtbild Potsdams beschäftigen, Stimmen aus der DDR, aber auch aus Westdeutschland sind dort nachzulesen. „Das war ein Propagandakrieg – da stand Westen gegen Osten“, sagt Kuratorin Wenke Nitz. Während bei der DDR-Führung die Meinung vorherrschte, Gebäude wie die Garnisonkirche müssten weg, damit auch der unselige „Geist von Potsdam“ verschwinde, warnte man auf der Westseite vor einer Zerstörung.

Auch die Fotos erzählen vom Kampf um das Stadtbild: Denn aufgenommen wurden die „Nachher“-Bilder in den meisten Fällen nicht direkt nach Kriegsende, sondern später – viele Bilder stammen vom Ende der 1940er- oder den 1950er-Jahren, vereinzelt auch aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Die Bilder sind damit weniger Bestandsaufnahme der Zerstörung als ein Dokument darüber, wie das Leben in der zerstörten Stadt weiterging, wie die Stadt ein neues Antlitz bekam, aber auch, mit welcher Selbstverständlichkeit die Bewohner zwischen Ruinen und Schuttbergen ihrem Alltag nachgingen – und das noch über Jahrzehnte, wie Wenke Nitz betont: „Es ist beeindruckend, wie lange die Potsdamer mit den Ruinen gelebt haben.“ Foto/Repros: Andreas Klaer

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