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Das Erlebnis könnte bald Brandenburgs Schulunterricht revolutionieren. 

© Ottmar Winter

Konzert mit Virtual-Reality-Brille: Näher dran am Filmorchester Babelsberg durch 360-Grad-Kameras

Zukunftsmusik: Ein Pilotprojekt von Filmuni und Filmorchester zeigt, wie Musikunterricht künftig aussehen könnte. Allerdings ist das benötigte Equipment ziemlich teuer.

Potsdam - Der wohl exklusivste Platz in einem Konzerthaus befindet sich in der ersten Reihe. Möglichst nah am Orchester. Oder? Wäre es nicht noch beeindruckender, könnte man zwischen den Virtuosen des Orchesters wandeln, ihnen direkt über die Schulter gucken, während sie live spielen? Dass eine solche Orchestererfahrung möglich ist – zumindest virtuell –, das zeigt das gemeinsame Pilotprojekt von Filmuni und Filmorchester Babelsberg: „Film Orchestra 360° – Klassenzimmer“.

Sogenanntes Edutainment ist das Ziel

Der Trick: Mit 360-Grad-Kameras wird das Orchesterkonzert live übertragen. Auf dem Handybildschirm oder über Virtual-Reality-Brillen (VR) kann der Stream direkt abgerufen werden – von jedem beliebigen Ort mit entsprechender Internetverbindung. Die Technik der 360-Grad-Aufnahme erlaubt, dass sich die Gäste im virtuellen Raum bewegen können. Und wie der Name des Piloten verrät: Diese digitale Rundumerfahrung des Live-Auftritts soll auch Einzug in brandenburgische Klassenzimmer halten. Zumindest der Idee nach, denn das Erlebnis ist bisher einmalig am Montag erfahrbar gewesen. 

Der Grund: Das Equipment ist teuer. Zumindest für die Filmuni. Schulen müssten zumindest über einen strapazierfähigen Internetzugang verfügen. Teilhaben könnten die Schüler dann über Smartphones oder Computer. Langfristig ziele man auf „Edutainment“ ab, erklärt Susanne Stürmer, Präsidentin der Filmuni: „Die Mischung aus dem Englischen Education – also Bildung – und Entertainment – Unterhaltung.“

Das Projekt „Film Orchestra 360° – Klassenzimmer“ erlaubt das Live-Streaming in 2D und Virtual Reality.
Das Projekt „Film Orchestra 360° – Klassenzimmer“ erlaubt das Live-Streaming in 2D und Virtual Reality.

© Ottmar Winter

Live-Erfahrung in ländlichen Regionen

Die Idee sei ursprünglich entstanden, weil das Filmorchester Anfragen aus Brandenburg oft nicht annehmen könne, sagt der Intendant des Deutschen Filmorchesters Babelsberg, Klaus-Peter Beyer. Dabei würde das international gefragte Orchester diese Engagements gerne antreten. Es scheitere meist an den geringen Finanzmitteln kleinerer Kommunen. „Ich komme aus dem ländlichen Rau und erlebe selbst, wie das kulturelle Angebot dort manchmal zu kurz kommt“, sagt Beyer. „Deshalb ist es mir ein Anliegen, eine Möglichkeit zu schaffen, mit der man auch auf dem Land das Orchesterkonzert live erleben kann.“ 

Doch bei dieser Intention sei es nicht geblieben, so Beyer. „Wir haben gemerkt, was mit dieser Technik möglich ist.“ Jetzt würde er sie gerne nutzen, um ein weiteres Phänomen zu bekämpfen, das ihn manchmal traurig stimmt: „Bereits in meinen Jugendjahren war der klassische Musikunterricht nicht besonders beliebt. Die technischen Möglichkeiten erlauben uns jetzt eine ganz neue Erfahrbarkeit. Ich glaube, wir können den Musikunterricht damit interessanter machen.“

Fragen über Live-Chat

Und nicht nur musikalisch könnte die Live-Erfahrung im Unterricht nützlich sein. Beyer beruft sich dabei auf eine repräsentative, im Juni veröffentlichte Studie des Rats für Kulturelle Bildung, wonach fast 90 Prozent der Schüler die Videoplattform Youtube nutzen. Mehr als die Hälfte von ihnen hält außerdem Videos zu Schulthemen für wichtig oder sehr wichtig. 

„Mit dieser Technik können wir bekannte Forscher auf die Bühne holen und sie live Unterrichtsstunden zu bestimmten Themen vortragen lassen. Die Schüler können dann im Live-Chat Fragen stellen“, so Beyer. Sicherlich sei dafür eine äußerst enge Abstimmung mit den brandenburgischen Lehrern notwendig, räumt er ein. Sie müssten vorgeben, welche Themen ein solcher Gastvortrag behandeln solle. „Aber die Technik bringt hier viel zusammen – Abwechslung, eine Live-Erfahrung sowie ein Medium, mit dem man die Jugend bekanntermaßen gut erreichen kann.“

Ein fünfstelliger Betrag wäre nötig gewesen

Noch ist das Zukunftsmusik. Die Geräte für den großen Auftakt in der Filmuni waren geliehen und von verschiedenen Unternehmen teilweise sogar kostenfrei zur Verfügung gestellt worden. „Ansonsten hätte der Abend bestimmt einen hohen fünfstelligen Betrag gekostet“, erklärt der Intendant auf Nachfrage. Eine 500 MB-Internetleitung sei nötig gewesen, um dem Publikum aus Schülern und Politik eine fehlerfreie Erfahrung zu ermöglichen. Hinzu kamen unter anderem auch 360-Grad-Kameras, exzellente Aufnahmegeräte und VR-Brillen. 

Sollte sich die Filmuni mit solchem Equipment ausstatten wollen, sei dafür ein mittlerer sechsstelliger Betrag nötig – der zur zwingenden Voraussetzung wird, um die Vorstellungen über das Unterrichtskonzept umzusetzen. „Wir haben der Politik das Thema vorgestellt.“ Neben Schülern seien Landespolitiker, darunter Fraktionschefs und Vertreter der Fachausschüsse, bei der ersten Präsentation gewesen. Jetzt müsse man auf Unterstützung aus Fördertöpfen zur Digitalisierung hoffen. 

Beyer schwebt dabei Großes vor. Die 360-Grad-Erfahrung versteht er als Revolution. „Die Idee ist, dass die Menschen zusammenkommen. Für Unterricht oder für Konzerte oder die Reden von Politikern.“ Sozusagen eine virtuelle Erfahrung, die auf einem reellen Marktplatz stattfindet. Solche Erlebnisse könnten auch die Gemeinschaft fördern, glaubt Beyer.

Naima Wolfsperger

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