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Komponist für Nazi-Lieder. Herms Niel, hier mit seiner Ehefrau Helene, komponierte Schlager und Marschmusik. Über ihn referierte der Musikpublizist Thomas Freitag im Potsdam Museum.

© Förderverein Potsdam Museum

Landeshauptstadt: Komponist für Hitlers Soldaten

Herms Niel schrieb viele Märsche und Lieder. Das Potsdam Museum widmete sich jetzt dem Musiker

Eine eingängige Melodie, immer wieder unterbrochen von drei stampfenden Paukenschlägen. Das war das musikalische Rezept für dieses berühmte Lied. Und wäre es nicht so derart eng mit der Nazipropaganda verbunden gewesen, hätte es womöglich alle Chancen gehabt, ein echter Evergreen des Volksliedes zu werden – jenes die Massen begeisternde Lied vom „Blümelein“ Erika, das auf der Heide blüht. Geschrieben hat das Stück einst der Marschliedkomponist Herms Niel. Auch nach seinem Tod – er starb 1954 – blieb ihm das besungene Heidekraut ganz nah: Die immergrüne Pflanze (botanisch: Erica) zierte eine Zeit lang sein Grab auf dem Friedhof im heutigen Potsdamer Ortsteil Eiche.

Davon berichtete am Donnerstag der in Potsdam lebende Musikpublizist Thomas Freitag in einem Vortrag im Potsdam Museum. Der Förderverein des Museums hatte dazu eingeladen. „Herms Niel – Versuch einer kritischen Annäherung an Hitlers bekanntesten Marschliedkomponisten“. Unter diesen Titel hatte Freitag seine Ausführungen gestellt. „Um Himmels Willen, du kannst dich doch nicht mit Herms Niel beschäftigen“, hätten manche Weggefährten zu ihm gesagt, berichtete Freitag den rund 50 erschienenen Zuhörern. Gegen den Rat der Freunde forschte der Buchautor in den vergangenen Jahren dennoch zu dem Potsdamer Musiker und Komponisten Herms Niel – und trägt nun zugleich ein kleines Stück dazu bei, die gerade in letzter Zeit beklagten Lücken in der Erforschung der NS-Zeit Potsdams ein wenig kleiner werden zu lassen.

„Es sind Tausende Soldaten nach Erika marschiert“, sagt Freitag. In die Propagandamaschinerie von Goebbels und Co. passte Erika hervorragend hinein: Ein mitreißendes Stück, schmissig und zum Marschieren verdammt gut geeignet. Wer sich das Lied heute anhört, in dem nicht nur das Heidekraut Erika, sondern freilich auch eine Frau gleichen Namens besungen wird, der sieht vor dem geistigen Auge förmlich die sprichwörtliche Heide wackeln und die Truppen vorbeimarschieren. Der Sound von Erika ist auch nach dem Krieg im kollektiven Gedächtnis geblieben – selbst bei jenen, die sich an ihre Nazi-Untaten plötzlich nicht mehr erinnern wollten. Für sensible Geister dürfte der einstmals populäre Song wegen seiner Geschichte heute jedoch ziemlich unerträglich sein.

Erikas Schöpfer Herms Niel wurde am 17. April 1888 in dem Dorf Nielebock bei Genthin geboren. Der Geburtsort des Liedkomponisten war zugleich sein Familienname: Auf die Welt kam Herms Niel als Hermann Nielebock. Erst später, wohl um 1930, gab er sich seinen, den eigentlichen Namen verkürzenden Künstlernamen, wie Publizist Freitag berichtet. Nach der Schule durchläuft Niel eine musikalische Ausbildung bei dem Genthiner Stadtkapellmeister Adolf Büchner. 1906 kommt er zum I. Garderegiment zu Fuß in Potsdam und ist dort als Militärmusiker tätig. Die ersten veröffentlichten Lieder von Niel, die Thomas Freitag bei seinen Forschungen finden konnte, stammen aus dem Jahre 1915. „Ich bet‘ für ihn“ und „Oh sei mir gut“ heißen die Titel dieser frühesten bekannten Musikstücke von Niel. „Da war er gerade mal wenige Monate im Krieg“, sagt Freitag. Gemeinsam mit Hans Ailbout schreibt Niel den Schlager „Im Rosengarten von Sanssouci“. „Ein Riesenerfolg“ sei das Stück geworden. Auch die heute noch besonders in der Lausitz beliebte Annemarie-Polka stammt aus seiner Feder.

Am 1. Mai 1933 tritt der Musiker und Liedschöpfer in die NSDAP ein. Beim Reichsarbeitsdienst (RAD) bringt es Niel Freitags Forschungen zufolge zum Oberstfeldmeister und leitet dort den Musikzug der Reichsführerschule des RAD, eine Ausbildungseinrichtung der Nazis, die sich in den Communs am Neuen Palais im Park Sanssouci befand. Er habe aus einer unbedeutenden Kapelle ein Spitzenorchester entwickelt, sagt Freitag. So wird Niel 1940 zu den Wagnerfestspielen nach Bayreuth eingeladen, „wo er mit seinem Orchester eintreffende Delegationen musikalisch begrüßt“. Niel arbeitet häufig für den Rundfunk, schreibt Marschlieder – unter anderem komponiert er nach einem Text von Hermann Löns das Lied „Wir fahren gegen Engeland“- und geht dann auf Tourneen.

Auch im heimischen Potsdam tritt er mit seinen Musikern auf. Das NSDAP-Zentralorgan, der „Völkische Beobachter“, schreibt am 5. März 1940 von einem beschwingten Abend im Babelsberger Lindenpark. „Mit dem Marschlied ,Wir sind Kameraden von altem Schrot und Korn‘ war sofort die rechte Einstimmung da. Dann erlebten wir eine Uraufführung des Liedes ,In meiner Satteltasche, da welkt ein Blumenstrauß‘“, heißt es in dem Zeitungsbericht. Wenige Tage später, am 16. März 1940, dem Tag der Wehrmacht, trägt sich der Musiker ins Goldene Buch der Stadt Genthin ein.

Niel wohnte in den 1930er-Jahren zunächst in der Waisenstraße (heute Dortustraße) und zog 1936 gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Helene und deren Ehemann, der 1938 stirbt, in eine neu erbaute Villa nach Eiche.

Im Februar 1946, der Krieg war gerade neun Monate vorbei, schreibt Niel in einem Brief an seinen 86-jährigen Vater: „Der Russe ist nicht arrogant, er gönnt dem Menschen das Leben. Denn stelle dir vor, der Russe würde es mit uns auch so machen, wie unsere es in Russland getrieben haben sollen.“ Auch über die NS-Konzentrationslager äußert er sich in dem Brief: „Ich jedenfalls habe es nicht gewusst, dass diese Gebilde Todesmühlen waren.“

Einige Monate später verlässt Niel Potsdam und zieht nach Lingen ins Emsland, wo er am 16. Juli 1954 stirbt. Bestattet wird er in Herzlake. Noch im selben Jahr veranlasst seine Witwe die Überführung auf den Friedhof nach Eiche, wo sich noch heute sein Grab befindet.

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