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Kommunalwahl 2019: Die Machtfrage in der Stadtverordnetenversammlung

Die Potsdamer entscheiden bei der Kommunalwahl über künftige politische Bündnisse – und damit über die Entwicklung der Stadt. Eine Analyse zur Lage.

Potsdam - Eines steht bereits vor dem Urnengang fest: Die Kommunalwahl am Sonntag wird Potsdam verändern. Kräfteverhältnisse werden sich verschieben, neue Allianzen sich bilden – auch wenn die ganz großen Überraschungen wohl ausbleiben dürften. Die PNN analysieren an dieser Stelle, wie die Wahl ausgehen und wer dann mit wem regieren könnte.

Kommt eine neue rot-rot-grüne Koalition?

Gut möglich. Viele Parteien und Wählergruppen bedeuten jedenfalls nicht automatisch stabile Mehrheiten – im Gegenteil. Genau auf solche stabilen Verhältnisse hofft aber Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), der die Wahl offensichtlich auch als Richtungsentscheidung für seine Politikziele begreift – also für mehr Sozialwohnungen, für ein behutsameres Wachstum und für eine Verkehrswende in Potsdam mit mehr Bussen und Bahnen sowie mehr Radwegen. Doch die beiden letzten Punkte werden beim derzeitigen SPD-Kooperationspartner, der CDU, kritisch gesehen. Speziell beim Verkehrsthema liegt man sehr weit auseinander. Ohnehin ist man in der SPD-Spitze intern durchaus genervt vom aus ihrer Sicht unbeständigen Agieren diverser CDU-Vertreter, die immer wieder mit eher unrealistischen Vorschlägen überraschten – von viel zu teuren Tunnellösungen in der Innenstadt über die fast illusorische Havelspange oder zuletzt die Vision von einer die dicht bebaute Region überspannenden Seilbahn.

Zudem ist zweifelhaft, ob im Stadtparlament überhaupt eine Mehrheit von SPD und CDU zustande käme. Beide Parteien befinden sich bundesweit im Abwärtstrend. Bereits bei der Kommunalwahl 2014 waren beide zusammen nur auf 39 Prozent gekommen, für eine Mehrheit waren die Grünen nötig. Diese für den Wiederaufbau der Potsdamer Mitte stehende Rathauskooperation scheiterte Ende 2016 daran, dass der Grünen-Wunschkandidat für das Amt des Baudezernenten im Parlament durchfiel. Seitdem gibt es wechselnde Mehrheiten im Parlament. Auffällig ist jedoch, dass sich die Gemeinsamkeiten mit den Linken und den wieder nach links gerückten Grünen im Stadtparlament seit Schuberts Amtsübernahme im vergangenen Herbst häufen. Auch das ist ein Indiz für eine rot-rot-grüne Koalition in Potsdam.

Reichen dafür die Mehrheitsverhältnisse?

An sich gilt Potsdam seit den 1990er-Jahren als rote Trutzburg. Bei den Kommunalwahlen 2014 erhielten tendenziell linke Parteien und Wählergruppen wie SPD, Grüne, Linke und Die Andere zusammen mehr als 68 Prozent. Und bei der ersten Runde der OB-Wahl im vergangenen Herbst entfielen auf die eher links stehenden Kandidaten sogar 71,6 Prozent. Selbst bei der Bundestagswahl 2017 kamen SPD, Linke und Grüne bei den Zweitstimmen in Potsdam zusammen noch auf knapp über 50 Prozent, bei den Erststimmen sogar auf 55 Prozent. Dass sich an diesen Mehrheitsverhältnissen ausgerechnet zur Kommunalwahl sehr viel verschiebt, ist nicht anzunehmen. Die Frage ist eher, wie sich die Stimmen im traditionell starken linken Lager und im schwächeren konservativ-bürgerlicheren Teil der Stadtgesellschaft verteilen. Und ob sich Linke und Grüne tatsächlich nach der Wahl vorstellen können, mit der SPD offiziell zusammenzuarbeiten. Bisher setzt die Linke eher auf das Modell der wechselnden Mehrheiten.

Gewinnt die SPD oder die Linke?

Das ist offen. Die Linke geht als Gewinnerin der Kommunalwahl 2014 ins Rennen, 25,3 Prozent holte sie beim letzten Mal. Ob es dafür wieder reicht, ist mehr als ungewiss. Einmal macht Schuberts Kurs, der viele Forderungen der Linken umsetzt, den Genossen die Oppositionsrolle schwer. Was soll man gegen einen Rathauschef ins Feld führen, der jüngst erst mit der Rettung des DDR-Terrassenrestaurants Minsk durch den Milliardär Hasso Plattner einen Coup einfädelte? Von links hingegen gräbt der Partei in mehr als einer Hinsicht die Wählergruppe Die Andere das Wasser ab, die sich als die kompromisslosere linke Alternative inszeniert. Die Andere konnte wie auch die Grünen vor allem jüngere Mitglieder der überalterten Linken-Partei zu sich locken. Womöglich liegt es auch am fehlenden Personal, dass die Linken in diesem Wahlkampf – nicht nur in der Wahrnehmung ihrer Kontrahenten – insgesamt viel weniger präsent als in früheren Zeiten wirken.

Die SPD muss allerdings ebenfalls zittern – wegen des negativen Landes- und Bundestrends, der auch bei der Kommunalwahl einige Prozentpunkte kosten könnte, wie Genossen fürchten. Daher scharen sie sich umso mehr um ihren Oberbürgermeister. Selbst innerparteiliche Gegner werben mit ihm und verweisen auf die Erfolge seiner noch recht kurzen Amtszeit, vom Minsk über die Rückzahlung der unter seinem Amtsvorgänger Jann Jakobs (SPD) zu hoch angesetzten Kitabeiträge bis zu sichtbaren Zuwächsen für die Stadtverwaltung. Allerdings muss Schubert noch mit den Nachwehen der Jakobs-Ära kämpfen, etwa den Versäumnissen in der Personalpolitik im Rathaus. Erst in dieser Woche wurde publik, dass dort aus Mangel an Mitarbeitern Rechnungen von IT-Anbietern nicht bezahlt und als Folge Schulen vom Internet abgekoppelt wurden. In der vergangenen Woche musste man einräumen, dass sich das wichtigste Nahverkehrsprojekt der Stadt, die Tramtrasse nach Krampnitz, wegen fehlender Projekt-Planungsstrukturen wohl um Jahre verzögert. Auf die Liste der Baustellen gehört auch ein neuerlicher Kita-Engpass.

Wer könnte noch profitieren?

Wegen ihres bundesweiten Aufschwungs wäre es verwunderlich, wenn die Grünen ihr Ergebnis von 11,9 Prozent bei der letzten Kommunalwahl nicht verbessern würden. So wollen sie in Potsdam einen Klima-Notstand ausrufen – dann müssten sämtliche Vorhaben verbindlich auf ihre Klimarelevanz geprüft werden. Damit wollen die Grünen gerade bei jüngeren Wählern punkten. Gerade gewann die Partei die U18-Wahl. An der Kommunalwahl können bereits 16-Jährige teilnehmen. Mit diesem Trend im Rücken könnte es für viele Wähler unerheblich sein, dass die Grünen über Themen wie die Zukunft des Staudenhofs intern noch streiten. Gleichwohl, zu sicher dürfen sie sich auch nicht fühlen: Bei der Oberbürgermeisterwahl waren viele vom nur mäßigen Abschneiden der Grünen-Kandidatin Janny Armbruster überrascht, die mit 8,9 Prozent gleich zweieinhalb Punkte hinter Lutz Boede von Die Andere blieb.

Die linksalternative Wählergruppe wiederum hat mit dem angekündigten Bürgerbegehren für bessere Arbeitsbedingungen am Bergmann-Klinikum ein Dauerthema für sich besetzt und kann darauf verweisen, dass wohl keine andere Fraktion im Stadtparlament so viele Kleine Anfragen geschrieben hat. Sogar ein stärkeres Abschneiden als 2014, als die Wählergruppe 7,7 Prozent holte, scheint bei der Wahl am Sonntag möglich. Wirklich koalitionsfähig wäre Die Andere zwar wohl nicht, dazu agieren die Mitglieder oft zu ideologisch-dogmatisch. Es gibt aber auch Schnittmengen, etwa beim Verkehr, wo sie ein rot-rot-grünes Bündnis durchaus stützen könnte.

Zersplittert das konservativere Lager?

Die CDU als jahrelanger Kooperationspartner der SPD will mehr schaffen als die 15,5 Prozent bei der Kommunalwahl 2014. Doch auch bei der OB-Wahl im vergangenen Herbst kam Kreischef Götz Friederich nicht über 17,4 Prozent hinaus – selbst ohne Konkurrenz von FDP und Bürgerbündnis, die jetzt auch um bürgerliche Wähler buhlen. Bereits im Vorfeld konnte das Bürgerbündnis zwei bekannte Stadtverordnete aus der CDU/ANW-Fraktion zu sich locken. Bei einem Parteitag vor der Wahl gab es zudem Uneinigkeit, doch inzwischen präsentiert sich die Union geschlossen und arbeitet sich an der SPD-geführten Verwaltung ab, die aus ihrer Sicht viel besser geführt werden müsse. Dennoch ist das Bürgerbündnis um den Babelsberger Immobilienökonomen Wolfhard Kirsch ein ernstzunehmender Konkurrent. 2014 hatte es 6,1 Prozent geholt, dieses Ergebnis will man steigern. Während die CDU potenziell konservativen Wählern erklären muss, warum sie mit der SPD Politik gemacht hat, muss sich aber auch das Bürgerbündnis fragen lassen, warum die Zahl der eingereichten Initiativen im Stadtparlament überschaubar geblieben ist. Ferner wird Kirsch immer wieder vorgehalten, ihm gehe es vor allem aus geschäftlichen Erwägungen um einen Sitz im Bauausschuss – er wiederum bestreitet, dass es dabei einen Interessenkonflikt gibt.

Auch die FDP konnte mit nur einem Stadtverordneten kaum in Erscheinung treten. Nun versuchen die Liberalen mit ihrer Potsdamer Chefin und Bundesgeneralsekretärin Linda Teuteberg, aus ihrem 2,5-Prozent-Keller der letzten Wahl zu kommen. Allerdings birgt ihre Kandidatur auch ein Risiko: Glauben die Potsdamer der Bundespolitikerin wirklich, dass sie sich angesichts der Fülle ihrer Aufgaben noch dauerhaft im Stadtparlament für ihre Belange einsetzen will? Sie selbst macht ihr Engagement davon abhängig, ob die FDP-Fraktion groß genug wird.

Wie schneidet die AfD ab?

4,5 Prozent erreichte die AfD bei der Kommunalwahl 2014, bei der OB-Wahl holte ihr Kandidat Dennis Hohloch bereits 11,1 Prozent. Ob es mehr wird? Dagegen spricht die Bilanz der Fraktion, deren zwei Mitglieder in Sitzungen überdurchschnittlich häufig unentschuldigt fehlten – was sie etwa mit beruflichen Zwängen rechtfertigen. Auch inhaltliche Initiativen blieben rar. Ferner haben die Rechtspopulisten diesmal nur Männer aufgestellt, für die Ortsbeiräte im Potsdamer Norden haben sie keinen einzigen Kandidaten gewinnen können.

Angesichts dessen könnten selbst potenzielle AfD-Protestwähler zum Bürgerbündnis, zur FDP, zur CDU oder sogar zu den Freien Wählern überlaufen. All die Genannten eint die Forderung nach einer dritten Havelbrücke in Potsdam. Auch in dieser Hinsicht ist die Wahl am Sonntag eine Richtungsentscheidung – erste Ergebnisse werden ab 19.30 Uhr erwartet, ein stabiler Trend dürfte ab 22 Uhr erkennbar sein. Angesichts einer fehlenden Fünf-Prozent-Marke haben selbst vermeintliche Leichtgewichte wie die Satire-Partei „Die Partei“ Chancen, zumindest einen Stadtverordneten zu stellen.

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