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Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

© Sebastian Gabsch

Kolumne | Pyanissimo: Wie mein Groll verflog

PNN-Kolumnistin Steffi Pyanoe wollte sich erst über den Holzstapelstreit aufregen, dann über Verhinderungspolitik der Stadtverwaltung. Bis sie beim Warten auf die Tram eine Entdeckung machte.

Zuerst wollte ich mich heute über den Holzstapel auf Hermannswerder aufregen, ein letztes Mal, weil‘s so schön war. Aber im Grunde bin ich froh, dass die Stadtverwaltung trotz coronabedingter Mitarbeiterausdünnung im letzten Moment diesen Stapel von der Ablage bekommen hat. Jetzt hoffe ich, dass die das Ding nicht sofort umschichten, denn der Haufen ist ja längst ein eingefleischtes Biotop! Was da alles lebt - seltene Käfer, Feuerwanzen, Spinnentiere, Waldmäuse, kleine Reptilien, vielleicht sogar Igel. Und Fledermäuse in der Winterstarre - die jetzt aufzuwecken könnte tödlich enden. Für die Tiere. Hier wäre verwalterisches Nichtstun ausnahmsweise mal angebracht.

Verhinderungspolitik bei der Sportplatzplanung

Alternativ wollte ich über die Verhinderungspolitik, was einen Sportplatz an der Nedlitzer Straße betrifft, meckern. Aber im Bauausschuss hieß es gerade, der Antrag sei „durch Verwaltungshandeln erledigt“. Denn das Areal gegenüber der Haltestelle Campus Jungfernsee, das ich als wilden Parkplatz fliegender Händler in Erinnerung habe, gehört zum Randbereich der geschützten Bornimer Feldflur und liegt außerdem im Trinkwasserschutzgebiet. Mithin sind dort Sportanlagen entweder gar nicht erlaubt (Schutzzone III) oder nur mit ordnungsgemäßer Abwasserentsorgung (Zone II). Also Pech gehabt, ihr Fußballspielerinnen und Volleyballer oder was auch immer hier fröhlich turnen könnte, ohne Anwohner mit Lärm zu behelligen. Sei‘s drum, dass hier Busse und Trams halten und die Kids ganz ohne Papas SUV sicher anreisen könnten, auch aus dem neuen Boomtown-Krampnitz. Durch Verwaltungshandeln erledigt! Den Satz „Die untere Wasserbehörde kann auf Antrag von den Verboten Befreiung erteilen, wenn das Wohl der Allgemeinheit die Befreiung vom Verbot erfordert“ (Paragraf 8 der „Verordnung zur Festsetzung des Wasserschutzgebietes für das Wasserwerk Potsdam-Nedlitz“) haben die Kollegen wohl übersehen.

Weiteres Ärgernis auf meiner heutigen Liste: die Null-Stühle-Situation im Sterncenter: Wie erbärmlich ist das! Auch Schwangere oder Alte, Jugendliche nach Knie-OP, Maskenträger mit Asthma-Atemnot oder Eltern mit Babys müssen mal was einkaufen. Und hocken sich also im Notfall (Kreislauf, Kind stillen, Luft schnappen) auf den Fußboden, weil im gesamten Einkaufszentrum sämtliche Stühle und Bänke hinter Flatterband weggesperrt sind. Ja, geht’s noch? Einzelne Sessel oder Eltern-Kind-Bänke sind scheinbar ein großes Infektionsrisiko. Jetzt muss man in den Schuhladen, wenn man sich setzen will. Das freut die Händler.

Zwölf Minuten warten auf die Tram - und ein Fund im offenen Bücherschrank

Zuletzt hatte ich neulich zwölf Minuten unfreiwilligen Aufenthalt am Platz der Einheit. Weil die Tram nur alle 20 Minuten dahin fährt, wo ich hin wollte. Zwölf Minuten, ein halbes Leben, Mann, war ich sauer. Ich musste diese Zeit unbedingt optimal nutzen. Also stöberte ich im offenen Bücherschrank neben der Wilhelmgalerie und fand: „Tagebücher und Briefe“ von Maxie Wander. 1977 liegt die Schriftstellerin im  Potsdamer Krankenhaus und verreckt langsam an Krebs: Zu spät erkannt, zu lange gezögert und drum rum geschwiegen. Fünfbettzimmer, Klo auf dem Flur. Unklare Zuständigkeiten, überarbeitete Schwestern, fehlende Therapeuten, verschlossene Patientenakten. Maxie Wander hilft in der Küche beim Abtrocknen, um nicht verrückt zu werden. Zu Hause in Kleinmachnow warten der Mann und die Kinder. Wander schreibt: „Wir wissen nicht, was wir haben, erst wenn die Wände zittern und der Boden unter unseren Füßen wankt, wenn diese Welt einzustürzen droht, ahnen wir, was Leben bedeutet.“ Und am 11. November, kurz vor ihrem Tod: „Was soll ich mit dieser Krankheit machen?“

Was soll ich sagen – mein Groll verflog, zumindest zum großen Teil. Die Tram fuhr direkt am Krankenhaus vorbei. Ich dachte an Maxie Wander, dass seitdem viel passiert ist und sie trotzdem immer noch recht hat. Und den Bücherschrank kann ich unbedingt empfehlen.

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