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Kolumne | PYAnissimo: Wenn das Eichhörnchen streikt

Unsere Kolumnistin hat schreckliche Bilder im Kopf: Von blutenden Eichhörnchen. Was Zeit-Kolumnist Harald Martenstein und Ex-Bild-Chef Kai Diekmann damit zu tun haben. 

Potsdam - Vor kurzem wurde der Potsdamer Journalist Kai Diekmann von einem Fachjournal zur Zukunft des Journalismus befragt. „Für meine Kinder ist das tote Eichhörnchen in der Auffahrt wichtiger als ein Flugzeugabsturz in Ruanda, so funktionieren wir als Mensch psychologisch“, sagte Herr Diekmann. Ich glaube, er meinte das so: Tote Eichhörnchen in der Auffahrt finden nur im Lokaljournalismus statt. Nicht in irgendwelchen globalen Nachrichtenportalen. Wer was über das Eichhörnchen vorm Haus wissen will, kommt also an der Lokalzeitung nicht vorbei.

Dem würde ich zustimmen. Leider kriege ich seitdem das tote Eichhörnchen nicht aus dem Kopf. Vor einigen Tagen war ich dann bei einer Lesung von Harald Martenstein. In einer Geschichte beschrieb er, wie er beim Kauf einer Flasche Schnaps von der Kassiererin sehr kritisch beäugt wurde. „Ich kam mir vor wie ein Mann, der im Karstadt ein blutendes Eichhörnchen über der Schulter trägt und im Mundwinkel eine Zigarette, während er augenrollend und mit viel Betonung aus dem Alten Testament vorträgt.“

Das rote hat Puscheln

Was hat es bloß mit dem Tier auf sich, dass es für solche Bilder herhalten muss? Es ist, zunächst und vor allem, niedlich. Das rotbraune ganz besonders. Die Briten haben nur graue, die die roten dort langsam vertreiben. Die Grauen haben auch keine Puscheln an den Ohren. Das rote hat Puscheln, aber nur im Winter, zwei kleine Pudelmützen für die Ohren. Das Hörnchen ist ein Tier, das niemanden nervt und äußerst selten negativ in Erscheinung tritt. Höchstens wenn es einem Rentner den Motorraum seines Wagen mit Walnüssen vollpackt und der Fahrer das erst merkt, wenn es auf der A10 qualmt.

Die Vorratshaltung des Hörnchens wird allgemein als vorbildlich und krisensicher eingestuft und außerdem ernährt es sich überwiegend vegan. Aus im Boden vergrabenen und vergessenen Nüssen wachsen manchmal Bäume. Eichhörnchen verdienen also unsere ganze Liebe. Überfahrene oder blutende Eichhörnchen sind dagegen das Schlimmste, was man sich vorstellen mag.

Das Tier verweigert seine Mitarbeit

Auch als Lokaljournalistin habe ich mich also gefreut, als mein Mann eine Eichhörnchen-Futterstation an einem Baum im Garten anbrachte. Gut einsehbar vom Haus. Jetzt, dachte ich, werde ich nicht nur über tote Hörnchen auf der Straße sondern glückliche am Futterhaus schreiben. Ich sehne mich nach schönen Geschichten. Schöne Geschichten erzählen sich viel leichter als welche über Viren und Stadtverordnetenversammlungen.

Steffi Pyanoe.
Steffi Pyanoe.

© Sebastian Gabsch

Allein: Das liebe Tier verweigert die Mitarbeit. Es kommt nicht. Das Futter liegt unberührt. Ich muss weiterhin nach meinen Themen graben, wie das Eichhörnchen immer der Nase nach. Nichts fällt einem hier vor die Füße, in den Winterferien sowieso nicht.

Aber vielleicht ist das gar nicht schlimm. Einfach mal nicht aufregen. Einfach mal ruhig bleiben und von Vorräten leben. Das muss doch psychologisch auch funktionieren. Und es ist im übrigen klimaneutral.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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