zum Hauptinhalt

Kolumne | PYAnissimo: Ist der Orgasmus der Frau systemrelevant?

Auch der Journalismus steht in der Coronazeit vor schwierigen Herausforderungen und Entscheidungen. PNN-Autorin Steffi Pyanoe erklärt dies in ihrer Kolumne. Und berichtet von "Sextouristen"-Blaumeisen. 

Ein Stammleser schreibt, er wünsche sich mehr corona-freie Texte. Das wünschen wir uns auch, aber das ist nicht so einfach. Die PNN-Ausgabe ist gerade viel dünner als sonst. Ganz Potsdam drängelt sich auf zwei Seiten, es ist ein Hauen und Stechen um Zeilen und beste Plätze. Und natürlich soll da auch mal was anderes als Corona stehen. 

Uns erreichte zum Beispiel eine Pressemitteilung zweier Potsdamerinnen, die laut ihrer Homepage Kurse für Frauen anbieten mit der Fragestellung: „Möchtest du dein orgasmisches Erleben steigern?“ Das liest man dann im PNN-Posteingangsfach und muss entscheiden: Rein in die Zeitung oder nicht. Puh. Mal rein rechnerisch: Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, davon ein Großteil im orgasmusfähigen Alter. Aber wie viele davon brauchen Hilfe? Und wie hoch ist die Dunkelziffer? Und, wichtigste Frage: Ist der Orgasmus der Frau in diesen Tagen systemrelevant? Normalerweise würde sowas im interredaktionellen Dreistufenverfahren diskutiert, erst in der Sitzung, dann in der Teeküche und zuletzt zwischen Raucherbereich und Fahrradständer. Also etwa so: Warum muss es der Orgasmus der Frau sein, was ist mit dem der Männer, und ist das jetzt kommerziell oder altruistisch und warum soll es eigentlich nicht kommerziell sein dürfen, wenn es dafür einen Markt gibt? Oder sind wir eingestaubten Redakteure viel zu verklemmt für so was? Und müssten wir dann nicht erst recht darüber berichten, vielleicht sogar im Selbstversuch, und wer soll’s machen?

Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.
Steffi Pyanoe ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

© Sebastian Gabsch

Das fällt jetzt alles aus, weil die jeweils Diensthabenden derzeit allein im Großraumbüro sitzen. Das besagte Thema hat es also nicht ins Blatt geschafft. Auch nicht ins Blatt kam das Buch einer Potsdamer Verfechterin des freien Lernens für Kinder – zu Hause und ohne jeglichen Schulbesuch. Das erschien uns in Zeiten des erzwungenen Homeschoolings zunächst durchaus interessant. Aber jetzt stellt sich heraus: Die meisten der Kinder, vielleicht sogar alle, und selbstredend die Eltern, vermissen die Schule. Schulpflicht ist, erinnern wir uns, im Übrigen hart erkämpft, gesellschaftlicher Konsens und systemrelevant für ein demokratisches Miteinander.

Raus aus ihrem kuscheligen Kinderzimmer mussten jetzt auch unsere Blaumeisen im Garten. Und zwar genau am regnerischen Montag, was ihnen bei aller Härte das Leben rettete, denn die Katzen lagen bräsig im warmen Wohnzimmer und verpassten ihre Chance auf leichte Beute. Blaumeisenweibchen sollen übrigens, habe ich gelesen, ein Männchen für zu Hause haben und viele andere für Sex. Frühmorgens, während der werdende Vater noch schläft, sollen sie, haben Ornithologen beobachtet, „ausfliegen wie Sextouristen“. Ganz ohne Orgasmuskurs. Immer wieder großartig, was in der Welt so los ist und wie sich die Dinge fügen. Seien Sie also versichert, dass dabei künftig genügend Coronafreies fürs Blatt abfällt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false