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Kolumne: PYAnissimo: Ein Geheimnis für 59 Cent

PNN-Kolumnistin Steffi Pyanoe über das Genießen in Potsdam

Was sind wir doch für eine Genießerstadt! Nichts trennt uns jetzt im Frühling von der Natur. Keine Sichtachsenbepflanzung, keine Pommesbude, kein Latte mit Schaumkrone. Ob man von Klein Glienicke oder der Freundschaftsinsel runter aufs Wasser starrt, dem Naturerlebnis steht nichts im Wege. Die Welle wallt, der Biber nagt. Nur der Spaziergänger bekommt nichts zwischen die Kiemen. Aber gut, wir kennen das, da bleiben wir doch locker. Schau’n wir uns mal den Alten Markt an, wo seit zwei Jahren die Hochkultur blüht. Herrlich ist es hier, wenn die Touristen in der Sonne spazieren. Und die Potsdamer natürlich. Endlich lässt es sich hier auch aushalten. Im Winter war das ja richtig gruselig, dann fegten die scharfen Winde durch die Fluchten, sodass spätestens zur Dämmerung alle wieder weg waren. Da war nichts mit italienischem Flair.

Kutschen, Pantomime, Würstchenbude

Aber Achtung: Es gibt Initiativen, die für Potsdams hart erkämpfte Mitte ein Standortmanagement etablieren wollen. Um Ideen zu entwickeln, wie sich der Platz beleben lässt. Möglicherweise werden dann im Sommer 2020 Bänke, Papierkörbe und Blumenkübel aufgestellt. Ein Eismann wird hier stehen und vielleicht wird es sogar ein Toilettenhäuschen geben, das bisher abgeschmettert wurde. Aus gutem Grund natürlich. Denn wo keiner ist, kann auch keiner müssen.

Ich bin unsicher, ob ich diesen Management-Coup gut finden soll. Denn wo soll das hinführen? Man stelle sich mal vor, hier würden über Nacht Würstchenbuden auftauchen. Mobile Espressobars, die auch frisch gepressten Orangensaft anbieten. Blumenhändler, Souvenirverkäufer, ein Alter Fritz, der auf seiner Querflöte Sonaten dudelt, während auf der anderen Seite eine kubanische Combo spielt. Dann läuten die Kirchenglocken und ab und zu quetscht sich eine spanische Stadtführung mitten hindurch. Abends führt ein Guide im Nachtwächterkostüm seine Leute gestikulierend umher und Feuerkünstler tanzen zu einer Trommelgruppe. In einer Galerie findet ein Kunstworkshop statt, nebenan eine Weinprobe mit Günther Jauch. Nachts zieht ein Junggesellenabschied eine letzte peinliche Runde über den Markt. Im Frühnebel trifft sich die fraktionsübergreifende Yogagruppe zum Sonnengruß auf der Landtagsterrasse. Die erste Pferdekutsche des Tages dreht eine Runde über den Platz und hält schließlich vor dem Barberini. Dort im Foyer schminkt sich ein Pantomimen-Künstler, als eine Kindergruppe zur Schülerführung im Museum fröhlich plappernd anmarschiert.

Lieber eine Eiswaffel

Aber ich weiß nicht, ob unsere Stadt für so einen Zirkus schon bereit ist. Das Ordnungsamt wäre sicherlich schockiert. Wo soll man hier anfangen aufzuräumen? Wann die neue elektrische Kehrmaschine durchschicken? Und vor allem, gehen die auch mal nach Hause? Nee, wenn die Potsdamer High Life wollen, dann sollen die gefälligst im Urlaub auf dem Markusplatz einen Cappuccino trinken. Denn das Geheimnis des Potsdamer Platzes ist ein anderes. „Der Alte Markt lebt durch seine räumliche Qualität“, hat mal der Chef vom Stadtmarketing gesagt.

Wer diese Qualität wenigstens mit einer Eiswaffel in der Hand erleben will, dem sei der unspektakuläre Russenladen am Kanal empfohlen. Da gibt’s Moroschenoje für unglaubliche 59 Cent, ohne Anstehen und völlig ohne Management. Lecker.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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