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Kolumne PYAnissimo: Drei Haselnüsse. Ohne Tüte

Wie jedes Jahr sind gute Vorsätze gefasst. Man glaubt fest daran, dass es dieses Jahr klappt. Ganz oben auf der Liste: Von allem etwas weniger, alles etwas bewusster - oder anders. Gar nicht so einfach.

Potsdam - Dezember in den Bahnhofspassagen. Mitten in der Ladenzeile ist eine Bühne mit einem Dutzend Stühlen davor aufgebaut. Hier läuft das Weihnachtsprogramm, vor allem Filme, auf einem großen Bildschirm. An dem Nachmittag, als ich hier vorbeikomme, sitzen hier allerdings keine Kinder, sondern nur zwei erschöpfte Kunden. Und drei Obdachlose, neben sich ihre Habe in Einkaufstaschen am Boden stehend. Einer der Männer ist zusammengesunken, sein Kopf liegt auf der Brust. Er schläft, während vor ihm Aschenbrödels Filmprinz im verschneiten Unterholz auf Jagd geht. Eine surreale, bittere Szene. Von Jägern und Sammlern im Film wie im Shoppingcenter, von kleinen Dingen wie drei Haselnüssen und von der Liebe, die da irgendwo sein sollte. Irgendwo, irgendwann. Wenn die Einkäufe erledigt sind, wenn der Baum steht, das Bad für den Besuch noch schnell geputzt und die Gans im Ofen ist, der Müll rausgebracht, alle Anrufe getätigt, alle guten Taten getan sind.
Und endlich ist Januar, jetzt kann man sich was Schönes für das Jahr vornehmen. Weniger essen und trinken, weniger konsumieren, weniger Stress. Für einen Moment lässt es sich gut glauben, dass man das auch schaffen wird. Es fühlt sich sogar so gut an, dass man fast denken könnte, dass man es schon geschafft hat, da kann man sich ruhig gleich wieder mit irgendwas belohnen. Herrlich ist das, wie alles immer weiterläuft. Bald ist Februar und dann Frühling, Ostern, was wird man dieses Jahr kochen, und wen lädt man ein, wann holt man die Gartenmöbel raus? Und dann ist auch das – schwups – vorbei, schon ist Pfingsten, Sommer, Urlaub, halb vier wird es hell, unvorstellbar heute, aber eigentlich bereits um die Ecke. Hatte man was dieses Jahr vor? Aber es ist ja quasi schon halb rum …
Drei Haselnüsse wollte Aschenbrödel. Ohne Tüte. Wir haben jetzt immerhin zwei Unverpacktläden in Potsdam, das ist so großartig. Wir könnten, wenn wir wollten, dort säckeweise Nudeln kaufen und Spüli in Gläser abfüllen lassen. Schon der Gedanke daran macht uns glücklich und zufrieden. Wie toll es doch ist, wenn man an all das denkt, was man so könnte. Im Supermarkt kaufen wir weiterhin Joghurt im Plastebecher und fünf Scheiben Käse im Plastepaket mit Plastefolie dazwischen, damit sie nicht zusammenkleben. Das kann einem das Frühstück ja richtig verleiden. Aber, ich schwöre, nur noch dieses Jahr Tomaten im Plasteeimerchen und italienische Bio-Äpfel mit Flugmeilen. Dafür kaufen wir Buchumschläge aus recyceltem Milchkarton und Gartendeko im Used-Look. So vintage, so ehrlich, so unschuldig, beinahe wie in einem Jane-Austen-Film. Es tut wirklich gut, mal runterzukommen. Aber immer mindestens drei Sorten Eis im Gefrierschrank. Damit man den Rückzug aus dem Konsumparadies auch aushält.
„Der Geiz der schwerreichen Leute hat eine nette Heuchelei zum Vorschein gebracht: Die Schwärmerei für das Schlichte.“ Das ist ein Zitat der Schriftsteller Edmond und Jules de Goncourt, 19. Jahrhundert. Es steht in meinem neuen Jahreskalender auf einer Seite im Dezember. Geiz ist natürlich Quatsch. Das Schlichte kostet ja, wenn die wüssten … Heute geht es um Gewissen und Freikauf vom Selbigem. Ich fühle mich ertappt. Drei Haselnüsse, was für ein Furz, wen würde das heute beeindrucken? Wie nur komme ich damit durch 2019?
 

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